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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Torkel Veen allein entkam mit Marie Anne, die ihm gezwungen angehörte. Er flüchtete sich mit der Leidenden, tief Trauernden, die er bald durch seine ungestümen Liebkosungen, bald durch rohe Mißhandlungen quälte, auf ein finnisches Holzschiff, das nach Christiania bestimmt war. Es war von plumper Bauart, alt und leck, wie diese Fahrzeuge es häufig sind. Trotzdem hatte es sich auch bei schwerem Wetter immer ganz leidlich gehalten. War es nun diesmal zu schwer beladen oder achtete man zu wenig auf die lecken Stellen, die täglich gestopft werden mußten: genug, eines Nachts gewahrte die nur aus fünf Köpfen bestehende Mannschaft ein verdächtiges Schwanken. Zu spät entdeckte man, daß das Schiff Wasser zog, und immer tiefer in die Wogen sank. Man versuchte, es zu erleichtern, indem man über Bord warf, was gerade zur Hand war, die Ladung selbst blieb unzugänglich. Das Schiff legte sich bald zur Seite und verschwand spurlos in die Tiefe. Bei diesem Ereigniß kam Marie Anne um’s Leben. Veen trieb auf einer Tonne längere Zeit umher, und ward endlich von einer Nordlands-Yacht aufgenommen. Diese brachte ihn nach Bergen, und hier ließ er sich für den „Isaak“ heuern, der mit reicher Ladung nach Riga segeln sollte. Die Sturmnacht bei Skagenhorn bereitete auch diesem Schiffe den Untergang.

Marie Anne’s Besitz brachte dem verbrecherischen Veen kein Glück. Sie vergalt ihm seine Mißhandlungen mit der ungescheutesten Verachtung und mehr wie einmal, wenn sie seine rohe Heftigkeit nicht zu bändigen wußte, schreckte sie ihn mit der Drohung von sich: „Ich komme nach meinem Tode körperlich zu Dir, und verklage Dich vor Gott und Menschen!“

Torkel Veen war nach diesen Bekenntnissen wie gebrochen. Er verlangte, daß man ihn als Verbrecher seiner Regierung übergeben solle. Dazu jedoch hatte der Capitain der „Olga“ keine Lust. Er glaubte, ein ferneres Leben voll Gewissensbisse sei hinlängliche Strafe für seine Verbrechen. So legte denn Niemand Hand an ihn.

Die von den Fluthen dem Grabe entrissene Leiche Marie Anne’s ward gegen Sonnenuntergang zum zweiten Male in Gegenwart der ganzen Schiffsmannschaft der gestrandeten „Olga“ feierlich beerdigt. Niels Sturleson sprach über dem zweiten Grabe der Verstorbenen ein ergreifendes Gebet.

Torkel Veen wohnte dieser Bestattung der von ihm Geraubten nicht bei. Man sah ihn überhaupt niemals wieder. Wahrscheinlich stürzte er sich freiwillig in’s Meer und fand hier seinen Tod. Nach unserer Rückkehr in die Heimath führte ich Leonore als Gattin heim. Henricksen verschmerzte nach und nach den Verlust seiner Braut, er hat aber nie geheirathet. Im nächsten Sommer erhielt er das Commando auf einem Grönlandsfahrer. Ich wurde sein Steuermann, und wir sind in bester Freundschaft volle zehn Jahre lang auf demselben Schiffe in die Polargegend gefahren, bis es uns ein Sturm ebenfalls an der Küste von Skagen in Trümmer schlug.

Selten mag ein Erzähler so aufmerksame Zuhörer gehabt haben, als Capitain Petersen. Es unterbrach ihn Keiner, so lange er sprach; selbst wenn seine Zunge unversehens an einer unbequemen Sylbe hängen blieb, war auch nicht eine Lippe, die sich zum Lachen verzogen hätte.

Der wackere Mann ahnte nicht, daß er schon ein Jahr später in der nämlichen Gegend, wo der Schluß seiner Erzählung spielte, ebenfalls sein Grab im Schooße des Meeres finden werde.




Theodor Körner in Leipzig.
Einem Freunde nacherzählt von Th. Creizenach.

Meine zwei letzten Schuljahre verbrachte ich auf einem oberdeutschen Gymnasium. Mein Vater, obwohl in Sachsen heimisch, hatte doch eine besondere Vorliebe für den kleinen Staat, zu dem diese Lateinschule gehörte. Der Director derselben war ebenfalls ein geborener Sachse und hatte noch Beziehungen zu seinem Geburtslande. Ich hatte schon zu Hause sagen hören, dieser Gelehrte sei als geschmackvoller Philologe den Besten in Deutschland gleichzustellen und auch sonst kein übler Mann, wenn auch Viele ihn nicht leiden könnten. Dies Urtheil wurde mir in Ellerburg, wo unser Gymnasium sich befand, vollkommen bestätigt. Professor Winfried wußte vortrefflich zu reden, sein Vortrag war würdig und elegant, ohne Schwulst und ohne Geziertheit; aber ein gewisses hochmüthiges Wesen war bei ihm um so anstößiger, als er sich vor den Großen des Ländchens meisterhaft zu schmiegen verstand und die Regierung in ihren bedenklichsten Händeln keinen gehorsameren Parteigänger hatte, als ihn. Er war in Dorf und Stadt eben nicht beliebt. Gleichwohl konnte man ihm nichts weniger Schuld geben, als thätige Bosheit oder Rachsucht; ja, man hätte ihm bei mancher Beleidigung, die ihm widerfuhr, um des Anstandes willen mehr Zornmuth und weniger Versöhnlichkeit gewünscht.

Winfried las mit uns außer den Alten auch deutsche Dichter. Am liebsten verweilte er bei der romantischen Schule; vor dem jungen Deutschland konnte er nicht genug warnen und erklärte einmal, er würde seinen eigenen Sohn eben so gern sterben sehen, als ihn zu dieser Rotte zählen müssen. Er war ein Deutschthümler vom reinsten Wasser und floß über von Bezeigungen der Pietät, wenn etwa von Arndt oder Max Schenkendorf die Rede war. Daher fiel es uns um so mehr auf, wie er jede Gelegenheit ergriff, unseren Liebling Theodor Körner auf’s Strengste durchzuziehen und uns zu versichern, es sei in demselben kein Funke echter Bildung und Poesie zu finden, man habe aus einem solchen „Taumler“ und wüsten Renommisten viel zu viel Wesen gemacht.

„Wie kommt göttlichen Personen ein solcher Zorn?“ fragten wir uns öfter, mit Anwendung eines classischen Dichterwortes. Ich hätte nach meiner Heimkehr Gelegenheit gehabt, mich darüber zu belehren; aber in der nächsten Zeit traten mir die Schulerinnerungen in so entlegene Ferne zurück, daß ich keinen Trieb hatte, Forschungen der Art anzustellen. Erst vor wenigen Jahren, als wir zu Dresden die Nachricht von Herrn Winfried’s Tode aus der Zeitung erfuhren, kam die Rede auf jenes anscheinend grillenhafte Urtheil, und ein befreundeter alter Herr ertheilte mir darüber die vollständigste Belehrung.

Im Jahre 1810 kam Winfried von Wittenberg aus, wo er studirte, öfter nach Leipzig. Bei seiner großen Jugend war er doch über die meisten Burschen bereits hinausgewachsen. Man sah ihn vielfach im Verkehr mit angesehenen Familien, besonders höherer Beamten. Seine Kenntnisse, seine Suada und die altkluge Würde, mit der er über die damaligen Studentenhändel sprach, verschafften ihm ein gewisses Ansehen. Er schien bei seiner Frühreife des Eintrittes in Amt und Würden schon ziemlich sicher zu sein. Er hatte sich daran gewöhnt, mit den ersten sächsischen Würdenträgern jener Zeit für das französische Kaiserthum zu schwärmen und die patriotischen Aeußerungen aus dem Kreise der Studenten für vorlaute Redensarten zu erklären.

Nun war damals ein bedeutendes Jahrgeld zu vergeben, das immer einem Studirenden der Philologie zukam und das nicht den gewöhnlichen Stipendien gleichzuachten war. Mit demselben war einige Beschäftigung an einer höheren Lehranstalt verbunden; und da es fast nur an sehr begabte junge Leute vergehen wurde, so war man gewöhnt, es als eine der schönsten Anwartschaften zu betrachten. Winfried konnte sich wohl Hoffnung darauf machen; er hatte sich durch seine Gewandtheit, wie durch Anstand und erkünstelte Bescheidenheit mehr als irgend ein Mitbewerber empfohlen. Die meisten Stiftungsverwalter sprachen sich für ihn aus. Das entscheidende Wort freilich mußte aus dem Munde des Präsidenten kommen; aber auch ihm schien Winfried angenehm zu sein.

Von den Uebrigen, die auf das Jahrgeld Anspruch machten, kam eigentlich nur noch ein gewisser Wermeroth in Betracht. Gegen ihn sprach wohl das Herkommen in so fern, als er den Naturwissenschaften fast mehr Eifer zugewandt hatte, als den alten Sprachen. Aber sein bisheriger Lebenslauf erweckte für ihn das höchste Vertrauen. Seine Anlagen waren mehr solid, als glänzend, wie auch seine sanften, ruhigen Augen erst dann fesselten, wenn man erkannt hatte, was aus ihnen sprach. Er war dreiundzwanzig Jahre alt und hatte sich erst mit neunzehn Jahren einem gelehrten Berufe zuwenden können. Durch Unterricht in besseren Häusern in Dresden wurde er bei Schülern, die nur um wenige Jahre

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 743. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_743.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)