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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

geleistet, selbst gegen die für unüberwindlich gehaltenen Heuschrecken. Wenn die deutschen Colonisten fortfahren, wie sie rühmlich begonnen haben, so wird und muß diese furchtbare Geißel in nicht zu entfernter Zeit aufhören zu sein, mindestens für Europa.

Die gewöhnlichen Mittel, – Auftreiben von Schweineheerden, von Pferden, Anwendung von Walzen, Ziehen tiefer Gräben, worein die Heuschrecken gekehrt und mit Erde bedeckt werden, Räucherungen, Strohfeuer, selbst Salven mit Kanonen in die Schwärme – helfen alle entweder nur wenig, oder sind doch auf bebauten Feldern nicht anwendbar, weil hier das Mittel so schlimm ist, wie das Uebel. Die deutschen Colonisten sannen daher auf andere Verfahrungsweisen, und es ist ihnen gelungen, deren mehrere höchst wirksame zu erfinden. Der günstigste Zeitpunkt zur Vernichtung des Ungeziefers ist unmittelbar vor oder nach dessen erster Häutung. Sobald die letztere vorüber ist, übertrifft die Gier und der Heißhunger der Larven jede Beschreibung; Alles, was grün ist, fällt ihrem Zahn, Gras und Getreide, Disteln und Dornen, das Laub und die junge Rinde der Bäume, das Heu der Schober, selbst Gegenstände, welche die ausgewachsenen Heuschrecken verschmähen, Kartoffeln, Bohnen, Gewürzkräuter, Zwiebeln; häufig hat man sogar gesehen, daß sie Leinwand, Kleidungsstücke, Ledergeschirre in wenigen Augenblicken vertilgten, wenn ihr Weg darüber führte. Denn weil ihre Gefräßigkeit in fabelhafter Schnelle das Land jeder Vegetation entkleidet, so sind sie in beständiger Bewegung; der Flügel noch entbehrend, springen sie mit merkwürdiger Kraft und Ausdauer, immer eine über die andere hinweg, unaufhaltsam – kein Hinderniß ist ihnen zu groß, sie schwimmen über die Flüsse, kriechen über Häuser, ja sie sollen selbst das vor ihnen entzündete Feuer nicht scheuen, und es durch Millionen ihrer Leiber dämpfen. Das Schauspiel eines solchen wandernden Larvenschwarmes soll aber noch viel grauenhafter und wunderbarer sein, wie das der in Wolken zusammengerotteten Flüge.

Sobald die drohende Gefahr im Bezirk irgend einer deutschen Colonie sich zeigt, so ruft der Ortsaufseher (Oberschulz oder Schulz) zu den Waffen, was Hände und Beine hat; genügt die disponible Einwohnerschaft seinem Ermessen nach nicht zur erfolgreichen Bekämpfung des Feindes, so werden leichtfüßige Boten in die benachbarten Colonieen gesandt um Hülfe, und dieser entschlägt sich Niemand, sei er Mennonit oder Hebräer, Franzose oder Bulgar. Sobald die Heuschrecken sich regen, um zu wandern, so wird ein großer Kreis, dessen Mittelpunkt ein rund ausgeworfener Graben bildet, mit Menschen um die gefährdetste Stelle gezogen, und es beginnt ein Kesseltreiben. So geschlossen als möglich, bewehrt mit Lappen, Säcken, Besen, womit sie die Insecten zur Mitte scheuchen, wenn sie durchbrechen wollen, rücken die Leute gegen das Centrum vor, nach welchem sie die geängstigten Thiere treiben, bis dieselben dicht an, zum Theil schon in den Graben genöthigt sind. Nach beglaubigten amtlichen Nachrichten ist alsdann nicht selten der Haufen der Larven bei zwölf Fuß Durchmesser vier bis fünf Fuß hoch. Alsdann springt rasch ein Dutzend hinter den Treibern gehender Männer hinzu, die mit Schaufeln und Spaten das scheußliche Gewimmel in die Grube betten, während die Umstehenden Sorge tragen, daß so wenig als möglich davon entrinnt. Junger Saat schadet dies Verfahren wenig. Auf dem Brachland stellt man die Kreise aus Pferdegespannen mit schweren Dornschleifen zusammen, von welchen immer eine bestimmte Anzahl austritt, je näher man dem Mittelpunkte rückt. Noch wirksamer soll eine von dem Mennonitencolonisten Johann Wedel in Waldheim erfundene Maschine sein, eine Art großen Rechens, statt der Zinken mit rückwärts stehenden, breiten, federnden Holzschienen garnirt und von einem Pferde gezogen. Dem Berichte des Ortsvorstehers Utz in Ephenhar, Mennonitencolonie der Molotschna, an die Präsidentschaft der deutschen Colonien über den Erfolg des beschriebenen Verfahrens im Jahre 1857 entnehme ich folgende wörtliche Angaben:

„Wird die richtige Zeit beobachtet, so ist die Vertilgung so massenhaft, daß, wenn die Heuschrecken einmal halb gewachsen sind, mit jedem Kreise mindestens 40 Tschetwert (160 pr. Scheffel), bei vier Treiben je am Morgen und Abend also mehr als täglich 320 Tschetwert getödtet werden. (Es entspricht dies, wie weiter unten nachgewiesen werden wird, der ungeheuren Zahl von 150 Millionen Heuschrecken!) Nach der Mitte des Kreises zu entsteht dann eine Schmiere, als ob man 20 bis 30 der größten Theerfässer da ausgegossen hätte, und dies Ergebniß wird erreicht durch 24 Menschen und 30 Paar Ochsen oder Pferde im Wechsel, oder blos mit 70 bis 80 Menschen. Da aber unvermeidlich dabei immer einige Tschetwert durchkommen, namentlich vom Scheintod wieder erwachen, so wird die kleine Mühe nach ein oder zwei Tagen wiederholt, und in einer Stunde ist die Brut bis auf die Letzten vertilgt.“

Die beschriebene Vernichtungsmethode läßt sich indessen keineswegs überall ausführen, einer schon hoch emporgeschossenen Vegetation bringt sie stets Nachtheile, schon durch das nothwendige Auswerfen der Gräben, und außerdem erfordert sie nicht unbedeutende Kräfte. Daher bedient man sich neuerdings in sämmtlichen deutschen Colonieen zu dem gedachten Zwecke vorzugsweise des „Heuschreckenfängers“. Dieses Instrument, erfunden von dem verstorbenen Colonisten Bechtold in Freudenthal, einem wahren Genie, dessen viele Erfindungen sein Andenken überdauern werden, besteht aus einem breiten Leinwandsack, vorn in einen zum Zuklappen eingerichteten viereckigen Holzrahmen gespannt, hinten mit einer Handhabe zur Führung versehen und auf zwei seitwärts angebrachten, kleinen Blockrädern laufend; die beigegebene Abbildung versinnlicht genau den einfachen Mechanismus. Das Instrument wird von einem Manne geführt; er beginnt seine Arbeit mit Tagesanbruch und fährt damit fort bis sieben Uhr Morgens, dann hört er auf. Der Fänger wird dabei so geführt, daß der untere Rahmenbalken dicht an dem Boden liegt, indem die Handhabe hoch gerichtet, gewöhnlich auf eine Schulter gelegt wird; alsdann beginnt der Mann, sein Geräth immer vor sich herschiebend, zu laufen, zuerst eine Strecke vorwärts, dann im Ring zurück zu der Anlaufstelle; hier wird die Stange niedergelassen, der untere Rahmentheil hebt sich und schließt die Oeffnung des mit Heuschrecken angefüllten Inneren. Darauf werden die Gefangenen in Säcke oder Kufen gefüllt und die Fahrt beginnt auf’s Neue. Es ist begreiflich, daß hierbei den Saaten weit weniger Abbruch geschieht, wie bei dem Kesseltreiben mit vielen Menschen; die von dem Instrumente niedergebeugten Halme richten sich fast sämmtlich wieder auf.

Um einen Begriff von dessen Wirksamkeit zu geben, sei Nachstehendes aus dem Berichte des Liebenthaler Bezirksamtes an das Fürsorge-Comité angeführt:

„Vom 4. bis 18. Juni 1857 sind auf diese Weise an Heuschrecken eingefangen und getödtet worden durch die Gemeinden: Großliebenthal 1604 Tschetweriks (der achte Theil eines Tschetwert), Kleinliebenthal 1050 ½, Alexanderhilf 1610, Josephsthal 208, Petersthal 548 ½, Freudenthal 1076, Franzfeld 600, Neuburg 2550, Marienthal 1502 ½, in Summa 10,749 ½ Tschetweriks. Es wurden in dem 64sten Theile eines Tschetweriks 7313 Heuschrecken gezählt, der Tschetwerik faßt demnach 468,000 Stück; folglich wären nach diesem Maßstabe von den genannten wenigen Gemeinden über fünftausend Millionen Heuschrecken mittelst des Fängers vertilgt worden. In den bessarabischen Bulgaren-Colonieen wurden außerdem eingefangen: In Komrat vom 25. Mai bis 15. Juni 3256 Tschetweriks, in Kirsow vom 1. bis 8. Juni 38 Tschetweriks, in Kolowstschi vom 1. bis 10. Juni 2500 Tschetweriks, welche ebenfalls die ungeheure Zahl von 2,711,592,000 Heuschrecken repräsentiren. Die nach solcher Razzia nur noch vereinzelt übrig bleibenden Insecten sind durch Menschenkräfte nicht zu vertilgen, finden aber eben so gefährliche, natürliche Feinde in den Krähen und Stahren, die sich zu ihrer Ernte stets einstellen und bald vollends aufräumen.“

Noch einmal begegneten mir einzelne Exemplare der tartarischen Wanderheuschrecke Ende Septembers, und zwar im Schlosse der sieben Thürme am Bosporus. Aber die wenigen Tausende, die da ziemlich harmlos umherschwirrten, waren sicher nur Verirrte oder Invaliden größerer Züge. Die Zeitungen haben übrigens berichtet, daß einzelne Schwärme bis in die schweizer Cantone Wallis, Genf und Waadt vorgedrungen seien; Beweis von der Flugkraft dieser Insecten, denn sie mußten die höchsten Gebirge Europa’s übersteigen. Unter den vielen merkwürdigen Erinnerungen meiner Wanderschaft im Südosten nimmt jedenfalls diejenige nicht die letzte Stelle ein an den die Augenblicke „mitten in den Heuschrecken“!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_022.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2022)