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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Koketterie der „Cleopatra“ erinnerte. Bei einigen Strophen der Oper, in denen sich Octavia über die Untreue des Antonius beklagte, sah man, wie die Königin ihre Thränen in ihrem Taschentuche verbarg.“

Der Gesundheitszustand des Königs machte wiederholte Badereisen nach Pyrmont nöthig. Die Gräfin begleitete ihn. Mehr als zwanzig Souveraine und Fürsten hatten sich bei seinem dortigen Aufenthalte eingefunden, um ihm ihre Ehrfurcht zu bezeigen, da man damals noch in dem preußischen Herrscher den Schiedsrichter von Europa sah und sein Thron noch immer in dem Nimbus glänzte, den Friedrich der Große hinterlassen hatte. Pyrmont wimmelte zu jener Zeit von einflußreichen Personen, von Diplomaten, Fremden und besonders von französischen Emigranten, welche sich auf der Promenade um den König drängten. Ein Theil dieser Huldigungen fiel auf die Gräfin zurück; damals tauchte auch in ihr und dem Könige, wahrscheinlich von dem excentrischen Lord Bristol angeregt, der Plan auf, die Lichtenau zur souverainen Fürstin zu erheben, und zu diesem Zwecke dem Fürsten von Waldeck Pyrmont abzukaufen. Die bereits angeknüpften Unterhandlungen zerschlugen sich jedoch, und der König zog es vor, der Gräfin eine halbe Million Thaler in holländischen Bankbillets zu schenken, um damit ihre Zukunft sicher zu stellen.

Scheinbar gebessert kehrte der König nach Berlin zurück, wo zur Feier seiner vermeintlichen Genesung große Festlichkeiten veranstaltet wurden. Die Stadt hallte von dem Geläute der Glocken und dem Schmettern der Musikchöre wieder; auf allen öffentlichen Plätzen fanden Volksbelustigungen statt; es wurde getanzt, die Armen gespeist, freies Theater gegeben. Des Abends waren alle Straßen glänzend erleuchtet. Trotzdem der König sich an diesem Tage nicht wohl fühlte, wollte er doch die allgemeine Freude nicht stören; theils zu Fuße, theils zu Wagen genoß er das ihm zu Ehren gegebene Schauspiel. Mittags und Abends wohnte er dem Zweckessen bei, welches die Stadt auf ihre Kosten veranstaltete. Die Königin hatte sich mit Unwohlsein entschuldigen lassen, ihre Stelle nahm die Gräfin Lichtenau ein; der Kronprinz hatte sich auf den ausdrücklichen Befehl seines Vaters einfinden müssen. Bei der Tafel erschien die Gräfin im griechischen Gewande mit einem goldenen Diadem in den Haaren, nach Angabe des Archäologen Hirt, als Polyhymnia. Sie sang ein von ihr gedichtetes und von dem Capellmeister Himmel in Musik gesetztes Lied, welches, charakteristisch genug, folgendermaßen lautete:

„Glänzend war die Morgenröthe,
Freudig endet dieser Tag:
Ja wohl freudig, weil er heute
Friedrich Wilhelm uns geschenkt.
Welcher Jubel, welch Entzücken!
Vater, Sohn, so Hand in Hand,
In die lange Zukunft blickend,
Und ein edles Beispiel seiend,
Sohne, schaut den Sohn hier an;
Väter, folgt dem edlen Vater
In der Hütte, auf dem Thron.

Als sie geendet hatte, brach das gehorsame und loyale Publicum in lauten Jubel aus. Der Archäolog und durch sie zum Hofrath beförderte Hirt überreichte der Gräfin einen Lorbeerkranz und der Kronprinz wurde von dem Könige gezwungen, der Sängerin die Hand zu küssen. Die guten Berliner und besonders der schwache Monarch wurden durch diese Familienposse tief gerührt. So wurde durch diese Lichtenau jedes moralische Gefühl untergraben, der Sittlichkeit öffentlich Hohn gesprochen und jene innere Fäulniß wesentlich mit herbeigeführt, an der die preußische Monarchie nach der Schlacht bei Jena fast zu Grunde ging.

Mitten in diesen glänzenden Triumphen und Schauspielen überschlich wohl jetzt die Gräfin zuweilen ein Gefühl von Unsicherheit; sie hatte sich durch ihre Standeserhebung zahllose Feinde gemacht; besonders war der sittenstrenge Kronprinz ihr entschiedenster Gegner; sie durfte keine Schonung von diesem charakterfesten Fürsten erwarten, der jede Lüge und Gemeinheit verabscheute. Düstere Befürchtungen erfüllten ihre Seele; ihre wenigen aufrichtigen Freunde riethen ihr jetzt mehr als ein Mal, Preußen vor dem nahe bevorstehenden Tode des Königs zu verlassen und mit ihren Schätzen nach England zu flüchten. Aus Leichtsinn oder Anhänglichkeit an ihren fürstlichen Freund wies sie jede derartige Zumuthung mit Entschiedenheit zurück.

Unterdeß hatte sich der Zustand des Königs wesentlich von Neuem verschlimmert, die täuschende Besserung war verschwunden und die Zeichen der allgemeinen Wassersucht traten immer deutlicher hervor. Einen Augenblick dachte er ernstlich daran, die Krone niederzulegen und sich mit seiner geliebten Lichtenau unter den milden Himmel Italiens zurückzuziehen. Die Gräfin schwärmte für diese Idee, aber der keineswegs nach der Herrschaft lüsterne Kronprinz weigerte sich entschieden, vor dem Tode seines Vaters die Regierung anzutreten.

Der König schloß sich in Potsdam in dem von ihm erbauten Marmorpalaste mit der Gräfin ein; seine Umgebung bestand jetzt fast ausschließlich aus französischen Emigranten, deren leichte und gefällige Unterhaltung ihm noch am meisten zusagte. Seiner Familie war der Zutritt versagt, nur die Lichtenau mußte Tag und Nacht in seiner Nähe bleiben.

Es war ein trauriges Schauspiel! Mitten in dem von Alabaster-Ampeln schwach beleuchteten Saale lag der König in seinem Lehnstuhle, die von Wasser angeschwollenen Beine mit einem seidenen Kissen zugedeckt, um den unförmlichen Anblick zu verbergen. In seinen unstät herumschweifenden Blicken drückte sich sein tiefes Leiden und eine gutmüthige Resignation aus. Zu seiner Rechten saß die Gräfin Lichtenau, zu seiner Linken die Marquise von Radaillac, deren Geist ihn entzückte. Rings herum standen oder saßen der Abbé d’Andélard, der Prinz Moritz Broglie, Saint-Ygnon, der Vorleser des Königs, und einige andere Franzosen; in einer Ecke spielten die unehelichen Kinder des Königs und unterbrachen durch ihr kindisches Plaudern und Lachen die traurige Stille des Krankenzimmers. Ab und zu erschienen die Aerzte, um sich nach dem Befinden des hohen Patienten zu erkundigen; der König hörte ihre Meinung mit einem trüben Lächeln an, da er trotz ihrer beruhigenden Versicherungen die Gefahr kannte, in der er schwebte. Nachdem sie wieder gegangen waren, wendete er sich an die Gräfin mit den Worten:

„Wie richtig faßt doch Molière die Menschen und besonders die Aerzte auf! Die Schilderungen dieses großen Menschenkenners sind von einer bewunderungswürdigen Wahrheit. So eben haben wir eine seiner besten Scenen aus dem „eingebildeten Kranken“ nach der Natur gesehen.“

Da die Kunst der Leibärzte ohnmächtig schien, so meldeten sich verschiedene Charlatane und boten ihre Dienste an. Ein Franzose, der berüchtigte Magnetiseur de Beaunoir, versprach, den König durch den Magnetismus und eine besondere Diät sicher herzustellen. Der Kranke sollte zwischen kleinen Kindern von acht bis zehn Jahren schlafen, durch das Spiel von jungen Hunden und Katzen sich zerstreuen, nur Reis, mit Honig und Safran zubereitet, essen. Mit mehr Erfolg schlug ein verabschiedeter Lieutenant und Bergwerksbesitzer von Randel, der sich mit praktischer Chemie beschäftigte, das Einathmen von Sauerstoff, der sogenannten „Lebensluft“, vor. Zu diesem Zwecke wurde in dem Palaste ein eigenes Laboratorium gebaut, worin der bekannte Professor Hermbstädt dieses Gas entwickelte. Nichtsdestoweniger machte das Leiden solche Fortschritte, daß das traurige Ende nahe bevorstand. Erst jetzt ließ sich der Kranke, welcher bereits aufgegeben war, aus Rücksicht auf den äußeren Anstand dazu bewegen, die Königin und den Kronprinzen zu empfangen. Beide vergossen an seinem Lager die aufrichtigsten Thränen; auch der schwache König war tief bewegt.

Während der ganzen schmerzlichen Unterredung mußte aber die Gräfin zugegen sein, wahrscheinlich, um sie auf dem Todtenbette seinem Nachfolger zu empfehlen. Er stützte sich fortwährend auf ihren Arm und häufig, wenn ihn die Schwäche am Sprechen hinderte, mußte sie seine Zeichen in Worte kleiden. Auf seinen Befehl begleitete sie auch den hohen Besuch bis in das Vorzimmer, wo die Königin aus Gutmüthigkeit oder weiblichem Mitgefühl einige freundliche Worte an die Lichtenau richtete. Der Kronprinz, dem jede Verstellung fremd war, sprach keine Sylbe und ließ nur zu deutlich in seinen Blicken seine grenzenlose Verachtung lesen. Zum ersten Male empfand die Gräfin, wo nicht Reue, doch wenigstens Angst vor der nahen Zukunft, aber sie besaß hinlängliche Willenskraft, um mit erheuchelter Ruhe zu dem Kranken zurückzukehren. Dieser erwartete sie mit Ungeduld, und seine erste Frage war:

„Was hat Ihnen mein Sohn gesagt?“

„Nichts!“ entgegnete sie.

„Das ist wunderbar; ich habe es nicht erwartet und kann es auch nicht fassen.“

Oefters wiederholte er noch im Laufe des Tages dieselbe Frage;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_026.jpg&oldid=- (Version vom 10.1.2023)