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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Mutter zu einer wilden Begierde aufzustacheln und zu steigern gewußt hatte. Und der stets betrunkene, seine Familie stündlich mißhandelnde, den Wohlstand des Hauses täglich mehr und mehr zerrüttende Vater war längst ein Gegenstand der Verachtung Beider gewesen.

Das Weib durfte zu dem leichtsinnigen Burschen von Mord sprechen. Er schauderte anfangs zurück, hörte aber bald ruhig zu.

„Ich nehme Alles auf mich, und Du bekommst die Marianne,“ sagte sie zu ihm.

Er sagte halb und halb zu.

Sie hatte ihn ganz für sich gewonnen und schritt nun zur Ausführung ihres Planes.

Ihr Mann fuhr jede Woche eine Karre Sand nach einer benachbarten kleinen Stadt. Die Tochter mußte ihn begleiten. Auf einer dieser Fahrten sollte der Mord verübt werden. Sie vertheilte die Rollen zu dem grauenvollen Acte. Den Liebhaber ihrer Tochter weihte sie vollständig, mit nackten Worten ein. Er sollte mit ihr gemeinschaftlich unmittelbar die That ausführen. Die Tochter sollte nur ahnen, auch nicht einmal den Mord, nur ein Geheimniß, über das sie nicht weiter nachdachte oder dessen Folgen sie nicht weiter verfolgte. Sie sollte auch nur das Opfer überliefern.

„Du führst den Vater, wenn Ihr den Sand verkauft habt, in die Schenke. Du läßt ihn dort mehr Schnaps trinken, als sonst.“

„Warum, Mutter?“

„Damit er betrunken wird.“

„Und warum soll er betrunken werden?“

Die Mutter antwortete auf die Frage nicht, aber sie fuhr fort:

„Du hältst ihn in der Schenke hin, bis es Abend ist. Wenn es dunkel geworden ist, macht Ihr Euch auf den Rückweg.“

„Warum so spät, Mutter?“

„Ihr nehmt den gewöhnlichen Weg nach Hause zurück. Aber wenn Ihr oberhalb des Neuhäuser Weihers kommt, wo der Fuß- und Fahrweg auseinander gehen, dann sagst Du zu ihm, er solle den Fußweg nehmen, Du wollest in dem Fahrwege schon allein weiter fahren. Du fährst dann allein nach Hause.“

„Aber warum das Alles, Mutter?“

„Thue, was Dir befohlen wird.“

„Aber, wenn er nun nicht will?“

„Er wird schon wollen, denn der Fußweg ist näher. Und wenn Du ihn in der Stadt recht ordentlich betrunken gemacht hast, so wird er Dir gar nicht widersprechen.“

„Ich begreife nur nicht, Mutter, was Du mit dem Allem willst?“

„Du wirst es nachher erfahren. Denke, daß es das einzige Mittel für Dich ist, bald Deinen Bräutigam zu heirathen.“

„Ich verstehe auch das nicht, Mutter.“

„Ist der Vater weg, so kann ich Euch in das Haus nehmen, früher nicht.“

Das Mädchen fragte jetzt nicht mehr. Sie mochte jetzt doch wohl mehr, als ein unergründliches Geheimniß, ahnen. Ihr Liebhaber redete ihr in derselben Weise zu.

„Wenn Du Alles thust, was Dir Deine Mutter gesagt hat, so sind wir in kurzer Frist Mann und Frau. Der Alte allein steht uns, im Wege.“

„Aber was wollt Ihr mit ihm?“

„Laß Du uns sorgen, Deine Mutter und mich. Du sollst ja nicht dabei sein.“

„Wobei soll ich nicht sein?“

„Frage nicht mehr. Dein Vater allein steht uns im Wege.“


Sie fragte auch ihn nicht mehr. Sie hatte jetzt gewiß mehr, als bloße Ahnung. Aber wer kann das wissen, bei dem an Geist und Herz gleich ungebildeten, an Nachdenken nicht gewöhnten Mädchen? Der Plan der Mutter wurde ausgeführt; doch nicht ganz so, wie sie ihn sich ausgedacht hatte. Ihre Tochter sollte keinen unmittelbaren Antheil an der Ausführung des Mordes nehmen. Das kam doch anders.

Vater und Tochter fuhren mit dem Sande in die Stadt und verkauften ihn. Nach dem Verkaufe gingen beide in die Schenke. Die Tochter hatte auch früher den Vater jedes Mal dahin begleiten müssen. Der Vater berauschte sich dort, wie gewöhnlich. Aber anstatt daß die Tochter ihn sonst zum Aufbruche antrieb, und von mehrerem Trinken abzuhalten suchte, war sie es jetzt, die ihm noch Schnaps kommen ließ und ihn dadurch zu längerem Bleiben veranlaßte.

Der Vater wurde betrunkener, als sonst. Als die Tochter meinte, daß es genug sei, brach sie mit ihm auf.

Als sie die Wegesscheide oberhalb des Neuhäuser Teiches erreicht hatten, sagte sie zu ihm:

„Vater, ich will schon allein weiter fahren. Ihr könnt den näheren und bequemeren Fußweg nehmen.“

„Wenn Du meinst,“ sagte der Vater, und er nahm den Fußweg.

Sie fuhr in dem Fahrwege weiter. Die Mutter hatte ihr gesagt, sie solle ohne Aufenthalt nach Hause fahren; das konnte sie jedoch nicht. Als sie die Höhe des Fahrweges gerade gegenüber dem untenliegenden Neuhäuser Teiche erreicht hatte, hielt sie an; sie mußte wissen, was da unten im Wege passiren werde. Sie hielt an, bis sie von dem Teiche her einen Schrei hörte. Dann lief sie in geradester Richtung durch das Gehölz nach dem Teiche. An dem Teiche hatte sich Folgendes zugetragen:

Der Vater hatte den Fußweg genommen, der an dem Teiche vorüberführte. Als er den Rand des Teiches erreicht hatte, waren hinter Bäumen seine Frau und der Liebhaber seiner Tochter hervorgesprungen und hatten den Betrunkenen in das Wasser geworfen. Am anderen Tage wollten sie sagen, er sei in seiner Betrunkenheit in das Wasser gefallen. In seiner Todesangst hatte der Ueberfallene laut um Hülfe gerufen. Den Ruf hatte die Tochter gehört. Als sie am Teiche ankam, lag ihr Vater schon im Wasser. In demselben Augenblicke arbeitete er sich zwar, nahe am Ufer, wieder hervor. Aber die Frau hatte es gesehen und ihn wieder zurückgestoßen. Dabei hatte auf ihren Befehl die Tochter sie von hinten halten müssen.

Die unnatürliche Mordthat war vollbracht. Aber sie kam heraus. Mutter und Tochter gestanden die erzählten Thatsachen ein. Der Liebhaber der Tochter leugnete Alles. Aber er erhängte sich im Gefängnisse. Die Mutter starb noch vor der Erlassung des Urtheils am Nervenfieber. Das Urtheil war nur noch allein gegen die Tochter zu fällen. Die beiden Referenten hatten gegen sie ein Todesurtheil beantragt. Sie sollte wegen Vatermordes mittelst des Rades von unten herauf vom Leben zum Tode gebracht werden. Beide Referenten hatten ausgeführt, auch die Inquisitin habe, als ihre Mutter ihr ihre Rolle zugetheilt und sie diese übernommen habe, nicht darüber in Zweifel sein können, daß es sich um die Ermordung ihres Vaters handele. Sie sei also Theilnehmerin an dem vorhandenen Complott; nach der Lehre vom Complott aber sei jeder vorhandene Complottant für das verübte Verbrechen als Miturheber zu behandeln, folglich mit der vollen, ordentlichen Strafe des Verbrechens zu belegen. Dies sei um so unbedenklicher, als sie durch das Festhalten ihrer Mutter zugleich bei der That unmittelbar Hülfe geleistet habe.

Der erste Referent, ein junger Mann, der daher auch in der neueren deutschen Criminalrechtswissenschaft bewandert war, führte zugleich „eventuell“ aus, daß „bestenfalls“ ein „eventueller Dolus“ vorliege. Habe nämlich die Inquisitin auch nicht die bestimmte Absicht gehabt, zu der Ermordung ihres Vaters mitzuwirken, so müsse sie sich doch nothwendig bewußt gewesen sein, daß ihr Thun zu einer von den Anderen verabredeten Ermordung ihres Vaters mitwirken könne, und indem sie trotzdem so gehandelt, habe sie nothwendig in das Herbeiführen des Todes eingewilligt. Eine solche eventuelle, unbestimmte Absicht stehe aber nach den Grundsätzen der deutschen Rechtswissenschaft der bestimmten Absicht zu tödten völlig gleich.

Das waren die Ausführungen der beiden Referenten. Ihre Vorträge waren verlesen. Der Präsident forderte die übrigen Mitglieder des Gerichtshofes auf, ihre Meinung abzugeben.

Der Gerichtshof bestand mit Einschluß des Präsidenten aus sieben Mitgliedern.

Es entschied Stimmenmehrheit. Sprachen also, mit den beiden Referenten, noch zwei Richter für das Todesurtheil sich aus, so war dieses beschlossen. Sprach sich nur noch Einer dafür aus, standen mithin die Stimmen der Mitglieder gleich, so gab die Stimme des Präsidenten den Ausschlag.

Der Präsident war ein humaner, wohlwollender, würdiger Mann. Er war grundsätzlich gegen die Todesstrafe. Er unterwarf dem Willen des Gesetzes, das sie noch befahl, sich nur dann, wenn seine Ueberzeugung ihn unabweisbar nöthigte, die That unter das Todesgesetz zu bringen.

Die anderen Mitglieder des Gerichts?

Von den beiden Referenten war der zweite der zweitälteste

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_002.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)