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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Durch Bitten wird das Recht nicht versöhnt, die verlorene Ehre nicht wieder hergestellt.“

„Ich beschwöre Dich, Rohner. Du hast mich gerettet! Um jener Stunde willen –“

„Gib Dir keine Mühe weiter.“

„Sei menschlich, Rohner!“

„Schweig.“

„Denke an Gott!“

„Schweig, sage ich Dir.“

„An Dein Kind, an Deine brave, unschuldige, fröhliche Antonie! Willst Du auch ihr Glück vergiften? Ihr Leben, ihr ganzes Leben vernichten? Soll sie die Schwester eines Zuchthaussträflings sein? Wird sie je einem Menschen in die Augen sehen können? Wird ihr je ein Mann die Hand reichen? Willst Du wirklich ihr Glück, ihr Leben vernichten?“

Der Rath ging doch mit größeren, unruhigeren Schritten in dem Zimmer umher. Er liebte das fröhliche, unschuldige, brave Kind; er liebte sie über Alles. Aber der feste, der harte Mann konnte nicht anders.

„Nein,“ sagte er.

Die Thür des Zimmers wurde aufgerissen. Der Sohn des Rathes stürzte herein. Er hatte das Gespräch der Beiden behorcht. Sein Gesicht trug nicht mehr die Züge des Hochmuthes, der Frivolität; die Angst hatte es beinahe entstellt.

„Vater, wenn auch ich Dich bitte, wenn ich Dir Besserung verspreche –“

Der Zorn färbte das Gesicht des Vaters Hochroth.

„Elender, Du wagst es, Dich vor mir blicken zu lassen?“

Der Sohn warf sich zu seinen Füßen nieder.

„Vater, ich bin Dein Kind!“

Der Vater stieß ihn von sich.

„Du bist ein elender, feiger Schwächling. Du bist mein Sohn nicht mehr. In das Zuchthaus mit Dir!“

In der Thür erschien der Polizeicommissarius.

„Mein Herr,“ sagte der Rath, „verhaften Sie den Fälscher.“

Er sprach es kalt. Dann wandte er sich wieder an den alten Schreiber.

„Ich gehe mit Toni zum Balle. Du sorgst, daß sie nichts erfährt. – Komm zum Essen.“

„Er kann nicht beten,“ jammerte der fromme Schreiber, und auch dieser fromme Schreiber war ein so braver Mensch.

III.
Die Tochter des Richters.

Am folgenden Tage war der Ball bei dem Regierungspräsidenten, oder eigentlich der Präsidentin.

Der Rath Rohner fuhr mit seiner Tochter Antonie hin. Das Kind strahlte in ihrem Glücke und in ihrer Schönheit. Auch ihrer Schönheit war sie sich bewußt. Welches schöne Mädchen wäre es nicht! Und sie muß es sein.

Es war ihr erster Ball. Welch ein Glück ist der erste Ball für ein schönes und fröhliches Mädchen von siebzehn Jahren, das schon springen muß, wenn sie nur das Wort Ball hört, schon tanzen, wenn ein alter Leierkasten einen Walzer spielt!

Sie träumte nichts als Tanzlust. Wie sie in dem hellen Saale dahin fliegen werde, in den glänzenden Reihen, an dem Arme eines schmucken Cavaliers, leicht, glühend vor Tanzeslust, wie sie, Beide verfolgt in allen ihren Bewegungen, von entzückten Augen, die sich nicht von ihnen trennen konnten.

„Welch ein reizendes Paar!“ hörte sie um sich her flüstern.

„Wie sie fliegen! Man sieht sie den Boden nicht berühren. Wie er schön ist und glücklich an ihrer Seite! Und auch ihr klopft das Herz an seinem Arme. Und auch sie ist schön. Und welche reizende Toilette sie gemacht hat!“ Unter der Bewunderung Aller endigt der Tanz. Und nun stürzen die schönsten, die elegantesten Tänzer auf sie zu, um sich den nächsten Tanz von ihr zu erbitten. Und sie kann sich nicht genug versagen. Sie ist für den ganzen Abend engagirt, für alle Tänze, und wenn deren noch einmal so viele wären.

So träumte sie, und sie sprang hoch auf in dem Wagen, in dem sie träumte, voll Glück, voll Lust, voll Wonne.

Der erste Ball, die erste Liebe, es sind die süßesten Träume eines jungen Mädchenherzens. Wie oft endet der Traum mit Schrecken!

Von ihrem Bruder wußte sie nichts. Sie hatte ihn nicht gesehen. Sie sah ihn oft Tage, Wochen lang nicht.

Ihr Vater hatte nicht die geringste Veränderung gezeigt. Das stillere Wesen des alten Bernhard war in ihrem Glücke ihr nicht aufgefallen. Wie viele Mühe gab sich der brave alte Mann auch, daß es ihr nicht auffallen solle!

Gebe Gott, daß sie es nie erfahre! Wer sollte auch so boshaft sein, das Herz des fröhlichen Kindes mit der Nachricht zu vergiften? –

Sie erschien auf dem Balle. Sie war die schönste, die frischeste, die reizendste Blume des Balles. Wer das unschuldige, fröhliche, der vollen Freude und Lust voll sich hingebende, im vollen Glücke glänzende Kind ansah, wie Alles an ihr, Alles in ihr lachte, dem lachte selbst das Her; vor Freude und Lust. Und sie war auch die beste, die leichteste, die anmuthigste Tänzerin. Wer sie tanzen sah, wurde von Bewunderung hingerissen, die entzückten Augen konnten sich nicht von ihr trennen. Wer mit ihr tanzte, konnte sie nicht aus seinen Armen lassen.

Auch auf dem Balle wußte man von ihrem Bruder nichts, vielleicht nur mit Ausnahme eines oder zweier tief verschwiegener Beamten. Die Betrogenen hatten um des Vaters willen nichts veröffentlicht. Die Polizei- und Gerichtsbeamten hatten, dem beamtlich hochgestellten Vater gegenüber, ihre Amtsverschwiegenheit strenge beobachtet. Zu jener Zeit erfuhr man von einem Verbrecher nur – durch Verletzung der Amtsverschwiegenheit.

Wie die jungen Herren, rissen sich auch die alten Damen um das Kind. Einer alten Generalin war sie ihr süßer Engel geworden.

„Heute bin ich Ihre Mutter, mein liebes Kind. Keine andere Mutter auf diesem Balle wird glücklicher sein, als ich.“

Sogar die jungen Mädchen, wenn sie auch eifersüchtig sein mochten, konnten dem fröhlichen Kinde nicht gram werden. Sie suchten sie auf, sie umringten sie, sie promenirten Arm in Arm mit ihr in den Pausen, sie wurden fröhlich mit ihr.

Es gibt in der Welt keinen wunderbareren Zauber, als den eines recht unschuldigen und fröhlichen Mädchenherzens, wenn es das Maß der Grazien einhält. Und dieser Zauber ist ein so seltener in den Kreisen der höhern Gesellschaft.

Selbst, ja selbst ihr Vater konnte sich ihm nicht entziehen. Er hatte einen Sohn verloren. Er hatte ihn selbst von sich gestoßen. Der Verlust, diese Art des Verlustes hatte sein Herz noch mehr verhärtet, noch fester verschlossen. Die Liebe zu der Tochter, dem Kinde, das er über Alles liebte, hatte es ihm nicht erweichen, nicht öffnen können. Wo er stand, stand er mit einem Vernichtungs-, einem Verdammungsfluche gegen Alles auf den Lippen. Aber er hatte die auf seine Ehre eifersüchtige Gewalt über sich, den Fluch auf den fester zusammengepreßten Lippen zurückzuhalten, und äußerlich nur eine um so eisigere Kälte zu zeigen, je ingrimmiger der Zorn in ihm brannte. Der Anblick der Tochter, das helle, fröhliche Glück des schönen Mädchens, die Bewunderung, die sie auf allen Seiten erregte, konnten doch zuletzt den Zorn in seinem Innern mehr und mehr beschwichtigen, selbst die harte Kruste um sein Herz weicher machen. Die Lippen öffneten sich manchmal zu einem leisen Einathmen von augenblicklicher Befriedigung, unter den finsteren Augenbrauen glänzte Secunden lang ein stilles Behagen hervor.

Aber Jemand war in der Gesellschaft, auf den jener Zauber der natürlichen, fröhlichen Unschuld des jungen Mädchenherzens seine Wirkung verfehlte.

Es war eine schöne, stolze, vornehme junge Dame. Sie war gewohnt, in den Gesellschaften unter den jungen Damen die gefeiertste zu sein. Sie machte Anspruch darauf.

Sie war es an dem heutigen Abende nicht. Ein Kind von kaum siebzehn Jahren, die Tochter eines bürgerlichen Beamten, anmuthig, aber einfach gekleidet, stellte sie heute in den Schatten, sie, die stolze, stets triumphirende Schönheit, die Tochter eines der ersten Grafenhäuser des Landes, in ihrer reichen Toilette, in ihrem glänzenden Schmucke von Perlen und Juwelen. Ihre Anbeter vernachlässigten sie. Die stolze Gräfin wurde gelb, biß die Lippen zusammen, rümpfte höhnisch die Nase, medisirte boshaft.

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_020.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)