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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

jünger waren, als er, ungemein beliebt; er hatte aus ihnen eine kleine Schaar gebildet, die in einem für jene Zeit neuen Sinne die Schulstudien mit anstrengenden Spaziergängen, mit mineralogischen und botanischen Fahrten abwechseln ließ und welchen der Gedanke nicht fern lag, sich durch solche Abhärtung zu Vaterlandskämpfern heranzubilden. Diese Lebensweise setzte er, so weit sein rastloser Fleiß es zuließ, in Leipzig fort, wenn auch nur mit denjenigen, die er von Dresden aus kannte. Ob er sich dadurch gerade den Behörden empfahl, ist sehr die Frage; ob der Präsident sein Thun mit Neigung oder mit Mißtrauen betrachtete, konnte Niemand wissen. Unter Privatleuten aber und mehr noch unter den Hochschülern hatte er geschworene Anhänger; von den letzteren war der Hervorragendste ein Studiosus der Cameralien und des Bergbauwesens, Theodor Körner aus Dresden.

Ein größerer Gegensatz unter jungen Leuten läßt sich kaum denken, als den Körner zu Winfried bildete. Auch er war frühreif, sogar in noch höherem Grade. Aber er war unbekümmert um den Schein, ließ Alles, was in ihm lag, brausen und gähren und stellte sich unbedenklich heraus, wo es galt, nicht sein eigenes, sondern eines Freundes Interesse zu vertreten. In früher Jugend schon mit großen Männern bekannt, stellte er seinem Ehrgeize ein hohes Ziel, hatte jedoch von der Genialität, die zur Erreichung desselben befähigt, sehr unklare Begriffe. Er war nicht ohne tiefere Richtungen des Denkens und Dichtens; er studirte die griechischen Tragiker und versenkte sich in Fichte’s Philosophie; aber der fabelhaft leichte, spielende Schöpfertrieb in ihm schien damals blos die Oberfläche zu berühren und leichten Schaum aufzuregen.

Körner hatte einige Wochen auf einem Landsitze zugebracht, dessen Eigenthümer in der Sommerzeit literarische Berühmtheiten zu beherbergen gewohnt war. Diesmal hatte sich Frau Elisa von der Recke mit mehreren Freundinnen eingefunden, zu denen auch die Schwester des Präsidenten gehörte. Sie war weit jünger, als dieser, doch schon den Dreißigen nahe; früh verwittwet, lebte sie seit Jahren bei ihrem Bruder, der ihren Verstand hochschätzte und ihre Wünsche zuweilen auf seine Entschließungen einwirken ließ; der einzige Zug von Nepotismus, den man dem tüchtigen Manne zum Vorwurfe machte. Sie war von nicht gewöhnlicher Denkungsart, galt für eine Feindin der Fremdherrschaft und wurde den jungen Leuten, die ähnlich gesinnt waren, ein Gegenstand ritterlicher Verehrung. Auf dem Landsitze war der junge Dichter, so hieß es, durch Lobsprüche so ausgezeichneter Damen sehr gehoben worden. Winfried schloß nach seinen eigenen Gesinnungen, wenn er annahm, daß Körner auch Adolphinen näher getreten sei und sie in der Stipendiumsfrage für seinen Freund Wermeroth günstig gestimmt habe.

Hier will ich noch eine Bemerkung meines Gewährsmannes einschalten. „Sie werden,“ sagte er zu mir, „vielleicht vermuthen, Körner sei ein hübscher, hochgewachsener, prächtiger Bursche, Winfried aber ein unansehnlicher Schleicher gewesen. Hätte ich einen Roman zu erzählen, so würde ich die Sache wahrscheinlich so darstellen. Es ist aber nicht der Fall. Körner war nicht schön zu nennen; sein Gesicht war zu eng beisammen und zu dunkel schattirt; Winfried dagegen, wenn auch nur von mittlerem Wuchse, hatte ein ausdrucksvolles, klares Gesicht, an dem besonders Stirn und Nase edel geformt waren.“

Winfried hatte Takt genug, an keinem Orte, und am wenigsten da, wo es dem Präsidenten und Adolphinen zu Ohren kam, über Wermeroth etwas Geringschätziges zu äußern. Wohl aber traf er dessen Umgebung, vor Allen Körner, ohne ihn zu nennen, mit manchem empfindlichen Worte, indem er auf hohle Renommisterei und belletristische Eitelkeit anspielte. Wo Parteien und Cliquen bestehen, kommt jede üble Nachrede nur allzuleicht zur Kunde desjenigen, den sie betrifft. Bald nahmen die verschiedenen Abtheilungen der Studentenschaft an der Stipendiumsfrage lebhaften Antheil und in dem Kreise, dem Körner angehörte, herrschte eine besonders gereizte Stimmung.

Im Spätsommer, um die Zeit, da die Entscheidung jeden Augenblick bevorstand, hatte sich eine Anzahl Studirender, unter ihnen Theodor, in einem öffentlichen Garten bei Leipzig zusammengefunden. Der Abend war herrlich; es wurde manches Lied angestimmt und viele Spaziergänger waren in der Nähe des Tisches, den die frohe Gesellschaft einnahm, stehen geblieben. Auch der Präsident, seine Schwester am Arme führend, war unter denselben. Ihre Gegenwart verfehlte den gewohnten Eindruck bei den Sängern nicht und machte manche jugendliche Stimme heller und voller tönen. Winfried stand nahe bei ihnen. Während eines längeren Chorgesanges traf Wermeroth ein; Körner trat mit ihm zur Seite und bald waren sie im angelegentlichsten Gespräch begriffen.

„So steht die Sache?“ sprach Körner mit kaum verhaltenem Zorn. „Noch heute, gleich jetzt will ich es dem Ränkeschmied eintränken.“

„Um Gotteswillen, beruhige Dich,“ fiel Wermeroth ein. „Bedenke, daß Du nicht zum Besten angeschrieben bist, das Consilium hast Du schon unterzeichnet; ich würde Dein Mißgeschick verschuldet haben und mir wäre damit nicht das Geringste geleistet.“

Die Mahnung war weise genug, aber Körner nicht in der Stimmung, sie zu Herzen zu nehmen.

Als er wieder Platz nahm, hatte man eben das Reiterlied aus dem Wallenstein angestimmt. Jeder sang einen Vers und der kräftige Chor wiederholte den Refrain. Körner kam an die Reihe. Vom Text abgehend, trug er eine rasch improvisirte Strophe vor, wie die Aufregung sie ihm eingegeben. Bei den Anfangsworten zitterte ihm die Stimme; erst durch die Macht der Melodie wurde sie wieder in’s Gleiche gebracht. Er sang:

Wir reiten dem Schicksal entgegen keck,
Wir wissen das Glück zu erjagen.
Bei Schranzen und Pfaffen sucht es der Geck,
Da will er ein Stellchen erfragen.
Er zischt und schnüffelt, er schnüffelt und zischt,
Bis daß er sich endlich den Bakel erwischt.

Bei den Worten „der Geck“ erhob er den Arm mit ausgestrecktem Zeigefinger gerade gegen Winfried und hielt ihn in dieser Richtung bis zum Schlusse des Verses. Der Chor stimmte jauchzend und nach derselben Seite blickend ein:

Er zischt und schnüffelt, er schnüffelt und zischt,
Bis daß er sich endlich den Bakel erwischt.

Es entstand eine peinliche Aufregung; Adolphine blickte dem Präsidenten in’s Gesicht, dieser verzog keine Miene. Winfried wollte unbemerkt fortgehen, aber Körner stand auf und rief ihm nach:

„Winfried! Ich wohne Petersstraße, bei Buchbinder Nischke, im zweiten Stock.“

Zwei Tage nach diesem Vorfalle wurde Studiosus Körner durch Urtheil des Universitätsgerichtes relegirt.

Am Abend desselben Tages wurde Winfried vom Seniorenconvent der Studenten in Verruf erklärt.

Das Stipendium erhielt weder er noch Wermeroth. Doch nahm der Präsident Romlitz bald eine Veranlassung wahr, dem Letzteren eine vortheilhafte Stelle zu verschaffen. Er machte den Krieg vom Jahr Dreizehn als Freiwilliger mit, und wurde später als Professor der Mathematik an eine Militairschule berufen, an welcher er noch vor acht Jahren mit Auszeichnung wirkte.

Körner kam nach Berlin, sodann nach Wien, und durchmaß in weniger als drei Jahren unter dem Beifallsjauchzen der deutschen Jugend seine Laufbahn als Dichter und als Kriegsmann. Der frühzeitige Tod, der ihn bei Gadebusch ereilte, war für ihn und für seinen Ruhm ein Glück. Er bleibt uns das Vorbild eines kühnen, liebenswürdigen, von den schönsten Idealen erfüllten Jünglings, der seinen Lebenslenz mit edler Begeisterung ausgesungen hat. Was wäre in den trüben Jahren der Enttäuschung und des Mißtrauens aus ihm geworden? Er war nicht darnach angethan, auf engerem Gebiete den Kampf mit zäher Ausdauer zu führen, wie Uhland, oder sich in morgenländische Weisheit zu versenken, wie Rückert. Und wer kann sagen, ob seine Dichtung den Vollgehalt in sich trug, um sich nicht abzunutzen und nicht zu erschlaffen? Die Jugend und die frische Thatenlust machen ihren Werth aus.

Körner schlief seit Jahrzehenten unter der Eiche bei Wöbbelin, von Deutschland hochgeehrt. Nur der Rector von Ellerburg, Ordensritter, Studienrath und Kammermitglied, hatte ihm die Leipziger Improvisation nie verziehen.




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