Seite:Die Gartenlaube (1859) 063.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Die nun folgenden Schlitten kündigen sich durch das sonderbare Knacken und klappen der Hufe ihrer Zugthiere an. Diese erscheinen uns von fern wie Hirsche und erinnern uns an des westphälischen Königs Hieronymus Hirschgespann; aber in der Nähe zeigt ihr gedrungener Körper, ihr großes, mit handförmigen Schaufelsprossen versehenes Geweih, ihr langes Winterhaar, das am Unterhalse eine Mähne bildet, daß es Rennthiere sind, die wir noch nie lebendig gesehen, weil diese Polarthiere schon das Klima von Stockholm oder Petersburg nicht aushalten. Auf gutem Wege wird das Rennthier zwar (wie glaubwürdige Augenzeugen den gewöhnlichen Sagen gegenüber behaupten) vom Pferde übertroffen; aber im bahnlosen Schnee, wo ein Pferd in kurzer Zeit ermüdet sein würde, trabt es, begünstigt durch seinen wie für den Schnee gebauten Huf, munter und rüstig dahin. Ausgezeichnet ist dies Schlittenthier durch seine Genügsamkeit (es begnügt sich mit wenig Heu und sogar mit bittern, von andern Thieren verschmähten Flechten, die es von den Bäumen rupft oder aus dem Schnee scharrt) und durch seine Kunst, den Weg zu finden, den es, flüchtig dahin galoppirend, unter der Schneedecke spürt. Dagegen hat es auch seine Unarten; wenn ihm der Weg zu schwierig ist, bockt es und schlägt aus, dreht seinen Kopf rückwärts und weigert sich störrisch, zu ziehen. Auffallend ist uns sein Geschirr; der am Kummt befestigte Zugriemen geht nämlich unter dem Bauche zwischen den Schenkeln zum Schlitten. Die Lenkschnur ist am linken Geweih befestigt.

Der erste Rennthierschlitten ist ein lappländischer Pulk, ein wahres Schneeschiff, von kahnförmiger Gestalt und wie ein Kahn auf einem Kiele dahingleitend. Er schwankt deshalb einem Schiffe ähnlich herüber und hinüber, und der ohne Bank darin Sitzende bedarf vieler Uebung und Geistesgegenwart, um das Gleichgewicht zu erhalten. Ein Neuling wird sehr bald umgeworfen und oft an dem Zügel, den er um das Handgelenk geschlungen hält, geschleift. Der im Schlitten sitzende Lappe trägt einen Pösk aus Rennthierfell, d. h. eine Art lange Pelzblouse, die um Nacken und Handgelenke dicht schließt, eine Boa von Eichhornschwänzen und stattliche Fausthandschuhe.

Die nachfolgenden Rennthierschlitten sind sibirische Narten, ähnlich den unsrigen, aber ohne alles Eisen. Der Kasten ist aus Weidenruthen geflochten und mit Riemen festgebunden, welche das Gefährt haltbarer machen, als jedes andere Bindemittel; die hölzernen Kufen sind künstlich übereist, und ihr Eisbeleg thut einen ganzen Tag sogar bessere Dienste, als unsere Stahlschienen.

Die verschiedenen Insassen dieser asiatischen Schlitten gehören den sibirischen Völkerstämmen der Tungusen, Samojeden und Tschuktschen an. Sie sind alle so dicht in Pelz gehüllt, daß sie wie Bären aussehen; wir können uns aber bei ihrem Vorüberziehen nicht einmal die Zeit nehmen, die Züge ihrer Gesichter, welche auf den ersten Blick an fremde Menschenracen erinnern, näher zu betrachten. Sie könnten uns manches Interessante erzählen von ihren Schlittenreisen, namentlich die Tschuktschen, deren Schlitten ein Gestell aus Treibholz und Kufen aus Wallfischknochen haben. Es sind diese Leute die vorzüglichsten Kaufleute Sibiriens, welche Schlitten reisen, die fünf bis sechs Monate dauern, nach den großen Handelsplätzen des westlichen Sibiriens machen, um hier Tabak und Eisen einzuhandeln, die sie, auf leichten Booten über die Behringsstraße fahrend, den amerikanischen Eskimos verkaufen. Eine sechsmonatliche Schlittenfahrt bei einer Kälte, wo das Quecksilber gefriert und ein durch die Luft fliegender Rabe einen Dunstschweif hinter sich läßt, fast wie eine Locomotive; eine solche Fahrt in menschenleeren Wüsteneien, wo man Tags über mit halb schneeblinden Augen fast nichts sieht, als kahle Schneeflächen, und Nachts unter einem Lederzeltchen oder gar nur in einem Schneeloche schlafen muß, und als Nahrung fast nichts hat, als gedörrte Fische und dann und wann eine Tasse schlechten Thee – unter diesen Bedingungen möchte wohl auch der Leser, den jedes Schellenklingeln auf der beschneiten Gasse an’s Fenster lockt und ihm einen Sehnsuchtsseufzer erpreßt, nicht an der Schlittenpartie Theil nehmen.

Der Zug der Rennthierschlitten ist zu Ende. Aber wo bleiben die amerikanischen? Deren gibt es nicht. Die Polarvölker Amerika’s, die Eskimos, haben bis heute noch nicht versucht, eins der auch bei ihnen wild vorkommenden Rennthiere zu zähmen. Ein unheimliches Geheul kündigt ihre Zugthiere an; es sind Hunde, deren sich auch mehrere nordasiatische Völker, unter anderen die Kamtschadalen, bedienen.

An einem Schlitten sind sieben bis vierzehn Hunde, und zwar gewöhnlich hinter einander gespannt. Die etwa 22 Zoll hohen Polarhunde sehen dem Polarwolfe zum Verwechseln ähnlich, sie haben dichtes und langes Haar und spitze Schnauzen und Ohren. Selten bellen sie, ihr gewöhnlicher Laut ist ein widriges Geheul. Sie sind bissig und tückisch; der von der Peitsche Getroffene beißt oft seinen Vorgänger und dieser gibt die empfangene Unbill dem nächsten weiter; beim Anschirren vergreifen sie sich auch wohl an ihrem Herrn. Bei der Fütterung sind sie zänkisch, beim Anschirren widerspenstig. Sie erhalten fast ausschließlich getrocknete Fische zur Nahrung, Morgens eine kleine, Abends eine volle Mahlzeit; nach Wrangell hat einer des Tages an acht bis zehn Heringen genug. Auch im Dienste vor dem Schlitten treiben sie gern Allotria; wenn sie ein Rennthier wittern, so jagen sie über Stock und Stein der Spur nach, unbekümmert darum, was aus ihrem Herrn wird.

Aber alle diese übeln Eigenschaften werden durch ihre Kraft, Flinkheit und Ausdauer überwogen. Sechs bis acht Hunde ziehen (nach Parry) einen mit fünf bis sechs Personen besetzten Schlitten, der an 1000 Pfund wiegt, in einer Wintertagereise zehn geographische Meilen weit; gut gefüttert durchlaufen sie in einer Stunde zwei geographische Meilen. Vier Hunde ziehen einen Schlitten mit, drei Mann und Gepäck vier bis sieben Meilen, bei gutem Wege gar zwölf Meilen weit. Bei sehr hartem Wege werden ihre Füße durch übergezogene Lederstrümpfe geschützt. Sie sind vortreffliche Pfadfinder. Gar häufig würden die Führer, die sich in den kahlen Schneegegenden hauptsächlich nach den Gestirnen richten müssen und obendrein zuweilen halb oder ganz schneeblind sind, rathlos umherirren, wenn ihre Hunde nicht so feine Spürnasen hätten. Durch diese Spürkraft erkennen sie auch das Herannahen der Schneestürme, und der Reifende bleibt, wenn seine Hunde Uebles prophezeien, lieber in der schlechtesten Herberge, um einem solchen „Hundewetter“ nicht unterwegs zu begegnen. Noch sicherer erkennen sie den Ort einer ganz verschneiten Herberge. Gelangt man an die Stelle der Nachtrast, so, werden die Hunde an aufgepflanzte Lanzen angebunden und gefüttert; statt des Getränkes dient ihnen Schnee. Sie scharren sich ein Nachtlager in die Schneedecke, wenn sie der Mensch nicht einladet, als Bettwärmer dicht neben ihm zu lagern. Das Fahren mit einem Dutzendgespann muß viel schwerer sein, als das Lenken eines Viergespannes von Pferden. Die Hunde rennen mit rücksichtsloser Hast jeden Abhang hinab; oft verwirren sie sich in den Zugriemen (sie sind nicht, wie die Rennthiere, sondern wie unsere Botenhunde angeschirrt); oft und namentlich dann, wenn einer einen Hieb mit der Peitsche erhält, entsteht ein bösartiger Krawall, weshalb der Fuhrmann seine achtzehn Fuß lange Peitsche selten gebraucht und lieber mit Zurufen regiert.

Wenn der im ersten Schlitten sitzende Eskimo vor uns hielte, uns mit Tima Tima grüßte und ausstiege, um uns seinen Schlitten zu zeigen, so würden wir zuerst sein plattes, gelbliches, wenig versprechendes Gesicht anstaunen und dann vielleicht in Lachen ausbrechen über seine Kleidung. Seine Ober- und Unterkleider von Pelz geben ihm ein unförmliches Aussehen und possierlich geling hängt hinten an seinem Ueberzieher ein echter Schwanz, der uns sogleich an den Frack des Dr. Eisele erinnert. Aber so unschön seine Kleidung auch aussehen mag, so zweckmäßig ist sie; der Eskimo, der buchstäblich nicht über Zehn zählen kann, entwickelt in der Kunst, seiner traurigen Heimath alle möglichen Comforts abzugewinnen, ein wahres Genie. Dies zeigt auch sein Schlitten. Er ist 12 Fuß lang, 2 Fuß breit und 2½  Fuß hoch, vorn ist er nach oben gekrümmt. Die Kufen sind schmal, mit Wallfischknochen belegt und dick übereist. Das Gestell, aus Treibholz oder ganz aus Knochen, ist durch Flechsen oder Riemen aus Seehundsfell zusammen und mit den Kufen verbunden.

Die Beschaffenheit der übrigen Hundeschlitten, welche asiatischen Stämmen angehören, näher zu betrachten, haben wir nicht Zeit. Aber einem Hundeschlitten, der in seinem Aeußeren wenig Auffallendes hat, müssen wir doch noch einen Blick schenken. Es ist der, auf welchem die Bewohner des von Roß entdeckten amerikanischen Landes Boothia felix fahren. Das Merkwürdige daran sind die Kufen, die eßbar sind. Sie werden im Sommer nicht weggeworfen oder verbrannt, sondern verspeist; sie bestehen nämlich aus gedörrten Lachsen, welche zu Rollen zusammengebunden, wie Wurstmasse, mit einer schlauchartigen Haut überzogen und dann dick übereist werden.

Unsere Heerschau über die slavischen, germanischen, sibirischen und polaramerikanischen Schlitten ist nun vorüber, und ich bitte den

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_063.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)