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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Du Glücklicher!“ rief der Jüngere, der, wie der größere Theil der damaligen Jugend, für den genialen Verfasser des „Titan“ schwärmte. „Wie beneide ich Dich, daß Du mit dem Genius dieselbe Luft geathmet hast!“

„Leider muß ich Dir zu meiner Beschämung gestehen, daß ich mich in der Heimath nicht zu viel mit meinem berühmten Landsmann, Jean Paul, beschäftigt habe. Andere Gedanken erfüllten meine Seele; zunächst der Schmerz über die Unterdrückung des Vaterlandes, und der glühendste Haß gegen Napoleon beherrschten mich so ausschließlich, daß ich mich damals um Poesie und Poeten nur wenig gekümmert habe. Was ich bin, bin ich einmal ganz und mit voller Seele. Nenne es Einseitigkeit oder gar Beschränktheit, aber ich kann nicht, wie so Viele, zu gleicher Zeit die verschiedensten Empfindungen in meiner Brust beherbergen. Ein Gedanke, sei es Liebe oder Haß, beschäftigt mich so ausschließlich, daß ich in jedem Augenblicke bereit bin, für denselben mein Leben aufzuopfern. Das hab’ ich gezeigt, als ich ohne Wissen und gegen den Willen meiner Eltern an dem Kampfe gegen den Unterdrücker Deutschlands als angehender Student Theil nahm.“

„Ich, beneide Dich um die Gelegenheit, durch die That Deine Liebe zum Vaterlande zu bekunden.“

„Leider,“ fuhr Sand fort, „war ich nicht so glücklich, an dem Kampfe unserer Brüder Theil zu nehmen. Ich kam mit meinem Regiment auf dem Felde von Belle-Alliance an, nachdem die blutige Schlacht bereits geschlagen war. Wir wurden nach dem schnell geschlossenen Frieden wieder in die Heimath entlassen, ohne einem Feinde begegnet zu sein. Das schmerzte mich tief; denn ich sehnte mich nach kühnen Thaten. Noch mehr aber kränkte es mich, daß die Federn der Diplomaten wieder verdarben, was die Schwerter der Helden für Deutschland errungen hatten. Unsere Hoffnungen wurden getäuscht, und der Erbfeind wußte die Großmuth der Sieger schlau zu benutzen; er blieb im ungeschmälerten Besitze seines unrechtmäßigen Raubes. Das übermüthige Frankreich verlor auch nicht ein einziges Dorf und der schöne Elsaß, der zu uns gehört, wie diese Hand zu meinem Körper, wurde ihm nach wie vor gelassen. Unmuthig und enttäuscht kehrte ich zu meinen theologischen Studien zurück.“

„Du bist also Theolog?“

„Und das mit Leib und Seele. Welch einen schöneren Beruf kann es wohl auf Erden geben, als dem Volke das Wort Gottes zu verkünden und den heiligen Samen des Evangeliums auszustreuen! Nur das Treiben auf der Hochschule widerte mich an; denn die Landsmannschaften mit ihrem unlauteren Wesen hatten damals noch die Oberhand. Man verspottete mich und meine Gesinnungen, die ich offen zur Schau trug. Als ich zum ersten Mal in meiner altdeutschen Tracht erschien, um auch äußerlich meine Verachtung des fränkischen Modetandes auszudrücken, verhöhnten mich die Buben, und ich hatte manchen harten Strauß mit ihnen zu bestehen. Ich mußte mehr wie einmal zu dem blanken Schläger greifen, um mir Achtung zu verschaffen. Aber Gott war mit mir und meinem Thun; ich fand nach und nach einige edle Jünglinge von demselben Geist wie ich beseelt. Wir schlossen einen heiligen Bund und schwuren Treue dem Vaterlande auf einem Berge, den wir den „Rütli“ tauften. Dort gelobten wir gleich jenen tapfern Schweizern, Walther Fürst, Arnold Melchthal und Stauffacher, den letzten Blutstropfen für die gute Sache hinzugeben. Das war eine schöne, unvergeßliche Zeit in meinem Leben.“

Einen Augenblick hielt hier Sand inne, von diesen Jugenderinnerungen tief ergriffen. Seine Augen nahmen einen eigenthümlichen Glanz an, und ein sonst nur seltenes Lächeln der Befriedigung schwebte um den strengen Mund. Bald aber nahmen seine Züge wieder jenen düster melancholischen Ausdruck an, der den eigentlichen Grundton seines Wesens bildete.

„Dieses Glück,“ begann er wieder nach einer Pause, „wurde durch einen schweren Verlust getrübt, der mich traf. Ich hatte einen Freund gefunden, Namens Dittmar aus Ansbach, einen echten Deutschen mit einer Seele, rein, wie sie nur die Engel des Himmels zu bewahren wissen, fromm und heiter wie ein Kind und dabei stark wie ein Mann. Wir wohnten in demselben Hause, Thür an Thür; wir liebten uns, halfen uns gegenseitig in allen Nöthen und theilten Leid und Freud’ mit einander, wie wahre Brüder.

„Eines Abends, wo wir mitsammen gearbeitet und unsere Gedanken ausgetauscht hatten, gingen wir in die vorbeifließende Rednitz baden, um uns von der Hitze des Tages und der gehabten Anstrengung zu erholen. Als wir in das Freie traten, erhob sich plötzlich ein wilder Sturm; ich machte den Vorschlag, zurückzukehren, aber Dittmar spottete meiner Furcht. Wir verfolgten unsern Weg, die Sonne ging in wunderbarer Pracht zur Ruhe. Ich sehe sie noch, umgeben von dem dunklen Gewölk, dessen Ränder in Gold getaucht erschienen; denn ich erinnere mich jeder Kleinigkeit an diesem verhängnißvollen Abend. Wir kamen an den Fluß; Dittmar stieg zuerst hinein, weil er schwimmen konnte und mir, der ich diese Kunst nie geübt, zeigen wollte, wie tief ich gehen durfte. Das Wasser reichte mir bis an die Brust, während er, immer voranschreitend, bis zum Halse darin war. Mit einem Male schien es mir, als ob er den Grund verloren hätte; er merkte es ebenfalls und begann zu schwimmen. Kaum zehn Schritt von mir entfernt, an einer Stelle, wo der Strom sich in zwei Arme theilt, stieß er einen Schrei aus und verschwand unter dem Wasser. Da ich nicht schwimmen konnte, hielt ich es für das Beste, sogleich an das Ufer zu eilen, weil ich ihn so am ehesten noch zu retten hoffte. Ich rief um Hülfe, aber Niemand hörte mich; ich suchte nach einem Kahn oder Seil, um es ihm zuzuwerfen, doch kein derartiger Gegenstand war in der Nähe zu finden. In diesem Augenblicke erschien Dittmar wieder an der Oberfläche und griff mit einer ungeheueren Anstrengung nach einem Weidenzweige, der über dem Wasser hing. Aber der Ast war zu schwach und der arme Freund sank zum zweiten Mal vor meinen Augen rettungslos in die Tiefe zurück. Du kannst Dir meinen Zustand denken. Weinend, mit gerungenen Händen lief ich an dem Ufer auf und nieder, wie ein Wahnsinniger.“

„Armer Freund!“ bedauerte Hagen, tief bewegt von dem Schmerz, den die bloße Erinnerung in Sand erweckte. „Du regst Dich nur auf.“

„Laß mich,“ entgegnete dieser. „Es thut mir wohl, vor Dir des Dahingeschiedenen zu gedenken. Ich bin mit meiner Erzählung noch nicht zu Ende. Mein Geschrei und Wehklagen hatte nach und nach eine große Menschenmenge herbeigelockt. Einer der Ersten, der herbeieilte, war ein Mitglied einer Landsmannschaft; ich wußte, daß er schwimmen konnte, und forderte ihn auf, sich in den Fluß zu stürzen und zu sehen, ob noch Hülfe möglich sei. Der Elende weigerte sich mit den Worten: „Gott Lob, daß ein Burschenschafter weniger ist.“ Nur der Schmerz und die Betäubung hielten mich ab, mich auf den erbärmlichen Kerl zu stürzen und ihn mit meinen Händen zu erdrosseln.“

„Ich hätte es Dir nicht verdacht.“

„Nach zweistündigem Suchen gelang es endlich, die Leiche Dittmar’s aufzufinden. Bei diesem Anblick brach mein Herz und düstere Schwermuth füllte meine Seele, die mich seit dem Unglückstag nicht wieder verlassen hat. Unsere Verbindung beschloß, den todten Bruder durch ein feierliches Leichenbegängniß zu ehren, und forderte trotz aller Vorgänge die Landsmannschaften auf, sich daran zu betheiligen. Diese lehnten es in ihrer Verblendung nicht nur ab, sondern dachten noch auf rohe Weise unser Vorhaben zu stören, so daß uns nichts übrig blieb, als mit gezogenen Schwertern unsern Bruder zu bestatten, gerüstet, jeden Ueberfall der Feinde mit den Waffen in der Hand zurückzuweisen. Damals entbrannte mein Herz in wildem Zorn und ich beschloß jenen Elenden zu strafen, der dem armen Dittmar die nöthige Hülfe zu leisten sich geweigert hatte. Ich ließ ihn fordern, aber er stellte sich nicht. Zwei Stunden wartete ich auf dem zum Zweikampf bestimmten Platze, und als er nicht erschien, überließ ich den Feigling seinem Gewissen und der Strafe Gottes. Noch heute aber beweine ich den todten Freund, mit dem mein Jugendmuth dahin geschwunden ist.“

„Traure nicht länger,“ rief Hagen in tiefer Rührung aus.

„Du hast in mir einen Freund gefunden, der den Verstorbenen Dir zu ersetzen suchen wird. Das schwör’ ich Dir unter dieser deutschen Eiche.“

Beide umarmten sich und gelobten sich nochmals ewige Liebe und Treue; dann brachen sie auf und setzten ihren Weg fort, zu bewegt, um ein lautes Wort zu sprechen.


II.
Das Wartburgfest.

Noch zur frühen Stunde gelangten sie ohne weitere Abenteuer nach Eisenach. Je näher sie der Stadt kamen, desto mehr belebte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_075.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)