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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

müssen danach weiter verfahren. Der Bruder dieser jungen Dame ist gestern wegen Betrugs und Wechselfälschung von der Polizei arretirt und den Criminalgerichten überliefert.“

Da stieg in das Gesicht der schönen Gräfin die satanische Freude über das Kind, von dem sie vorhin in der verbotenen Umarmung überrascht worden war.

„Ach, ein würdiges Geschwisterpaar! Der Bruder Wechselfälscher, die Schwester Diebin!“

Der Regierungsrath zuckte die Achseln.

„Und der Vater Gottesleugner! Können die Kinder anders werden? Der Mann soll noch nie gebetet haben!“

Auch der Polizeimann mußte das sagen, und auch er konnte es nicht ohne ein inneres Grauen.

Und das arme, reine, edle Kind sollte eine Diebin sein, weil der Vater nie gebetet hatte!

Die stolze Gräfin hatte rasch einen Entschluß gefaßt. Es war der Entschluß der Bosheit, der Rache, der Rache für jenen Zufall. Es war aber auch zugleich ein Entschluß der eigenen Sicherung: eine Mittheilung über jene Ueberraschung aus dem Munde einer Diebin, auch nur einer verdächtig gemachten, war offenbare, rachsüchtige Lüge, die Niemand glaubte.

Sie sprang auf, zu dem Kreise der Damen.

„Meine Damen, ich vermisse mein Diamantkreuz. Es hat einen hohen Werth. Hat keine von Ihnen es gesehen?“

Sie hatte es laut gerufen, in sonderbarem Tone. Ein allgemeiner Schrecken verbreitete sich. Am meisten erschrak Antonie Rohner. Sie hatte das Kreuz gefunden, schon seit einiger Zeit, und sie hatte es nicht zurückgegeben, sie trug es noch in ihrer Tasche. Doch daran mochte das arglose Kind am wenigsten denken. Aber wenn sie sagte, daß sie es gefunden habe, mußte sie dann nicht auch sagen, wo sie es gefunden hatte? Und konnte sie das?

Sie fuhr dennoch unwillkürlich mit der Hand in die Tasche. Die Gräfin sah es. Sie sah es mit einem fürchterlichen Triumphe.

„Auch Sie nicht, Fräulein Rohner?“ rief sie lauter.

Das Kind hatte in ihrer doppelten Herzensangst das Kreuz schon hervorgezogen. Ihre bebenden Hände hielten es der Gräfin hin.

„Ach, doch Sie!“ rief die Dame.

„Ich fand es –“

Das arme Kind stockte. Sie konnte vor allen den Zeugen nicht weiter reden.

„Ach, Sie fanden es! Ich lag in Ihren Armen!“

Antonie kämpfte in Todesangst mit sich.

„Sonderbar,“ sagte der Regierungsrath einer Dame in’s Ohr, „gestern ist ihr Bruder wegen Wechselfälschung in das Criminalgefängniß eingeliefert.“

Die Dame schrie laut auf:

„Der Bruder ein Wechselfälscher?!“

„Wie ich Ihnen sage, und schon in den Händen des Gerichts.“

„Seit gestern?“

„Seit gestern.“

„Und sie ist heute auf dem Balle!“

Die Dame hatte laut genug gerufen, der Herr hatte laut genug geantwortet. Es entstand ein allgemeiner Tumult.

„Der Bruder ein Fälscher!“

„Dem Criminalgerichte überliefert!“

„Und die Schwester auf dem Balle!“

„Und sie war so erschrocken!“

„Und sie hatte das Kreuz!“

„So jung noch!“

„Und in solcher Gesellschaft!“

„Es ist entsetzlich!“

„Unter uns eine Diebin!“

Die Menge glaubt immer zuerst das Schlechteste. Auch die vornehme Menge. Und hatten sie nicht manche Zeichen eines Schuldbewußtseins vor sich?

„Auf meinem Balle mußte das passiren,“ jammerte die Präsidentin.

„Ich hatte sie für einen Engel gehalten,“ rief mit Abscheu die alte Generalin.

Sie gehörten ja auch zu der Menge. Antonie Rohner hatte jedes Wort gehört. Nein, nicht mehr alle, nur die ersten. Aber es war genug, um ihr die Sinne, den Verstand zu verwirren. Ihr Gesicht war weiß wie Kreide geworden; die Züge waren entstellt, die erloschenen Augen starrten wie wahnsinnig; der Wahnsinn hatte sie ergriffen.

„Der Bruder ein Betrüger! Die Schwester eine Diebin!“

Sie schrie es selbst laut auf.

Der Tumult hatte ihren Vater herbeigeführt. Sie stürzte sich in seine Arme.

„Ich bin eine Diebin, Vater. Sie wollen mich tödten. Bete! Bete für mich!“

Die buschigen Augenbrauen des Raths Rohner senkten sich tiefer, seine Lippen kniffen sich fester zusammen, sein Gesicht wurde härter. So führte er die wahnsinnige Tochter aus dem Ballsaale.

Er betete nicht.

(Schluß folgt.)




Das germanische National-Museum zu Nürnberg.
Von Sgd. S.

Daß im Herzen des deutschen Vaterlandes, in der altehrwürdigen Reichsstadt Nürnberg, ein germanisches Museum besteht, dessen Streben darauf gerichtet ist, gleichsam ein Denkmal deutscher Geschichte, Wissenschaft, Cultur und Kunst aufzubauen, das ist eine Thatsache, die sowohl uns Deutschen wie auch den Ausländern den Beweis liefert, daß trotz aller separatistischen Hindernisse ein nationaler Sinn bei uns noch nicht geschwunden ist.

Ja, wir können mit Recht darauf stolz sein, in dem germanischen Museum einen Mittelpunkt zu besitzen, der aus dem Bedürfnisse einer allseitigen wissenschaftlichen Erforschung der historischen Quellen des Gesammtvaterlandes hervorgegangen ist. Welche herrliche Früchte wird aber noch der Baum tragen, der schon als junger Stamm auf dem Gebiete der Wissenschaft die kräftigsten Zweige getrieben hat! Bilden ja doch bereits jetzt nach Verlauf von wenigen Jahren über zweihundert der hervorragendsten Männer deutscher Wissenschaft den Gelehrtenausschuß des germanischen Museums, so daß es schon gleichsam zu einer Akademie der historischen Wissenschaften herangereift ist.

Das deutsche Volk kann es nicht genug anerkennen, daß ihm durch die Strebsamkeit des germanischen Museums ein großartiges Gesammtbild seiner früheren vaterländischen Zustände in Kirche, Staat und Familie vorgeführt und es ihm sonach möglich gemacht wird, durch Kenntniß der Vergangenheit eine richtige Anschauung der Gegenwart zu gewinnen. Denn die Vergangenheit in ihrer Wahrheit durch gründliche Forschungen zu durchschauen, und die im Schooße früherer Jahrhunderte schlummernden Schätze zu Tage zu fördern, das ist die schöne Aufgabe, welche sich das germanische Museum gestellt hat.

Ueberschaut man die wenigen Jahre seit dem Bestehen des germanischen Museums, so wird man von Staunen erfüllt, welche befriedigende Resultate diese Anstalt bereits erzielte, mit welcher Sicherheit sie aus der von ihr betretenen Bahn fortgeschritten ist, wie sie trotz vieler Hindernisse ihr schönes Ziel niemals aus den Augen verloren hat.

Schon im Jahre 1830 gab ein Handbillet des Königs Ludwig von Baiern, dessen erhabener Sinn für das Schöne und Edele sowohl in Deutschland, wie auch weit über dessen Grenzen hinaus bekannt ist, dem Freiherrn von Aufsess den Impuls zur Gründung eines deutschen Museums. Aufsess bot Alles auf, die Idee zu einem solchen Museum zu verwirklichen, und brachte seinen Plan wenigstens soweit in Ausführung, daß er eine allgemeine Gesellschaft für deutsche Alterthumskunde und Geschichte in Nürnberg begründete. Wurde auch dieser Gesellschaft von mancher Seite die gebührende Beachtung geschenkt, so stieß sie doch auch wieder auf viele nicht zu überwindende Hindernisse. Eine regelmäßige Jahresversammlung deutscher Geschichts- und Alterthumsforscher, wie sie Aufsess beabsichtigte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_036.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2019)