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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

einen, wenn auch kleinen, doch mit irgend welchem Verkehr, insbesondere mit einem Schuhmacher gesegneten Ort zu finden, mich nicht einmal mit Bergschuhen versehen, geschweige denn an einem Unterkommen gezweifelt. Allein in dieser Beziehung hatte ich mich zu harmlosen Vorstellungen überlassen. Glücklicher Weise ließ mich wenigstens der noch immer gut gebahnte Weg, den ausschließlich Se. Hoheit der Herzog von Coburg erhält, nicht im Stich, und ich wanderte daher in meinen kalbledernen Stadtstiefelchen, die mir, nebenbei gesagt, auf halbwege gutem Pfade lieber sind, als solche, mit wahren Radnägeln beschlagene, rindslederne, harte Gebirgschuhe, fröhlich weiter. Nahm mich doch auch die imposanteste Natur zu sehr in Anspruch, als daß sie mich hätte Fragen der Fußbekleidung erwägen lassen.

Je weiter ich kam, desto enger wurde das Thal, so daß zuletzt nur auf der einen Seite der wildströmenden Riß noch Raum für den Weg im Thale war. Das Laatschengebüsch (Knieholz) trat sonderbarer Weise schon hier häufig auf mit schlangengleichem, zähem Gezweig und dunkelm, saftiggrünem, üppigem Nadelwuchse den Boden bedeckend oder hier unten im Thale sich ausnahmsweise bisweilen zu einem dürftigen Baume, ähnlich einer verkrüppelten Kiefer, gestaltend. Da, wo die mit Laub- und Nadelwald bekleideten Bergesmassen Schluchten bildeten, klimmte das Knieholz in diesen hinan, bis es über dem eigentlichen Walde die Herrschaft gewann und das Auge nur noch diese Vegetation und grüne Matten durchstreifte. Zuletzt thronte das todte, zerklüftete Gestein wie eine Mauerkrone über Allem. Im Thale rauschte, wie schon erwähnt, die wilde Riß dahin, grünwellig und weißschäumig, der Isar ähnlich, in die sie sich ergießt. An gewissen Stellen, wo sich der Weg hoch über dem Ufer des sich überstürzenden Wassers hinzieht, verengt sich das Flußbett, man möchte sagen, zur bloßen Spalte. Hier ist der Anblick großartig, wenn man mit Hülfe sich über den Abgrund neigender Bäume an die in die Tiefe abschießende Felswand vortritt und unter sich das wie im Zorn brausende, seine engen Felsufer unterhöhlende Gewässer tobend dahinstürmen sieht, als wolle es so schnell als möglich seinen Zwangspaß zurücklegen, um Freiheit zur Ausbreitung zu gewinnen.

Von eingetretenem Regen getrieben, beschleunigte ich meine Schritte, so daß ich in Kurzem in der Hinterriß anlangte. Es steht hier ein reizendes, vom Fürsten von Leiningen im Burg-Styl erbautes Jagdschloß, welches jetzt Besitzthum des Herzogs von Coburg ist. Nicht weit davon befindet sich ein malerisches, geräumiges Jagdhaus, in dem der Herzog zur Jagdzeit ausschließlich wohnt. Außerdem begegnet der Blick da, wo sich das Thal erweitert, einem Kirchlein, dem sich ein von vier Mönchen und einem Pater bewohntes Gebäude anschließt, dem sich wieder ein Wirthschaftsgebäude zugesellt, worin das sogenannte Gasthaus nebst Ställen für das Vieh des Wirthes befindlich ist. Diese Herberge nun, welche als Schild ein Cigarrenkastenbretchen, auf dem mit Tinte „Gasthaus“ geschrieben stand, führte, wurde mein Absteigequartier, an das ich noch jetzt nicht ohne Schauder zurückdenken kann. Die Wirthin, eine Frau von etwas düsterer, schmutziggrauer Färbung, hatte nämlich die Ueberzeugung, daß alles für die Leibesnahrung Nothwendige in unmittelbare Berührung mit ihren Fingern gekommen sein müsse, ehe es genossen werden könne. Hieraus machte sie auch durchaus kein Hehl, wie ich gleich am ersten Abend erfahren sollte.

Ich hatte mir einen „Schmarren“ bestellt, und da die Küche in diesem Gasthof der einzige erträgliche Aufenthalt war, so bekam ich Gelegenheit, die Art und Weise, wie mir „mein Brod gebacken wurde“, mit anzusehen. Zuerst wurde Milch an’s Feuer gesetzt und durch Eintauchen des Fingers, der übrigens – die Gerechtigkeit erfordert die Anerkennung – jedesmal sauber abgeleckt wurde, so oft gekostet, bis der gehörige Wärmegrad erprobt war; dann kam sie in einen Tiegel mit Mehl, um mit diesem zu einem Brei vermischt zu werden, dem ein paar Eier zugesetzt wurden, wobei die treffliche Köchin nicht verfehlte, deren zarte Schalen mit dem Finger rein auszuwischen und das an ihm Haftende in die allgemeine Masse, die mir zugedacht war, geschickt hineinzuschlenkern. Endlich pflückten ihre gewandten Hände noch die leckere Butterzuthat in das Gericht, und in fünf Minuten durfte ich mir Appetit wünschen.

Nach solcher Erfahrung zog ich es am andern Tage vor, mir Eier, Butter und einen Tiegel geben zu lassen, um mir selbst ein frugales Mahl zu bereiten; doch auch da entging ich meinem Schicksale nicht, denn als ich fertig war und die gelungenen „Eier auf Butter“ auf den Teller geschüttet hatte, siehe, da that meine gute Frau Wirthin wieder, was sie nicht lassen konnte, tunkte die fürchterliche Fingerspitze in jedes der zitternden Eidotter, natürlich nicht, ohne sie jedesmal gewissenhaft abzulecken, und belobte mich, wie vortrefflich ich es mit dem Grade der Weichheit getroffen hätte. Resignirt ließ ich später Alles über mich ergehen, da es nicht zu ändern war. Um mich übrigens nicht dem Verdacht der Uebertreibung auszusetzen, darf ich bemerken, daß das Haus von den wenigen Bewohnern der Hinterriß mit volksthümlichster Aufrichtigkeit der „Gasthof zum dreckigen Löffel“ benamst wurde. Glücklicher Weise spreche ich von vergangenen Zeiten. Die Wirthschaft ist jetzt in ganz andern, nämlich reinlichen Händen. die sich von unberufenen Einmischungen frei halten. Die Wirthsleute von damals sind, wenn ich nicht irre, nach Innsbruck gezogen, und jetzt waltet an ihrer Statt ein Förster mit seiner Familie.

Obgleich ich im strömenden Regen angekommen war, ließ ich mich, da es noch früh am Tage war, nicht abhalten, sobald ich meine Reisetasche abgelegt hatte, in die Berge zu steigen. War ich nun doch einmal so naß, daß es mir auf etwas mehr nicht ankam, und wahrlich, ich hatte nicht Ursache, mein Unternehmen zu bereuen. Allerdings erschien die Natur wie grau in grau gemalt, und nur das herbstlich bunte Buchenlaub war die einzige wirkliche Farbe, welche die Einförmigkeit unterbrach; desto gewaltiger aber wirkten die Formen. Massenhaft stieg der Wald empor, massenhaft überragten ihn die kahlen Wände, und massenhaft thürmten und ballten sich die Wolken um die tief grau-violett gefärbten Häupter des Gebirges, sie hier und da verhüllend und an ihnen sich niedersenkend in den Wald, um schwer darüber hinzuziehen, bis sie entweder in Regen zerflossen oder wieder emporzogen und an den steilen Wänden gleichsam hinankletterten, um sich mit dem Wolkenmeere über den Bergen wieder zu vereinigen und das alte Spiel auf’s Neue zu beginnen. Bald befand ich mich selbst in den Wolken; hier den einen Weg verfolgend, kam ich auf eine verlassene Alm. Hier bot sich eine wundervolle, wenn auch durch den Regen beschränkte Aussicht meinen Blicken dar. Zackig stiegen aus einem unter mir liegenden Thale die Wände empor, näher erscheinend, als sie es in Wirklichkeit waren – ein Phänomen, das, so das entgegengesetzte, im Gebirge sehr häufig vorkommt, weshalb sich der Schütze sehr daran zu gewöhnen hat, um nicht zu weit oder zu nah zuzuschießen. Da, wo Wald die Berge deckte, sah man an manchen Stellen, wie ihn die Lawinen in ihrem rasenden Fall streifenweise vernichtet hatten. Solch ein mit den verwetterten, grauen Baumleichen übersäeter Wahlplatz schaute gar düster darein, wozu die umherschwärmenden, goldgelb geschnäbelten, rothfüßigen, sonst rabenschwarzen Alpendohlen mit ihrem pfeifenden und, wenn auch angenehmen, doch ungemein melancholischen Ton eine höchst charakteristische Staffage bildeten. Höher schlug mir das Herz, als trotz so schlechtem Wetter an der gegenüberliegenden Gebirgslehne aus dem düster gefärbten Walde der mächtige Schrei eines Hirsches erschallte, der wie fern rollendes Gewitter sich dröhnend als Echo fortsetzte und in der Ferne von einem Nebenbuhler beantwortet wurde. Wer niemals einen Hirsch schreien hörte, namentlich nicht im Gebirge, hat keine Ahnung davon, wie großartig das klingt! Gewaltig, löwenhaft, ist diese Stimme der ausgesprochenste herausforderndste Ausdruck mannhaften Zornes und brennender Kampfbegier; Aufruf zum Wettstreit und Warnung, ihn anzunehmen, zugleich!

In längerem Pausen wiederholte sich des Liebebrünstigen Geschrei, bis er, vielleicht in einer Suhle liegend, das Zornesfeuer gedämpft hatte und still wurde. Das war mir wahrhaft lieb, denn ich hätte mich sonst kaum schon entschließen können, in’s Thal hinabzusteigen, und doch war es die höchste Zeit, wenn ich nicht der einbrechenden Dunkelheit überrascht werden wollte. Ich trat deshalb schleunigst den Rückweg an, und kam dennoch bereits im Finstern in meinem classischen Gasthof an. Der Hunger, der nach dem Sprüchwort der beste Koch ist, würzte den naiv bereiteten Schmarren, und der Wirthssohn, ein herzensguter Mensch, erfreute mich den Abend über beim Feuerschein des Heerdes mit reizend hübschem Citherspiel. Nachdem ich meine Sachen zum Trocken am Heerd aufgehängt hatte, beschloß ich, mich schlafen zu legen, und bald umfing mich das Bett freilich nur halb, wenigstens das Oberbett, das jedenfalls nur für einen halbwüchsigen Menschen bestimmt war. Wollte man sich ganz darunter bergen, blieb einem nichts übrig, als sich wie ein Taschenmesser zusammenzuknicken; denn

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