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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

die schweren Segeltuchmassen hernieder, die Schooten werden hervorgeholt und die Raaen fliegen in die Höhe. Wo sich vor einem Augenblicke noch die schmalen Linien symmetrisch gestellter Raaen zeigten, bedecken jetzt ungeheuere Flächen von schneeweißer Leinwand Masten und Stengen. Die Segellöser sind aber längst wieder unten, das Gehen war ihnen zu langweilig, sie ließen sich an einzelnen Tauen herniedergleiten, nur die Toppsgasten, welche in den Marsen oder Mastkörben die Wache haben, sind oben geblieben. Die Raaen werden jetzt in’s Kreuz gebrasst, um das Schiff beim Loslassen des Ankers sogleich auf den richtigen Curs bringen zu können. Abermals ertönt die heitere Melodie der Musik, abermals der taktmäßige Marsch um das Spill, der Anker hebt sich langsam aus dem Grunde, und, dem Drucke der backgelegten Vordersegel nachgebend, fällt das Schiff allmählich ab. Als die Hintersegel füllen, werden die vorderen mit ihnen parallel gestellt; die bisher abtreibende Fregatte steht einen Augenblick still, dann kräuselt sich leichter Schaum vor ihrem Bug, das Kielwasser bildet eine gerade Linie und mit wachsender Schnelligkeit treiben die vom günstigen Winde geschwellten Segel das schöne Schiff durch die glatte Wasserfläche. Das ganze Manöver hat zehn Minuten gedauert.

Die Arbeit ruht einen Augenblick. Die Blicke wenden sich unwillkürlich dem verlassenen Ufer zu; dann schaart sich Alles um die Want an. Auf ein stummes Zeichen wimmelt es wieder in der Takelage von Matrosen, doch diesmal sind es nicht allein die Segellöser, sondern Alle, Alle, und sie entern ohne Commando auf. Ein donnerndes Hurrah erschallt aus den Kehlen; es ist der letzte Abschiedsgruß an die Heimath, an das geliebte Vaterland, dem man auf so lange Zeit Lebewohl sagt. Der erste Lieutenant rügt nicht das Aufentern ohne Befehl. Er stimmt nicht mit in den Hurrahruf, er hat kein liebendes Herz zurückgelassen, er steht ganz allein in der Welt, aber vielleicht ist’s gerade dies, was ihm eine Thräne in’s Auge treibt, die brennend und heiß über die gebräunte Wange rinnt.

Immer weiter entfernt sich das Schiff vom Ufer, pfeilschnell fliegen Felder und Auen vorüber. Das Wehen der weißen Tücher dauert noch fort, es bildet die letzte Brücke, über welche die Gedanken der durch das Meer Geschiedenen zu einander fliegen. Da senkt sich ein grauer Nebel herab und verhüllt grausam den letzten schimmernden Streifen der heimathlichen Küste.

Der Seestern hat die Mündung des Flusses erreicht. Sein schmutzig gelbes Wasser wird heller und mischt sich hier und dort mit grünen Streifen des nahen Meeres. Die Wellen umspülen tanzend und hüpfend den schlanken Bug der Fregatte, als wollten sie mit ihr schäkern. Doch die Stolze achtet nicht der schmutzigen Gesellen; majestätisch bahnt sie sich den Weg durch das Wasser und immer schneller rauscht sie dahin. Fast ist es, als zöge es sie mit Zaubergewalt zu den krystallenen Fluthen des Oceans, die dort in der Ferne im reinsten Smaragd und in den Strahlen der durchbrechenden Sonne erglänzen. Dort auf der freien, unbegrenzten Ebene des Meeres ist der Tummelplatz der stolzen Schönen, nicht aber in dem trüben eingezwängten Flusse.

„Segler voraus!“ ertönt der Ruf des Ausguck auf der Vormarsraa. Die Fernröhre richten sich auf das gemeldete Fahrzeug, das, kaum als ein weißer Punkt am Horizonte bemerkbar, schnell emporwächst und mit fliegender Fahrt der Fregatte entgegensteuert. Seine Bauart und die am Topp seines Fockmastes wehende Signalflagge bezeichnen das Lootsenboot. Es hat die Lootsenflagge der Fregatte erkannt und kommt, um den Lootsen abzuholen, der den „Seestern“ durch die Sandbänke in der Mündung des Flusses geleitet.

Das „Alle Mann klar zum Manöver!“ bringt Jedermann schnell auf seine Station. Die Untersegel werden eingenommen, die Raaen am Großmast gegen und die übrigen scharf an den Wind gebracht. Auf „Ruder in Lee“ dreht sich dies unter den Händen der steuernden Matrosen nach der bezeichneten Seite, und das Schiff folgt den Wirkungen desselben, indem es sich mit dem Vordertheile gegen den Wind dreht. Dieser kommt allmählich von der Seite ein und wird dadurch stärker. Die Fregatte legt sich auf die Seite und das Tauwerk reckt sich und knackt, als ob es seine Stärke probiren wollte. Jetzt trifft er von vorn auf die backgelegten Segel, der dadurch ausgeübte Druck hemmt die Fahrt und in wenigen Minuten liegt das Schiff beigedreht, d. h. es geht nicht mehr vorwärts, sondern treibt nur langsam leewärts ab. Das Lootsenboot ist längseit gekommen; der Lootse, umringt von einem Theile der Mannschaft, steht an dem Fallreep, und packt die noch in Eile geschriebenen Briefe in seinen wasserdichten Kleidersack. Mit flüchtigem Händedruck und dem seemännischen Gruße „Behaltene Reise“ springt er in das kleine Fahrzeug, das seitwärts abscheert, um der Fregatte Raum zum Manövriren zu geben.

„Braßt voll!“ erschallt die Stentorstimme des ersten Lieutenants durch das Sprachrohr, accompagnirt von den Pfeifen der Unterofficiere. Die Raaen fliegen herum, die backgelegten Segel füllen, das Schiff erhält Fahrt und fällt langsam auf seinen Curs. Bald schäumen die Wellen von Neuem vor seinem Bug und die blähenden Segel treiben es pfeilschnell von dannen. In der entgegengesetzten Richtung segelnd, verschwindet das Lootsenboot im Nebel, der sich zwischen der Fregatte und dem Land gelagert.

An Backbord taucht ein anderes Fahrzeug aus den Fluthen empor, doch es führt kein Segel und schwankt wie ein Gespenst auf dem bewegten Wasser. Es ist das Feuerschiff, das dort in offener See ankert und die Schiffe vor einer gefährlichen Untiefe warnt. Aengstlich flieht jedes Fahrzeug seine Nähe. Einsam und verlassen, ein verlorener Posten des Landes, schaukelt es sich auf den Wogen, zur Gesellschaft nur den Sturm und die Möven, die schreiend und flatternd seine kahlen Masten umkreisen.

Das Deck der Fregatte ist aufgeklart, Boote und Geschütze sind seefest gemacht, und für die übrig bleibende Arbeit ist die ganze Mannschaft nicht mehr erforderlich. Steuerbordswache, die eine Hälfte der Besatzung, wird gemustert, der Officier der Wache übernimmt den Befehl, und Backbordswache kann vier Stunden unter Deck gehen und der Ruhe pflegen.

Heute jedoch wird die Freizeit nicht zum Schlafen benutzt. Die Eindrücke der letzten Stunden sind noch zu frisch, die Erinnerungen noch zu neu, um ihnen nicht nachzuhängen und das volle Herz den Freunden gegenüber auszuschütten. Bald haben sich die Tischcameraden zusammengefunden und an der gemeinschaftlichen Bank Platz genommen. Ueberall sieht man plaudernde Gruppen, und in der Officier- und Cadettenmesse werden die unterbrochenen Abschiedsbowlen fortgesetzt. Nur ein alter Bootsmannsmat, sonst einer der heitersten Gesellschafter, geht einsam und sinnend in der Batterie auf und ab. Vergebens sucht sein Freund Maas den alten Leberecht aufzuheitern; es gelingt ihm nicht, den Schweigsamen zum Sprechen zu bringen.

„’S ist Freitag,“ murmelte er, als Maas ihn verlassen; „sie lachen darüber,“ setzte er kopfschüttelnd hinzu, „aber ich weiß es besser, Freitagsegeln bringt nimmer etwas Gutes.“




Blätter und Blüthen.

Mit Bezug auf den Artikel des Rechtsanwalt Thesmar in Cöln: „die Privat-Irrenanstalten“ geht uns die nachfolgende Erklärung zu, die wir ohne Randbemerkung abdrucken lassen. Wir müssen selbstverständlich es dem Verfasser erwähnten Artikels überlassen, den Beweis der Wahrheit für die in seinem Artikel angeführten Behauptungen beizubringen. D. Redact.     

Erklärung. Die unterzeichneten Aerzte der Stadt Bonn halten es für ihre Pflicht, zur Rechtfertigung ihres in Nummer 49 dieses Jahres dieser Zeitschrift hart angegriffenen, ehrenhaften Collegen Dr. Hertz hiermit die Erklärung abzugeben, daß sie nach gewissenhafter Prüfung der betreffenden Thatsachen die Ueberzeugung gewonnen haben, daß die daselbst genannte Frau Geheimräthin Egen als wirklich geisteskrank in die Anstalt des Herrn Dr. Hertz gekommen und während der ganzen Dauer ihres Aufenthaltes daselbst geisteskrank geblieben ist; daß sie ferner in diesem Zustande die Anstalt am 5. September 1856 verlassen hat und am 1. October desselben Jahres einer andern Irrenanstalt übergeben worden ist, worin sie gegenwärtig noch verweilt.

Betreffs der in demselben Aufsatze enthaltenen Verdächtigung gegen die Anstalt unseres würdigen und allgemein geachteten Collegen Herrn Dr. Richarz in Endenich bei Bonn können die Unterzeichneten, gestützt auf eigene Anschauung und Kenntniß dieser Anstalt, nicht umhin, mit voller Ueberzeugung zu erklären, daß sich diese Anstalt, gleich wie jene des Dr. Hertz, durch die humane und liebevolle Behandlung, sowie durch die vortreffliche Pflege und Beköstigung, welche den Kranken in derselben zu Theil wird, wahrhaft auszeichnet. Die Angaben über die Einnahme besagter Anstalt, wie sie in jenem Aufsatze zur Stütze der Verunglimpfungen angeführt wird, muß als maßlose Uebertreibung bezeichnet werden.

Dr. Binz, Dr. Böcker, königlicher Kreisphysikus, Dr. Claus,
Dr. Fleischer, Dr. Kalt, Dr. Klein, Dr. Lange, Dr. Leo,
Dr. Nettekoven, Sanitätsrath, Dr. Parow, Dr. Schäfer,
Dr. Schäffer, Dr. Ungar, Dr. Velten, Sanitätsrath, Dr. Vogel,
Dr. Wieler, Sanitätsrath, Dr. C. Wolff, Dr. H. Wolff, Geh.
  Sanitätsrath, Dr. Zartmann.

Bonn, am 13. December 1858.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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