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verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

No. 52. 1858.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Der Todtenbesuch am Skagerhorn.
Nach wirklichen Begebenheiten mitgetheilt von Ernst Willkomm.
(Schluß.)


VII.
Die todte Braut.

Zu dem Anschlag der Wellen gesellte sich jetzt noch ein anderer Ton. Es war, als trieben mit der Fluthwoge schwere Gegenstände gegen das Haus, denn die Wände dröhnten laut, und schon zeigten sich hundert lockere Stellen. Das Wasser stand bereits ein paar Fuß hoch im Hause.

Niels Sturleson sprach den Segen über uns und erhob sich. Da brach die Wand, ein schäumender Strom riß die Steine vollends nieder, und augenblicklich füllte sich der ganze Raum mit Wasser. Instinctmäßig drängten Alle nach der Thür, um die Treppe zu gewinnen. Der wüste Fremde erreichte sie im Sprunge zuerst, aber wie er sie aufstieß, prallte er mit einem Aufschrei zurück, den ich später nach Jahren noch manchmal im Traume gehört habe und vor dem jedes Mal mein Herz erbebte.

Gleich den unfesten Wänden war auch die Thür des Hauses von der Gewalt der Wogen eingedrückt worden. Mit diesen zugleich drangen, vom Zuge des Stromes erfaßt, schwimmende Gegenstände in Sturleson’s Wohnung und das Erste, was wir von diesen erblickten, war ein seines Deckels beraubter Sarg. In schlichte Kleidung gehüllt, lag darin ein Weib, so wohl erhalten, als wäre sie erst vor wenigen Stunden der Welt entrückt worden. Die bleichen Hände über die Brust gefaltet, schien sie zu schlummern, im Schlummer aber von einem bösen Traume gequält zu werden; denn ihr Gesichtsausdruck war der einer schwer leidenden, einer schuldlos Büßenden.

Gegen den Mann von dem zerstörten Schiff „Isaak“ trieb dieser offene Sarg zuerst heran, sein Blick fiel auf die Leiche, deren Antlitz von den noch brennenden Windlichtern hell beleuchtet ward, und mit dem gellenden Ausrufe:

„Marie Anne! Marie Anne! Sie hält ihr Versprechen!“ brach er gurgelnd zusammen. Er würde ertrunken sein, hätten nicht Einige von der Mannschaft der „Olga“ ihn erfaßt und schnell emporgerissen.

„Laßt ihn nicht sterben, nicht jetzt!“ schrie Henricksen, den Sarg erfassend, und seine Rechte auf die verschlungenen Hände der Todten legend. „Es ist der Räuber, der Mörder meiner Braut! Es ist der ruchlose Esthe Torkel Veen!“

„Torkel Veen!“ stammelte der Entsetzte, und sein Auge heftete sich angstvoll auf den zürnenden Henricksen.

Dies Alles war das Werk nur weniger Secunden. Der von Henricksen fest gehaltene Sarg schwankte auf und ab auf der fluthenden Welle, deren Gewalt gebrochen zu sein schien. Der Sturm wüthete nicht mehr mit der früheren Heftigkeit, und auch die Fluth hatte ihre größte Höhe erreicht.

„Wardst Du auch erst mein im Tode, Marie Anne,“ sprach Henricksen, seine Hand auf die Stirn der Entseelten, von den Fluthen dem Grabe wieder Entrissenen legend, „so will ich jetzt doch nicht eher von Dir lassen, bis der Räuber Deines Glückes den wohlverdienten Lohn empfangen hat!“

„Gott ist gerecht!“ fiel Niels Sturleson ein. „Er öffnet die Gräber, damit offenbar werden die Frevelthaten verhärteter Sünder! Dies Weib trieb vor einigen Wochen Nachts bei ruhigem Wetter an den Strand. Ich bestattete die Unbekannte wie Jeden, den die See mir zuführte. Wer sie sein möge, von wannen sie kam, auf welche Weise sie den Tod im Meere fand, nach dem Allen konnte ich nicht fragen. Ich bettete sie unter Bitte und Gebet zu den Uebrigen, die auf gleiche Weise hier ihre letzte Ruhestätte auf Erden fanden.“

Torkel Veen war völlig gelähmt. Er konnte sich nicht bewegen und auch die Sprache versagte ihm Anfangs. Jede an ihn gerichtete Frage beantwortete er nur durch Zeichen. Das Erscheinen der Todten, schien es, hatte einen vernichtenden Eindruck auf ihn gemacht. Er gab durch Zeichen zu verstehen, daß man ihm Zeit lassen möge; später sei er Willens, zu sprechen und sein Gewissen zu erleichtern.

Man breitete nun ein Tuch über das Antlitz der Todten, damit Torkel Veen nicht immer wieder von Neuem sich vor der Leiche entsetzte. Da sich das Wasser inzwischen ziemlich rasch verlief, so konnte man den Sarg ohne Bedenken in der Flur des Hauses stehen lassen, dessen Thür wir, so gut es gehen wollte, wieder befestigten. Darüber ward es Tag. Die aufgehende Sonne beschien ein düsteres Trümmerfeld. Auf dem kleinen Friedhofe war kein Grab unbeschädigt geblieben. Die meisten Särge lagen umgestoßen, einige zerbrochen, zerstreut auf den Ueberresten der zerborstenen Mauer. In Segelfetzen, zwischen Sand, Geröll und Muscheln fanden sich Gebeine längst Beerdigter. Am Strande, weiter nach dem Horn zu, lagen die gestrandeten Wracks der beiden Schiffe, und aus dem Rumpfe des „Isaak“ brodelte hie und da noch dunkler Rauch auf. Zu bergen gab es nichts. Die wild tobende See hatte alles Werthvolle entweder zerschlagen oder in unergründliche Tiefen versenkt.

Gegen Mittag hatte sich Torkel Veen so weit erholt, daß er

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verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1858, Seite 741. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_741.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)