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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

augenscheinlich war er lebhaft mit dem Schicksal seiner hinterlassenen Geliebten beschäftigt. Mit Entschiedenheit wies er das Gesuch seiner übrigen Kinder, der Prinzen und Prinzessinnen, zurück, die gekommen waren, um von ihm Abschied zu nehmen. Durch die Gräfin war er seiner Familie gänzlich entfremdet worden; desto besorgter zeigte er sich um sie. Auf seinen Wunsch mußte sie eine Mappe von rothem Maroquin mit wichtigen Papieren in Sicherheit bringen. Dies konnte jedoch nicht mehr unbemerkt geschehen, da das Marmorpalais von Spionen und Aufpassern wimmelte und jeder Schritt seiner Bewohner beobachtet und sofort nach Berlin und an den Hof des Kronprinzen berichtet wurde. Hier machte sich endlich der lang verhaltene Groll gegen die Lichtenau Luft; die Menge beschuldigte sie der schwersten Verbrechen, der Unterschlagung großer Summen, des Diebstahls und selbst des Landesverrathes. In seinem dunklen Instinct ahnte das Volk, daß die Gräfin hauptsächlich Schuld an der allgemeinen Demoralisation, dem Verfalle der Monarchie, an der Verschleuderung des Nationalvermögens, an der sittlichen Erschlaffung des Königs, an der Verderbniß seiner nächsten Umgebung habe, welche auf alle Schichten der Gesellschaft zurückwirkte.

Angegriffen von düsteren Sorgen, erschöpft von den Nachtwachen und der Pflege des Kranken, an den sie sich als ihre letzte Zuflucht fest anklammerte, erlag die Gräfin einem ohnmachtähnlichen Zustande, der dazu benutzt wurde, um sie aus der Nähe des sterbenden Monarchen zu entfernen. Dieser blieb jetzt auf seinem Lager einsam und verlassen, kein Verwandter, kein Höfling, keine theilnehmende Seele war zugegen, um ihm die gebrochenen Augen zuzudrücken. Alle waren zu dem Palaste des Thronfolgers geeilt, um den künftigen Herrscher zu begrüßen. Nur der Kämmerer Rietz, ein französischer Kammerdiener und drei Jäger blieben noch, ungeduldig den letzten Seufzer in Empfang zu nehmen. Die Zeit wurde ihnen dabei lang und ein roher Lakai rief:

„Nimmt denn das gar kein Ende, will er immer noch nicht platzen?“

Der König, dessen Bewußtsein nicht ganz geschwunden war, schlug noch einmal die erloschenen Augen auf und stieß einen tiefen, seinen letzten Seufzer aus. So starb Friedrich Wilhelm der Zweite, der bei seiner Thronbesteigung „der Vielgeliebte“ hieß.

Der Minister Bischofswerder eilte mit der Nachricht nach Berlin, zugleich erhielt der bekannte Graf Haugwitz von dem neuen König den Befehl, die Lichtenau und ihren Anhang verhaften zu lassen. Sie lag, während der frühere König starb, in ihrem Bette; erst als ihre Mutter mit thränenden Augen vor ihr erschien, ahnte sie die schreckliche Wahrheit. Mit einem Schrei stürzte sie an das Fenster; sie sah die Leibgarde mit den hohen Blechkappen und in ihren weißen Stiefeletten im feierlichen Schritte nach dem Schlosse ziehen, um nach altem Brauche den Leichnam des Monarchen zu bewachen. Verzweiflungsvoll sank sie auf ihre Kniee; ihre Mutter kniete neben ihr; sie wußte, welch’ ein Schicksal ihr bevorstand, aber sie konnte nicht mehr entfliehen. Der Adjutant von Zastrow kündigte ihr an, daß sie seine Gefangene sei.

Gegen die Gräfin wurde eine förmliche Untersuchung eingeleitet, die von dem Minister von der Reck, dem Kammergerichts-Präsidenten von Kircheisen und dem Geheimen Cabinetsrath Beyme geführt wurde. Man beschuldigte sie, die Geheimnisse des Staats verrathen, Gelder der Krone angegriffen und königliche Domainen usurpirt zu haben. Außerdem legte man ihr eine Reihe kleinerer Verbrechen, Entwendung des Kronsolitaires und anderer Schätze, zur Last. Sie vertheidigte sich gegen diese Beschuldigungen, und allen documentarischen Zeugnissen nach hat man niemals die Richtigkeit derselben beweisen können. Nichts desto weniger wurde sie durch eine Cabinetsordre des Königs zum Verlust ihrer sämmtlichen Besitzungen, Häuser, Paläste und Güter, die ihr der verstorbene Monarch geschenkt hatte, verurtheilt, ebenso verlor sie die 500,000 Thaler in holländischen Banknoten, die noch unberührt bei ihr gefunden wurden. Sie selbst wurde auf die Festung Glogau verwiesen, wo 4000 Thaler zu ihrem Unterhalte ausgesetzt waren. Ganz Berlin jubelte über den Sturz der Favoritin, deren Treiben jetzt in unzähligen leidenschaftlichen Pasquillen und Brochuren angegriffen wurde. Ihre Gefangennehmung war für sie als eine Wohlthat anzusehn, da das Volk auf das Höchste gegen sie erbittert war. Nach und nach wurde indeß diese Stimmung eine mildere; man gestattete ihr auf der Festung einige Freiheit; sie durfte ein eigenes Haus beziehn, Freunde und Bekannte bei sich empfangen. Ihr Sinn für Geselligkeit schien sie auch im Unglück nicht verlassen zu haben, ihre Lebenslust dieselbe geblieben zu sein. Ungeachtet sie das vierzigste Lebensjahr bereits überschritten hatte, blieb sie noch immer eine anziehende Erscheinung. Ein ausgezeichneter englischer Officier, der sie in Glogau kennen lernte, bewarb sich um ihre Hand und nahm, da er von ihr zurückgewiesen wurde, das Malteserkreuz, um sich nie wieder zu verheirathen.

Glücklicher war ein Herr von Holbein, der unter dem angenommenen Namen „Fontano“ in Glogau als Schauspieler und Sänger auftrat. Der noch junge und interessante Lautenschläger entzückte durch seinen Gesang und seine Unterhaltung die gefangene Gräfin dermaßen, daß sie ihm ihre Hand nicht versagte. Auf ihr wiederholtes Ansuchen wurde sie im Jahre 1800 in Freiheit gesetzt, nachdem sie zuvor eidlich versprochen hatte, auf alle ihre Ansprüche wegen der confiscirten Güter und Summen zu verzichten und „von den ihr vorgelegten Fragen nichts bekannt zu machen“. Unter dieser Bedingung erhielt sie die Freiheit und zugleich die Erlaubniß, Herrn von Holbein heirathen zu dürfen. Sie zog mit ihrem Gatten nach Breslau, wo sie einige Zeit im sogenannten „Bischofsgarten“ wohnte und von der ihr ausgesetzten Pension und den Resten ihres noch immer ansehnlichen Vermögens lebte. Ihre Ehe war jedoch nicht glücklich; der jüngere Mann scheint ihr wiederholte Beweise seiner Untreue gegeben zu haben. Das Gerücht beschuldigte ihn sogar, die Veranlassung zu dem grausamen Morde gewesen zu sein, den ein Herr von Trojer, ein ungarischer Edelmann, aus Eifersucht an seiner Frau verübte, ein Ereigniß, das damals in Breslau großes Aufsehn erregte, noch mehr aber durch die Experimente bekannt wurde, welche der spätere Geheimrath Wendt an dem Körper des Hingerichteten Mörders mit dem eben auftauchenden Galvanismus vornahm, um das andauernde Bewußtsein nach dem Tode durch das Beil zu erweisen.

Zuletzt sah sich die Lichtenau von ihrem ungetreuen Manne verlassen, der heimlich von ihr nach Wien gegangen war, wo er als Theaterdichter eine angemessene Stellung erhielt.

Die Gräfin selbst sah noch den traurigen Sturz der preußischen Monarchie nach der Schlacht bei Jena, den sie zum Theil durch die von ihr beförderte Sittenlosigkeit und Fäulniß des Hofes mit herbeigeführt hatte. Sie wandte sich an Napoleon und bewirkte durch seine Vermittlung die Rückgabe eines nicht unbedeutenden Theiles ihres Vermögens, indem sie dem Kaiser die willkommene Gelegenheit bot, sie an dem König zu rächen, und Preußen noch mehr zu demüthigen. Sie erlebte auch noch die Befreiungskriege und starb erst im Jahre 1820, von ihren Zeitgenossen fast vergessen, ein trauriges Bild menschlicher Vergänglichkeit, einst mit königlichem Glanz umgeben, zuletzt die geschiedene Frau eines mittelmäßigen Theaterdichters. Auf ihrem Andenken lastet der schwere Vorwurf, das sittliche Familienleben, welches von dem preußischen Herrscherhause stets geachtet wurde, für lange Zeit zerstört, den schwachen König vollends körperlich und geistig ruinirt zu haben. Unter ihrem Schutze und durch ihr Beispiel entwickelte sich in Berlin jene entnervende Demoralisation, welche erst durch die schweren Unglücksfälle, von denen die Nation getroffen, und durch die Begeisterung der Freiheitskriege beseitigt wurde. Die Lichtenau und die von ihr unterstützten und beförderten Creaturen am Hofe hatten den Staat an den Rand des Abgrundes gebracht, aus dem er erst wieder durch die sittliche Kraft und Erhebung des Volkes gerettet wurde.

Max Ring.




Schönbrunn.

Wenn der erste Frühlingsstrahl auf den Giebeln der Wiener Häuser den Schornsteinen erzählt, daß er nun Baum und Strauch im Walde wieder reifen machen müsse, damit sie im nächsten Winter nicht darben, da pilgern die Wiener schon hinaus nach Schönbrunn, dem schönen Sommerschloß ihres Kaisers, um die Blumenflur, die prachtvollen Hyacinthenbeete mit ihrem süßen, lieblichen fast überwältigenden Duft und ihrem märchenhaften Farbenschimmer, die sie wie Sultane aus orientalischen Zelten ergießen, in Augenschein zu nehmen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_027.jpg&oldid=- (Version vom 10.1.2023)