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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

ruhen fern von der Heimath an fremder Küste oder bleichen auf dem Meeresgrunde zwischen Muscheln und Korallen.

Doch nicht alle Gruppen sind von gleich schmerzlichen Gefühlen bewegt. Wie in der großen Welt da draußen, gehen auch in dieser kleinen Trauer und Freude neben einander her, und an Contrasten fehlt es auch hier nicht.

Dort sucht ein ehrsamer Schuhmachermeister vergebens nach einem lockern Matrosen, der seine Schuld nach beliebter Weise mit dem Vormarssegel bezahlen und die Quittung auf das Kielwasser schreiben will. Der lose Vogel hat sich im Wasserraum versteckt, und der forschende Gläubiger wird von den Cameraden des Schuldners von Pontius zu Pilatus geschickt, und erhält schließlich auf alle seine dringenden Fragen nach dem Verschwundenen die eine Antwort: „Ueber Bord,“ bis er, die Fruchtlosigkeit seines Suchens einsehend, den Rückzug über die Fallreep antritt und seufzend an das umsonst verausgabte Fahrgeld denkt.

Hier steht ein altes Mütterchen vor einem blühenden Knaben, der kürzlich als Schiffsjunge eingekleidet ist, aber bereits so keck und verwegen darein schaut, als habe er Gott weiß wie oft die Linie passirt. Die Großmutter gibt ihm gute Regeln auf den Weg und prägt ihm besonders ein, sich vor nassen Füßen zu hüten und nicht auf die Masten zu klettern. Der Enkel hört jedoch nur mit halbem Ohre auf die Ermahnungen und schielt beständig nach einem Korbe, den die alte Frau als Geschenk zu seinem nächstens eintretenden Geburtstage mitgebracht hat. Er mustert im Geiste den aus Kuchen und andern wohlschmeckenden Sachen bestehenden Inhalt und beschließt, mit Umgehung aller Kalenderordnung seinen auf den 2. December fallenden Geburtstag unmittelbar auf den heutigen 20. November folgen zu lassen. Obwohl er erst wenige Tage das Schiffsleben kennt, sagt ihm bereits sein Instinct, daß an Bord, wo ohnehin der Raum so beschränkt ist, dergleichen Gegenstände am sichersten im eigenen Magen aufgehoben sind. Vorn bei der Schiffsküche, der Kombüse, geht es etwas lauter her, als sonst die Schiffsordnung gestattet. Der Thierbändiger, wie die Schiffsjungen ihren als Viehwärter bestellten Cameraden betiteln, hat die Thür des Schweinestalles offen gelassen, und ein entwichenes Stück Schwarzwild, das durch die Batterie galoppirt und den Leuten zwischen den Beinen durchfährt, wird mit lautem Jubel verfolgt und wieder eingefangen. Der Thierbändiger erhält für dies Versehen von dem Koch, seinem speciellen Vorgesetzten, eine handgreifliche Ermahnung, die er sofort mit Zinsen an den eigentlichen Uebelthäter weiter gibt.

Unten in der Cadettenmesse, die an Backbordseite im hintern Zwischendeck gelegen ist und durch einen Abschlag von zwanzig Fuß Länge und sechs Fuß Breite gebildet wird, geht es gleichfalls lustig her. Ein langer Tisch und zwei zu dessen Seiten laufende Bänke lassen zwar für jeden Cadetten nur einen Sitzplatz von achtzehn Zoll Breite, jedoch liefert das Local den Beweis, daß auch in der kleinsten Hütte nicht nur Raum für ein liebendes Paar, sondern auch für das Vergnügtsein von einigen zwanzig Seecadetten sein kann. Einige der letztern sind schon öfter zur See gewesen, die meisten jedoch noch „grün“, d. h. sie haben noch kein Salzwasser gesehen. Diese blicken mit einer Art ehrfurchtsvoller Scheu auf die älteren Cameraden, die nicht verfehlen, durch Schilderungen von allen möglichen Erlebnissen sich mit einer Glorie zu umgeben. Zwar durchweben sie ihre Erzählungen, die fast nur von den verschiedenen Gefahren reden, aus denen sie das Schiff gerettet, mit allen möglichen technischen Ausdrücken und machen sie dadurch den Neulingen nur halb verständlich; aber das gibt der Sache gerade mehr Reiz. Eine Abschiedsbowle hat die jungen Leute in ihrer Kammer versammelt und bereits so auf ihre Geister eingewirkt, daß sich sämmtliche zwanzig an der Unterhaltung betheiligen, und diese dadurch ungemein lebendig wird. Plötzlich wird die Sitzung durch einen Sendboten des ersten Lieutenants und den Befehl unterbrochen, auf das Deck zu kommen. Hastig werden die Gläser geleert und die ganze Schaar begibt sich eilig zu dem strengen Vorgesetzten.

„Ich wollte Ihnen nur mittheilen, daß Sie in Zukunft sich in Ihrer Kammer etwas ruhiger zu verhalten haben,“ redet dieser sie an, „am Bord eines Kriegsschiffes muß stets die größte Ruhe herrschen. Bitte, sich danach zu richten; Sie können gehen.“

Alle beeilen sich, dem Befehle sofort nachzukommen und den Rest der Bowle zu vertilgen, doch das Schicksal ist ihnen nicht hold und mißgönnt ihnen die Freude. Im selben Augenblicke meldet der Bootsmannsmat die Gigh in Sicht und für die nächsten Stunden ist an kein ungestörtes Beisammensein zu denken.

„Wache an Deck, Fallreep,“ tönt das Commando des wachhabenden Officiers.

Die Gewehre und Helme der Seesoldaten rasseln, die Wache stürzt eilig auf das Deck, formirt sich und faßt das Gewehr an, scheinbar jedoch nicht mit dem gehörigen avec, denn man hört den Unterofficier leise fluchen: „Gott verd– mich, Kerls, was war mich das für ein Griff!“ Die Cadetten lachen wieder, aber leiser, wie vorher – der Capitain kommt.

Auf einen eigenthümlichen Ruf der Bootsmannspfeife springen vier hübsche Knaben, die Fallreepsjungen, durch die Luken herauf und postiren sich an die Treppe, um dem Ankommenden die Taue zu halten. Ihr kleidsamer Anzug sitzt ihnen wie angegossen und die Hüte mit langflatterndem Seidenbande sind keck auf dem Kopfe nach hinten geschoben. Maas, der Bootsmannsmat, wirft einen prüfenden Blick auf sie, zieht die Beinkleider in die Höhe und verzieht sein hartes, wettergebräuntes Gesicht zu einer schmunzelnden Grimasse. Dies ist ein Zeichen der Zufriedenheit mit dem Aussehen der Knaben, deren Seevater er ist, d. h. deren seemännische Erziehung ihm speciell übertragen ist.

Erster und wachehabender Officier haben den Hut aufgesetzt und den Säbel umgeschnallt, und stehen an der Fallreep. Alle übrigen Officiere und Mannschaften treten nach der entgegengesetzten oder Backbordseite des Schiffes, der Bootsmann pfeift die Seite und Capitain Tratsert, Befehlshaber Sr. Maj. Fregatte Seestern, betritt das Deck. Alles greift ehrerbietig an die Kopfbedeckung und begrüßt den König des kleinen schwimmenden Fahrzeuges.

Capitain Tratsert hat indessen wenig Königliches an sich, ist klein und mager von Figur. Neben der stattlichen großen Gestalt des ersten Lieutenants erscheint er sehr unvortheilhaft. Er wechselte mit Letzterem einige Worte und verschwand gleich darauf in seiner Cajüte. „Lassen Sie alle Mann aufpfeifen,“ wendete sich der erste Lieutenant an den Officier der Wache, indem er die Commandobank bestieg. Der Bootsmann lockt mit einem Signal seine Maten, welche sich an die Luken der verschiedenen Decke begeben, und ein schrillendes Sextett von drei langen Rollpfiffen, das in die entlegensten Winkel des Schiffes dringt, avertirt die Mannschaft. Eine Todtenstille folgt und Jeder lauscht. In einem Basse, der in der übrigen Welt seines Gleichen sucht, aber unerläßliche Eigenschaft eines guten Bootsmannes ist und deshalb bei den Seeleuten Bootsmannsbaß heißt, donnert das „Alle Mann auf, klar zum Manöver!“ in die Räume hinunter und findet ein Echo in den Bootsmannsmaten, die in den untern Verdecks die Befehle repetiren.

Jetzt folgt der Stille ein Gepolter und Summen und Lärmen, daß man sein eigenes Wort nicht verstehen kann. Vierhundertfunfzig Paar Beine setzen sich plötzlich in Bewegung und stürmen die Treppen hinauf, um sich auf dem Oberdeck in Manöverdivisionen zu formiren. Nach zwei Minuten ist Alles oben und es herrscht abermals die größte Stille.

Bei „Alle Mann auf“ übernimmt stets der erste Officier das Commando und der Wachehabende begibt sich auf seine Station.

„Boote heißen, Fremde von Bord,“ ertönt es von der Commandobank. Die Bootsgasten springen in ihre Fahrzeuge, die übrigen Leute bemannen die Bootstaljeläufer und der Stabswachtmeister ermahnt die Fremden, je nach Alter und Geschlecht mehr oder minder höflich, das Schiff zu verlassen.

Die bittere Scheidestunde ist gekommen. Noch ein warmer Händedruck, ein seelenvoller Blick wird ausgetauscht mit den Lieben, und dann bleibt nur – die Erinnerung. Doch jetzt ist nicht die Zeit, trüben Gedanken nachzuhängen, die Boote werden an ihren Strähnen aufgeheißt und das Commando „Klar zum Untersegelgehen“ beschäftigt alle Gemüther. Das Gangspill wird bemannt, die Musik spielt eine heitere Weise und unter dem taklmäßigen Marsche der Matrosen um die Ankerwinde hebt sich die Kette Glied für Glied aus dem Wasser.

„Der Anker ist auf und nieder,“ meldet der Officier auf der Bank. Die Musik schweigt, die Winde steht still und die Segellöser, welche das jetzt folgende Commando schon kennen, haben sich bereits an den Wanten aufgestellt.

„Segel los,“ lautet der Befehl, und im Nu wimmeln die Wanten von Blaujacken. Sie klettern wie die Katzen in den Strickleitern empor, Einer sucht dem Andern zuvorzukommen; wagehalsig laufen sie, ohne sich anzuhalten, auf den Raaen hinaus und in anderthalb Minuten sind alle die sauber aufgerollten Segel von den flinken Burschen gelöst. Auf das Commando „Fallen“ rauschen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_055.jpg&oldid=- (Version vom 24.1.2023)