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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

erschüttern, wenn wir der Worte gedenken, womit der Gefangene den von einem Freunde eingeleiteten Fluchtversuch ablehnte. Der ihn dazu Einladende war kein solcher, dem er jemals hätte Wohlthaten erweisen können, eben so wenig einer von denen, die aus seinen Liebhabereien und Eigenheiten irgendwie Vortheile gezogen haben; er war ein im Auslande lebender Ehrenmann, den der Ruf von dem Verhängnisse des Greises in seine Nahe gerufen hatte.

„Wie,“ antwortete der seltsamste aller Irrsinnigen, „wie, lieber Freund, können Sie mir nur einen solchen Vorschlag machen? Sehen Sie mich an! Ich bin ein alter und halbgelähmter Mann; ich habe nicht mehr die Kraft zu Abenteuern, auch wenn ich den Willen dazu hätte. Und was würde die Welt dazu sagen? Glauben Sie mir und verlassen Sie sich darauf, daß ich diese Treppen auf gesetzmäßigem Wege hinabsteigen werde!“ Fürwahr Worte, eines preußischen Richters würdig! Und dieser Mann sitzt im Irrenhause und wird fort und fort darin festgehalten!

„Nun bemerkten wir oben, daß der vorliegende Fall sich durchaus als einen solchen zu erkennen gebe, bei dem es darauf ankomme, daß vor allem und jedem weiteren Verfahren die gegebene Thatsache, wir meinen die Versetzung Schuhmacher’s in ein Irrenhaus, aufgehoben und jene restitutio in integrum verfügt werde. Der vorliegende Fall gibt sich als solchen zu erkennen, einmal durch die Art und Weise, wie dieser Mann aus dem Stande der Freiheit und Selbstständigkeit enthoben und einem Irrenhause einverleibt wurde, sodann aber auch durch die öffentliche Stimme, die nie in einem anderen Falle sich je mit größerer Entschiedenheit ausgesprochen hat und noch fort und fort ausspricht. Kaum nämlich war in der Stadt bekannt geworden, daß der Greis sich im Irrenhause befinde, als auch sofort die allerentschiedenste Entrüstung sich überall kundgab. Denn selbst diejenigen, welche den Mann nicht gekannt hatten und aus diesem Grunde es dahingestellt sein lassen mußten, ob er wirklich irrsinnig sei, fühlten sich durch die Handlung selbst auf das Aeußerste verletzt und betroffen. Wie, hörte man auf dieser Seite durchgehends fragen, ist der Mann darum so alt, darum der Besitzer eines so ansehnlichen Vermögens geworden, daß dasselbe auf die schmähliche Verpflegung seiner letzten Tage in einem Irrenhause verwendet werde? ist er denn wirklich bis zu dem Grade irrsinnig, daß der Genuß seiner Freiheit ihm mißgönnt und verweigert werden muß? ihm entzogen werden kann und darf? ist er denn gefährlich im Zustande der Freiheit? ist er tobsüchtig? leidet er an einer verbrecherischen, die allgemeine Sicherheit gefährdenden Manie? Und wenn das Alles wäre, reicht dann sein Vermögen nicht aus, daß ihm eine ehrenhafte, standesmäßige und edle Subsistenz in der Freiheit gesichert werde? Was kostet diese Verpflegung in einem Privat-Irrenhause und was würde jede andere, mit dem Genusse der vollen freien äußerlichen Unabhängigkeit verbunden, kosten? Wer ferner hat ein näheres und unbedingteres Recht auf den vollen Genuß seiner Mittel, als er? Oder hat er aufgehört, der rechtmäßige Herr seines Vermögens und das Oberhaupt seiner Familie zu sein?!

„So urtheilten und äußerten sich alle diejenigen, welche den Mann nicht kannten, noch ihn je gesehen hatten! Aber davon, daß der Greis irrsinnig, daß er selbst nur dispositionsunfähig wäre, wollte von den vielen Hunderten und Tausenden, die den Mann seit einer langen Reihe von Jahren gekannt und beobachtet und von denen Viele bis auf den letzten Augenblick mit ihm verkehrt hatten, Keiner je das Mindeste wahrgenommen haben.

„Er hat Schwächen, hörte man von dieser Seite sagen, aber er hat auch ein Recht dazu, ihnen nachzugeben, und er darf sie haben, denn er verletzt und beleidigt, verkürzt und verkümmert dadurch Niemand in höheren, besser begründeten Rechten. Die Befriedigung seiner Liebhabereien war jederzeit von einer sehr besonnenen Erwägung begleitet, und diese Liebhabereien waren unschuldig, ja sie charakterisirten sich gemeinhin als Eingebungen und Ausflüsse eines großmüthigen und edlen Herzens. Wenn er dagegen auch einmal zu seinem Nachtheile einen Gutskauf gemacht, wenn er bei seiner Liebhaberei für Pferde im Kauf und Verkauf derselben da und dort hintergangen worden, wenn er für Solche etwas gethan, die sich ihm, dem in seiner engeren Umgebung keineswegs glücklichen Greise, angenehm und gefällig zu zeigen bemüht waren: so könnte aus diesen Dingen eine Anwartschaft auf das Irrenhaus doch erst dann mit einem Scheine von gesetzlicher Gleichheit gegen ihn gefolgert werden, wenn das Gesetz festgestellt hätte, daß ich als selbstständiger Mann mit dem Meinen nicht mehr machen könne, was ich will; wenn das Gesetz an Stelle der väterlichen und hausherrlichen Gewalt das Princip der Familienempörung gegen den Hausherrn aufgerichtet und geheiligt, wenn endlich zum Gesetze geworden, daß alle an der Börse speculirenden Kaufleute, die Tag für Tag das Wohl und das Wehe, den Flor und den Ruin ihrer Familien auf die Wette setzen, als irrsinnig in ein Irrenhaus versetzt werden sollen.

„So sprach man auf Seiten derer, die den Mann kannten, und auch hierin hatte man Recht.

„Unsererseits zählen wir zu denen, die den Greis nie gekannt, noch ihn jemals gesehen haben, mithin ist auch unser Urtheil ein anderes. Wir lassen beide Ansichten dahin gestellt, aber indem wir in Folge eines rasch hingeworfenen Wortes uns wider unser Wollen in den Mittelpunkt der traurigen Scene versetzt sehen, und von allen Seiten in der Neigung unseres Herzens ermuntert werden, die so tief wunde Sache nicht ruhen zu lassen, wollen wir wenigstens aussprechen, was wir unsererseits urtheilen. Wir verlangen einfach, daß der Greis restituirt werde und daß, wenn sein Geist in der That getrübt und seine Dispositionsfreiheit zu beschränken wäre, ihm eine Wartung und Pflege im Genusse seiner vollen freien äußerlichen Unabhängigkeit gegönnt und gesichert werde. Dieser Genuß seiner äußerlichen Freiheit ist unter allen Umständen das Mindeste, was ihm in seiner Eigenschaft als Oberhaupt seiner Familie, was der Ehrwürdigkeit seines Alters, der persönlichen Güte seines vielbelobten Charakters, seiner gesellschaftlichen Stellung und der öffentlichen Meinung zugestanden werden muß.“

Zum Schlusse erwähne ich noch den trefflichen Artikel der Times über die Zustände in England und Schottland, welcher in eigenthümlicher Fügung mit dem meinigen sich kreuzte, und am Schlusse das Resultat in folgenden Worten zusammenfaßt: „Man braucht blos einem Advocaten 300 Pf. St., die Privatgeschichte eines Mannes und als Secundanten zwei oder drei Irrenärzte zu geben, und man kann fast jeden Menschen unter einem oder dem anderen Vorwande einsperen lassen.“

Das öffentliche Interesse ist aus diesen sehr natürlichen Gründen der Entwicklung dieser für die Menschheit wichtigen Angelegenheit und insbesondere dem Ergebnisse der gegen Lennartz schwebenden Criminaluntersuchung in hohem Grade zugewendet, welche fortwährend die Gemüther bewegt, und die Legislatur wird demnächst auch in diesem Zweige ihre Schuldigkeit zu thun haben.“[1]

Köln, den 15. November 1858.




Die Pozzi im Dogenpalaste zu Venedig.
Von G. R.

Es gibt hie und da Orte in Europa, welche die grausamen Thaten vergangener Jahrhunderte mit besonders blutiger Schrift erzählen, Orte, an deren Wänden das Blut der hier Gemordeten immer wieder zum Vorschein kommt, so oft man sie auch übertüncht hat. Ich war kürzlich auf einem alten Jagdschloß im Blühnbachthal, welches die Erzbischöfe von Salzburg bewohnten, als sie mit Folterwerkzeugen und mit dem Schwert des Henkers die Reformation in den Salzburger Alpen ausrotteten. Ein Schauder überlief mich, als ich in diesen düstern Räumen umherging und daran dachte, welche fürchterliche Thaten sie mit angesehen haben. Die Peinigungen der Opfer mußten hier zur Erholung nach den Freuden der Jagd und der Tafel dienen; ihr Geschrei und ihr

  1. Es sind uns mit Bezug auf diesen Artikel einige Mittheilungen zugegangen, die wir in einer der nächsten Nummern im Auszug veröffentlichen werden. D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 738. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_738.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)