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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

um vier Uhr stattfand, bis an ihren Wagen; ein kleiner Hofstaat bildete ihre Begleitung; in ihrem Gefolge befand sich der Hofpoet und Vorleser des Königs, Filistri, ihre Gesellschaftsdame Fräulein Chapuis, ein besonderer Secretair und eine zahlreiche Dienerschaft. Sie trat mit wahrhaft fürstlichem Aufwande auf, suchte überall die Berühmtheiten jener Zeit auf, Dichter und Künstler, bei denen sie oft für Rechnung des Königs die ansehnlichsten Bestellungen machte. In Zürich besuchte sie den bekannten Physiognomen und mystischen Schriftsteller Lavater. Die pietistische Richtung des damaligen preußischen Hofes bot die natürlichen Anknüpfungspunkte mit dem religiösen Schwärmer. Die schlaue Favoritin hatte dem Könige vor ihrer Abreise versprochen, in Italien den „Stein der Weisen“ aufzusuchen und sich mit einigen Adepten der höheren Magie in Verbindung zu setzen. Es war ja die Zeit, wo ein Cagliostro und ähnliche Betrüger ihre Wunderrolle spielten und sich rühmten, den Schlüssel der Geisterwelt zu besitzen.

In Italien selbst erregte die Erscheinung der preußischen Favoritin das größte Aufsehen; mit den glänzendsten Empfehlungsbriefen und hinlänglichen Geldmitteln versehen, fiel es ihr nicht schwer, Zutritt zu den ersten Häusern zu erlangen und einen Schwarm von Abenteurern, Schmarotzern und Liebhabern aus allen Nationen und Classen der Gesellschaft nach sich zu ziehen. Der Chevalier de Saxe, ein Sohn des Prinzen Xaver von Sachsen, der damals als junger Mann in Italien lebte, huldigte der modernen Circe mit einer unbegreiflichen Leidenschaft, die er in seinem später veröffentlichen Briefwechsel ausströmte. Nicht minder feurig klingen die Lobeserhebungen des bekannten Archäologen Hirt, der die Geliebte des Königs in Rom kennen lernte, und ihren Cicerone auf klassischem Boden abgab. Durch ihn lernte sie die durch ihre Schicksale, wie durch ihr Talent berühmte Malerin Angelika Kaufmann kennen, die ihr Bildniß in idealer Auffassung malte. In Neapel machte sie die Bekanntschaft des englischen Gesandten und seiner berüchtigten Gattin Emma Hamilton, welche später die Geliebte des berühmten Seehelden Nelson wurde. Dagegen weigerte sich die Königin Karoline, eine österreichische Erzherzogin, die Geliebte des preußischen Königs an ihrem Hofe zu empfangen. Diese Demüthigung führte indeß ihre Standeserhöhung herbei, indem sie von dem König forderte, daß er sie, ungeachtet, wie sie in dem Briefe an ihn sich ausdrückte, sie keinen Werth auf die „thörichten Eitelkeiten der Hofetiquette“ lege, in den Adelstand erheben möchte, um derartigen Inconvenienzen in Zukunft vorzubeugen. Der schwache Monarch beeilte sich sofort, ihren Wunsch zu erfüllen, nachdem sie zuvor der Form wegen von ihrem bisherigen Gatten geschieden wurde. Die frühere Madame Rietz und Tochter des Kammermusikus Enke wurde, wie es in dem betreffenden Diplom heißt, wegen „ihrer Verdienste“ zur Gräfin Lichtenau erhoben, ihr außerdem vier Ahnen väterlicher und mütterlicher Seite, Stiftsfähigkeit und die Erlaubniß ertheilt, den preußischen Adler und die königliche Krone in ihrem Wappen zu führen. Die neue Gräfin wurde nach ihrer Ankunft in Berlin bei Hofe und in großer Gesellschaft förmlich vorgestellt und die Königin selbst gezwungen, sie zu empfangen.

Das Laster hatte jede Scham verloren, und die ersten Chargen des Landes drängten sich zu den glänzenden Gesellschaften – einer Lichtenau. In dieser Zeit wurde sie mit dem excentrischcn Lord Bristol, Bischof von Londonderry, bekannt, einem der seltsamsten Käuze des Jahrhunderts und seiner Nation, die so reich an Originalen ist. Dieser hohe Würdenträger der englischen Kirche vereinigte in seinem Charakter ein Gemisch der schreiendsten Widersprüche. Bischof und Atheist in einer Person, führte er das ausschweifendste Leben. In einem Athemzuge bekannte er sich als ein Schüler und Bewunderer Voltaire’s und verwünschte dessen gefährliche Lehren, die dem Volke über das Treiben der Geistlichkeit die Augen öffneten. Er war ein Anhänger und Freund der französischen Revolution, welche er laut bewunderte, dem ungeachtet blieb er der hochmüthigste Aristokrat, der seine Untergebenen und Diener wie ein Tyrann bis auf’s Blut quälen und mißhandeln konnte. Während er mit vollen Händen das Geld wegwarf, zeigte er bei anderen Gelegenheiten Spuren des schmutzigsten Geizes. Er besaß den scharfen, ätzenden und zersetzenden Geist der französischen Encyklopädisten, vereint mit der ganzen Starrheit und der grausamen Härte eines englischen Hoch-Tory. Er war der Typus jener sogenannten „Genialen“, welche sich Alles erlauben, alle Vorrechte für sich fordern, die Freiheit und Humanität im Munde führen, von der ihr Herz nichts weiß.

Dieser wunderliche Bischof, welcher außerdem sehr reich war, machte, trotzdem er fast das siebzigste Jahr erreicht hatte, der Gräfin Lichtenau in auffallendster Weise den Hof und schrieb ihr die für einen Geistlichen anstößigsten Briefe voll Zärtlichkeit. Wiederholt bot er ihr eins seiner Schlösser in Irland und seine volle Börse an, im Falle sie sich genöthigt sehen sollte, Preußen zu verlassen. Er trieb seine Unverschämtheit so weit, den König anzugehen, für die Gräfin im Falle seines Ablebens besser zu sorgen, als dies nach seiner Meinung bisher geschehen war. Bei einer Abschiedsaudienz empfahl er sich mit den Worten: „Sire! Ich verlasse Preußen und gehe nach Neapel, wo der Mond wärmer scheint, als die Sonne in Ihrem Berlin.“

Damals stand die Gräfin Lichtenau auf dem Gipfel und Höhepunkte ihres Glückes; sie sah in ihrem Palaste unter den Linden den ganzen Hof, der den von ihr veranstalteten Festen und Aufführungen auf dem von ihr erbauten Privattheater beiwohnte, welche dazu dienen sollten, den bereits an der Wassersucht leidenden König zu zerstreuen. Auch der Kronprinz und nachherige König Friedrich Wilhelm III., dessen sittliches Gefühl von dem ganzen Treiben auf das Höchste empört wurde, durfte sich von diesen Vorstellungen nicht ausschließen, eben so wenig, wie seine tugendhafte Gattin, die den Preußen unvergeßliche Louise. Ein Augenzeuge entwirft von einer derartigen Aufführung folgende lebendige und ergreifende Schilderung:

„Der natürliche Wunsch, den König zu zerstreuen und von den traurigen Gedanken abzuziehen, denen er sich wegen seiner Leiden überließ, brachte die Gräfin Lichtenau auf die Idee, die Bühne zu benutzen, die sie in ihrem Hotel eingerichtet hatte. Die Königin, die Prinzen und die Prinzessinnen von Geblüt bebten vor Wuth, da sie sich gezwungen sahen, bei einer Frau zu erscheinen, deren bloße Gegenwart schon für sie eine Beleidigung war. Ein so trauriger Zwang mußte ihre Herzen mit Unwillen und Scham erfüllen.

„Welch’ ein widriges Schauspiel bot sich hier dar, welche traurigen Gedanken wurden unwillkürlich angeregt, welche schrecklichen Leidenschaften und Stürme heraufbeschworen! Der König trug in seinem bleichen, gedunsenen Gesicht die Zeichen einer tödtlichen Krankheit; die Königin verzog ihre Lippen zu einem gezwungenen Lächeln, während der Kronprinz seine heftige Wuth nur mit Mühe unterdrückte. Er sah, wie eine verehrte Mutter, eine angebetete Gattin genöthigt wurde, in der verschwenderischen Wohnung der alten Maitresse seines Vaters zu erscheinen; nichts konnte seinen schon damals ausgesprochenen Grundsätzen mehr zuwider sein, seiner Sparsamkeit und seinem Gefühle für Würde und Anständigkeit. Jung, offen und streng gegen sich und Andere, vermochte er es kaum, seinen düsteren Unmuth zu bezwingen. Die Kronprinzessin, strahlend im Glanze ihrer jugendlichen Schönheit, erschien verlegen und gleichsam ängstlich, weil sie einen Ausbruch von Seiten ihres aufgeregtem Gatten jeden Augenblick befürchtete. Die übrigen Prinzen und Prinzessinnen ließen auf ihren Gesichtern ebenfalls nur Verdruß und Aerger blicken. Nur der Prinz Heinrich, Oheim des Königs und Bruder Friedrich des Großen, zwar tief verletzt, aber vertraut mit der höfischen Verstellungskunst, erschöpfte sich in geheuchelten Schmeicheleien und Lobeserhebungen. Die Anstrengung aber, welche es ihm kostete, seine Mißbilligung zu verbergen und eine freundliche Miene anzunehmen, verlieh seinen ausdrucksvollen Zügen ein eigenthümlich verbissenes Aussehen. Der größte Theil der übrigen Zuschauer war traurig und stumm vor Bestürzung, während um die Lippen so mancher Anwesenden ein boshaftes Lächeln schwebte.

„Die Gräfin, außer sich und trunken von ihrem indiscreten Triumphe, war nicht im Stande, eine richtige Beobachtung anzustellen. Sie kümmerte sich wenig um die Besorgnisse ihrer ergebenen Freunde, welche vor der Gewißheit zitterten, daß sie durch diese Huldigung, von der sie sich umgeben sah, nur die Rache ihrer Gegner heraufbeschwor. Ihre Eitelkeit und Freude machte sie blind und für jede Ueberlegung unfähig. Mit der größten Pracht wurde die italienische Oper „Cleopatra“ aufgeführt, der Text von Sassoni, die Musik von Segni. Die Wahl des Stückes war im höchsten Grade anstößig und taktlos. An diesem Abende waren die Augen aller Anwesenden mit ehrerbietigem Mitleiden auf die Königin gerichtet, das Ebenbild der unglücklichen und von ihrem treulosen Gatten verlassenen „Octavia“, während die Gräfin im strahlenden Schmucke durch ihre triumphirende Haltung an die verführerische

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_025.jpg&oldid=- (Version vom 10.1.2023)