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verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

empfinden, den die schrecklichen Kerker in der Einsamkeit und in ihrer Dunkelheit auf mich machten.

Allein stieg ich nun die beiden steinernen Stiegen wieder hinab. Eine Todtenstille umgab mich, ich hörte kein Geräusch, als den eintönigen Schlag der Wellen des Canals, welche an der Mauer des Palastes branden. Die mit dicken Eisenstangen vergitterten Fenster ließen nur ein schwaches Dämmerlicht in den Gang fallen. Ich stellte mich auf den Platz, wo einst der Hinrichtungsstuhl mit der schrecklichen Garotta stand, und blickte auf die geheimnißvolle Thür, welche von hier in den Canal führte. Ich sah den schrecklichen Stuhl vor mir; dann hörte ich, wie die Eisenthür des Kerkers sich knarrend öffnete, und zwei Henker, schwarze Masken vor dem Gesicht, führten einen bleichen Mann, dessen Hände gefesselt waren, durch den Gang zu dem Stuhle. Ein hoher Mann, in der Amtstracht der Inquisitoren, ebenfalls maskirt, begleitete sie. Als der Gefangene auf dem Stuhle saß, zog der Inquisitor eine Schrift aus dem Gewände und hielt sie dem Gefangenen vor das Gesicht. Es waren wenige Zeilen darauf geschrieben, die ich nicht entziffern konnte, die Unterschrift fehlte, nur oben in der Ecke des Pergaments bemerkte ich deutlich mit rother Schrift die Buchstaben C. D. X. Der Gefangene zitterte, als er die wohlbekannten schrecklichen Zeichen erblickte; sein kerkerbleiches Gesicht wurde noch bleicher. Dann wurde ihm von hinten ein Strick über den Kopf geworfen, ich hörte deutlich das Krachen der Halswirbel. Wie durch einen Zauber öffnete sich nun die geheimnißvolle Thüre in der Mauer und vor ihren Stufen erschien die schwarze Gondel auf dem Wasser. Deutlich sah ich an ihrem Hintertheil mit rothen Buchstaben die fürchterliche Inschrift.

War es ein Traum oder sah ich dies Alles wirklich? Ich rief, um in dieser Einsamkeit meine eigene Stimme zu hören, ich ging auf dem engen Raume hin und her, ich fühlte mit der Hand nach der vermauerten Thür, um mich zu überzeugen, daß sie nicht existirte. Nach und nach beruhigte sich meine erhitzte Einbildungskraft, und die schrecklichen Gestalten verschwanden; ich sah, daß ich allein war an diesem fürchterlichen Orte. Dann ging ich durch den Gang und stieg in den Kerker hinab, an dessen Wänden ich bei dem Scheine der Fackel die Inschriften gelesen hatte. Es war ganz dunkel. Das Dämmerlicht, das durch die obere, runde Oeffnung fiel, war so schwach, daß kaum die Umrisse der Wände zu erkennen waren. Die Luft war dick, feucht und dunstig, eine wahre Kerkerluft. Ich habe auch Jahre lang einen Kerker bewohnt, den man zu den schrecklichen zu zählen pflegte; aber seine Luft war wahrer Frühlingsodem gegen diese Moderluft. Sie kam mir vor, wie die Luft eines steinernen Grabes. Ich ging auf dem engen Raume hin und her; er gestattete mir kaum, vier Schritte zu machen. Ich berührte mit der Hand die Decke und die Steinplatten des Fußbodens; sie fühlten sich an, wie die feuchte, kalte Haut einer Eidechse. Wiederum begannen eine Reihe Schreckensgestalten aus der Geschichte des Palastes vor meinem geistigen Auge zu erscheinen, dann dachte ich unwillkürlich an die Folterwerkzeuge, die ich Tags zuvor im Arsenal gesehen, an die eiserne Haube, an den vergifteten Schlüssel, an den Schraubstock, der die Finger des Gefolterten zerquetschte, Erfindungen des Tyrannen von Padua. Gewaltsam suchte ich die Erinnerungen niederzudrücken, um nicht wieder in den früheren aufgeregten Zustand zu gerathen – da sah ich den Gang von einer rothen Fackel erleuchtet und zu mir herein blickten die schwarzen Augen meines Führers, der gekommen war, um mich abzuholen. Er schüttelte über meine sonderbare Grille, hier allein zu bleiben, den Kopf, und als ich ihm erzählte, was ich Alles gesehen, machte er ein Gesicht, als wenn er dächte, es sei in meinem Gehirn wohl nicht Alles in der gehörigen Ordnung. Langsam stiegen wir wieder hinauf, und als ich wieder auf der Piazzetta am Molo stand, leuchtete die Octobersonne mir noch einmal so heiter und so golden. Dr. Keesbacher kam gerade über die Riva bei Schiavoni von einem ärztlichen Besuche, den er bei einer russischen Fürstin gemacht hatte. Wir stiegen in eine Barke, nahmen vier Ruderer und fuhren am Lido vorüber hinaus auf das adriatische Meer, welches heute wie ein stahlblauer venetianischer Spiegel glänzte.




Blätter und Blüthen.

Die Novara-Expedition. Die österreichische Fregatte „Novara“, welche, wie Sie wissen, bestimmt ist, eine wissenschaftliche Expedition um die Welt zu führen, ist, nachdem sie die Capstadt, die Inseln St. Paul und Neuamsterdam, Ceylon etc. berührt, am 2. August d. J. in Shanghai auf der Ostküste China’s angekommen. Von hier aus ist der letzte Bericht nach Europa gelangt, dem wir Folgendes entnehmen: Unsere Abreise nach Sydney (an der Ostküste von Neu-Süd-Wales in Australien) wird wahrscheinlich am 8. oder 9. August statthaben. Diesmal werden die zahlreichen Freunde, welche den Novara-Reisenden mit so theilnehmenden Herzen folgen, lange nichts von uns zu hören bekommen. Die Fahrt von Shanghai nach Sydney dürfte mindestens drei Monate in Anspruch nehmen, um so mehr, als Commodore Wüllerstorff unterwegs die Mariannen und Carolinen, sowie die Salomonsgruppe zu besuchen gedenkt. Sie dürfen durchaus nicht beunruhigt sein, wenn Sie mehrere Monate lang kein Sterbenswörtlein von uns hören, auch dann nicht, wenn Sie zufällig d’Urville’s Reisewerk in die Hand bekommen, und darin von der sonderbaren Sitte der Eingeborenen der Salomonsgruppe lesen sollten, gebratene Stücke Menschenfleisch dem fremden Gaste als Speise vorzusetzen. Obwohl die Bewohner dieser Insel Anthropophagen genannt werden müssen, so sind sie dies doch nur bis zu einem gewissen Grade; sie verzehren nämlich nur das Fleisch ihrer Kriegsgefangenen und der ihnen feindlichen Volksstämme. Gegen Weiße sollen sie ungemein zuvorkommend und freundlich sein. Aber wenn auch dies nicht der Fall wäre, so ist die Gefahr, von wilden Völkerschaften verspeist zu werden, für Reisende auf einem Kriegsschiff nicht sehr groß. Obschon unser Aufenthalt in China in die ungünstigste Periode fiel, sowohl in Bezug auf die Jahreszeit, mitten im heißesten Sommer, als auch wegen der politischen Verhältnisse, welche der Naturforschung so viele Schwierigkeiten in den Weg legten: so dürfte doch jeder von uns, mit Hinblick auf das Gesehene, Erfahrene, Erlebte und Erworbene, mit großer Befriedigung der Tage in China gedenken. Ein großer Vortheil war es für die Reisenden der Expedition in Shanghai, Männer wie Will Williams, Meadows, Muishead, Hobson, Montigny, Fortune, Swinhow zu treffen, welche sich durch ihre gründliche Kenntniß des Landes von großem Nutzen erwiesen. Nur durch solche Theilnahme ist es möglich, in einer so kurzen Zeit unter so grauenhaften klimatischen Verhältnissen, wo der geringste Exceß den Tod bringt, so Erfreuliches zu erzielen, wie es uns in den verschiedensten Zweigen gelungen ist. – Vorausgesetzt, die Fahrt der Novara von Shanghai bis Sydney dauere drei Monate, so ist sie Anfang dieses Monats (November) am Orte ihrer Bestimmung; wir würden dann die nächste Nachricht von Sydney aus im Januar 1859 zu erwarten haben.




Nicht zu übersehen!

Mit der nächsten Nummer schließt das vierte Quartal und der Jahrgang 1858 und ersuchen wir die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen für das nächste Jahr schleunigst aufgeben zu wollen.

Im nächsten Quartal kommen außer den trefflichen Beiträgen von Bock, Roßmäßler, Beta in London, A. Brehm etc. etc. zum Abdruck:

„Er betet“. Erzählung von Temme (Verfasser der „Neuen deutschen Zeitbilder“). – Westphälische Erinnerungen von Heinrich Koenig: „Die geheime Polizei“. – Berliner Bilder von Ernst Kossak. – Reise-Erlebnisse in Rußland von Wilh. Hamm, mit Abbildungen. – Die Jagd auf den Hochalpen von Guido Hammer, mit Abbildungen. — Ein Parvenu des vorigen Jahrhunderts von L. Storch, mit Abbildung. – Ein Besuch bei Kane, dem Nordpolfahrer. – Preußische Licht- und Schattenbilder von Max Ring: Bischoffswerder und Wöllner. — Humoristische Vorlesung über die Philosophie des Luxus und der Mode. Ungedruckte Reliquie von Carl Herloßsohn. – Eisenbahnfahrt über den Semmering. – Ein Burschentag in Bamberg. — Johanna’s (Wagner) erste Lorbeeren. Von Alb. Traeger.

Gleich den früheren Jahren sind auch für den Jahrgang 1858 höchst

geschmackvolle Decken mit Golddruck

nach eigens dazu angefertigter Zeichnung zum Einbinden durch uns zu beziehen. Alle Buchhandlungen sind in den Stand gesetzt, dieselben zu dem billigen Preise von à 13 Ngr. zu liefern. Zu den Jahrgängen 1854 bis 1857 stehen ebenfalls Decken zu den gleichen Bedingungen zu Diensten.

Die Verlagshandlung.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1858, Seite 740. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_740.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)