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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

seine Aufnahme verweigerten, und nachdem es endlich gelungen war, ihn in der hier errichteten Alexanderanstalt unterzubringen, durch die nach 28tägiger Haft auf das Gutachten des Kreisphysikus verfügte Freilassung Seitens der Aufsichtsbehörde vereitelt. Thatsache ist, daß er seitdem unangefochten blieb, und seinen ausgebreiteten Geschäften nach wie vor mit Umsicht und Erfolg vorsteht.

Kurze Zeit darauf war eine reiche, den höheren Ständen angehörige Frau, die verwittwete Geheimräthin Wilhelmine Egen aus Elberfeld, aus einer ähnlichen Privat-Irrenanstalt des Doctor Herz in Bonn entflohen. Unter unsäglicher Seelenangst erreichte sie Köln, und bat mich flehentlich um Schutz gegen die befürchtete Wiederergreifung. Durch das Nervenfieber war vor mehreren Jahren ihr als hochgestellter Staatsmann im Ministerium des Handels geachteter Gatte in Berlin, dessen sie mit rührender Liebe gedachte, seiner Familie entrissen worden, ihre Kinder lagen an derselben Krankheit hoffnungslos in Elberfeld, wohin sie sich zurückgezogen hatte, darnieder. Wochen lang hatte sie dieselben mit mütterlicher Aufopferung gepflegt, als die behandelnden Aerzte sie darauf vorbereiteten, daß die Kinder die folgende Nacht nicht erleben würden. Nur mit Mühe vermochte der zugezogene Geistliche sie mit den Verheißungen der heiligen Schrift und den Tröstungen ihrer Kirche einigermaßen zu beruhigen. Die gefürchtete Nacht ging vorüber, und die Kinder genasen wieder. Als letztere außer Gefahr waren, ließ sie sich durch ihre Angehörigen zu einer Rheinreise bestimmen, um sich zu erholen. Zur späten Abendstunde erreichten sie Bonn. Dort stiegen sie in einem der ersten Gasthöfe, wie ihr gesagt wurde, ab. Kaum umgekleidet, begab sie sich nach den ihren Angehörigen angewiesenen Zimmern, fand dieselben aber leer. Auf ihr Befremden äußerte der angebliche Wirth, ihre Angehörigen seien wieder abgereist, auch werde sie wohl nicht glauben, daß sie sich in einem Gasthofe befinde, er sei der Dr. Herz, Vorsteher einer Irrenanstalt, wo sie zu ihrem Besten habe untergebracht werden müssen. Ihre Versicherung, sie bedürfe dessen durchaus nicht, ihr Bitten, ihr Flehen half nichts; sie wurde in die bereit gehaltene Zelle eingeschlossen, und ihr während der Nacht die Kleider weggenommen, damit, wie dies eine allgemeine Maßregel zu sein scheint, ein Fluchtversuch verhindert werde. Drei volle Jahre brachte sie in dieser Anstalt zu, bis ihr durch die Bestechung einer Wärterin und begünstigt durch die Nacht die Flucht gelang, drei Jahre der Verzweiflung, wobei sie Gott inbrünstig dankte, daß sie nicht den Verstand darüber verloren habe.

Erschütternd war die Beschreibung ihres dortigen Aufenthaltes. Besuche ihrer Angehörigen durfte sie nicht annehmen, weil dies nach den Anordnungen in solchen Häusern die Kranken „zu sehr aufregt,“ eine Correspondenz mit ihren Kindern war aus gleichen Gründen untersagt, und fand sie in ihrer Abgeschlossenheit von der Welt einmal Gelegenheit, ihrem Unglücke verstohlen Worte zu leihen, so zuckte man mitleidig die Achseln, und hielt ihre Klagen für den Ausdruck des unheilbaren Wahnsinnes. Wie sie versicherte, ist Niemand mehr in Gefahr, wirklich wahnsinnig zu werden, als wer bei klarem Bewußtsein sich als Geistesirren angesehen und behandelt sieht.

Die Aufnahme in das Irrenhaus war erfolgt auf Grund des Attestes der Aerzte, welche ihre verloren gegebenen und wieder genesenen Kinder behandelt hatten. Inzwischen war nach gesetzlicher Vorschrift das Interdictions-Verfahren eingeleitet. Dasselbe gründete sich zugleich auf das Attest des Irren-Arztes und Inhabers der Anstalt, Dr. Herz, daß sie unheilbar sei, und nebenbei wurde als einer der Hauptgründe geltend gemacht, sie glaube an die Existenz des Teufels – eine Auffassung, welche sie übrigens mit der Ueberzeugung berühmter Theologen, als gegründet auf die Lehre der heiligen Schrift, theilt. Allein sie war selbst nicht einmal in der Lage, sich in dem Interdictions-Verfahren zu vertheidigen. Nach ihrer Behauptung wurde ihr von dem Vorsteher der Anstalt nicht erlaubt, auf die erhobene Klage und deren entstellende Thatsachen zu antworten oder einen Anwalt zu bestellen, wahrscheinlich um eine „Gemüths-Aufregung“ zu vermeiden. Das Verfahren ging in contumaciam weiter, bis ihre Flucht demselben ein Ende machte. Ihre Mittheilungen trugen allerdings das Gepräge großer Aufgeregtheit; letztere schien mir indeß nach der Flucht in kalter Nacht unter dem Eindrucke solcher Erlebnisse sehr erklärlich. Von einem Irrsinn war im Laufe der längeren Unterredungen auch nicht die geringste Andeutung vorhanden, und Thatsache ist, daß ihre Angehörigen nicht für nöthig befunden haben, ihr Bestes in dieser Anstalt von Neuem fördern zu lassen. Sie lebt ruhig bei ihren Kindern und preist Gottes Barmherzigkeit, daß er sie erlöst hat.

Nimmt man hinzu, daß für die Pflege eines solchen Kranken je nach seinen Verhältnissen eine Vergütung von 6–1400 Thaler jährlich gefordert wird, ferner, daß solche Privatanstalten sich in unglaublicher Weise pecuniär rentiren, daß unter Anderem die Anstalt des Dr. Richarz in Endenich bei Bonn eine jährliche Bruttoeinnahme von 40,000 Thalern, sage vierzigtausend Thalern, abwirft, und daß bei der zu beobachtenden Diät nur leicht verdauliche Speisen den Unterhalt der unglücklichen Bewohner solcher Anstalten bilden: so ist der Versuchung für den Eigennutz ein um so gefährlicherer Spielraum geboten, wenn der Vorsteher der Privatanstalt selbst Arzt ist und die Diät anordnen kann. Die Familie glaubt ihren unglücklichen Angehörigen bei theurem Gelde wohl aufgehoben, und er mag – natürlich aus Gesundheitsrücksichten – häufig Mangel am Allernothwendigsten leiden. Die Beschwerden der Unglücklichen und ihre Seufzer erreichen entweder nicht ein menschliches Ohr, oder sie werden im glücklichsten Falle als die Aeußerungen von Verrückten angesehen.

Man sollte meinen, solche Zustände seien ganz unglaublich, und dennoch sind es nur Erscheinungen, die sich in allen Ländern unter ähnlichen Verhältnissen wiederholen. Davon geben die englischen Parlaments-Verhandlungen Zeugniß, welche mich zu dieser Besprechung veranlaßt hatten.

Wirft man vollends einen Blick auf die Behandlung, welcher die Irren bei der Gefühllosigkeit ihrer Wächter, die auch nicht selten ist, ausgesetzt sind, so muß schon die Gewißheit, für die ganze Lebenszeit in die Willkür solcher Menschen gegeben zu sein, fast zur Verzweiflung führen. Für Uebertretungen der Hausordnung, Widersetzlichkeit gegen die Wächter und andere Ungehörigkeiten, für welche in vielen Fällen die Unglücklichen im Zustande ihrer Geistesstörung nicht einmal zurechnungsfähig sind, bestehen Correctivmittel in solchen Anstalten, deren Anwendung nach Strenge und Umfang von dem Gutdünken des Vorstehers abhängig ist. Namentlich ist der Schrecken aller Unglücklichen das zeitweise Aufhängen an den gefesselten Händen, so daß die Füße kaum den Fußboden berühren, sowie der in diesen Anstalten eingeführte Zwangsstuhl, eine Vorrichtung in Form eines Lehnsessels, auf welchem die Uebertreter, von den Wächtern überwältigt ohne ein Glied rühren zu können, Tag und Nacht befestigt sitzen, so lange der Vorsteher der Anstalt es anzuordnen für gut findet. Es soll auf der Lindenburg bei dem geistesirren Jagenberg aus Solingen, dem der Bruder die Braut genommen hatte, ein Fall vorgekommen sein, daß derselbe vier Wochen lang Tag und Nacht diese Qual aushalten mußte. Man glaubt sich, wenn man solches hört, wahrhaft in die dunkelsten Zeiten des [WS 1] Mittelalters versetzt und versteht dann auch die Ausdrücke des englischen Parlamentes über die grauenhaften Zustände der dortigen Privat-Irrenhäuser, die als wahre Höllen auf Erden geschildert werden und in welchen ohne Zweifel ähnliche Vorrichtungen brüderlicher Zuneigung im Gebrauche waren.

Mit Befremden fragt man sich, wie es möglich ist, daß solche Einrichtungen Jahre lang bestehen können, ohne daß sie zur Kenntniß der Behörden gelangen, sei es durch den Arzt der Anstalt oder die Geistlichen derselben, oder Seitens des vom Gesetze zur Ueberwachung berufenen Kreisphysicus und des Regierungscomissars, und ob das Wehklagen dieser Unglücklichen die Ohren dieser Männer nicht erreicht. Es gibt hierauf nur eine Antwort, und zwar die, daß entweder zur Anwendung der Strafen eine Zeit gewählt wird, wo Letztere nicht anwesend, oder an Orten, die den Blicken derselben entzogen sind, und Beides ist in Anstalten, in welchen nur Unheilbare aufgenommen werden, um so leichter zu bewerkstelligen, als hier der Arzt überhaupt kein Heilverfahren anzustellen hat und der Besuch sich auf das Nöthigste beschränkt. Mag dem aber sein, wie ihm wolle, als eine der ersten Pflichten jedes Staates wird anerkannt werden müssen, solche schreiende Mißbräuche unverweilt abzustellen und den Unglücklichen Schutz zu gewähren, so weit er menschlicher Weise gewährt werden kann.

Faßt man das Obige zusammen, so schützt die bei uns und ohne Zweifel in dem größten Theile Deutschlands bestehende Gesetzgebung weder dagegen, daß vernünftige Menschen in Irrenanstalten eingebracht werden, noch auch gegen Anwendung willkürlicher, vom Gutdünken des Vorstehers verhängter Strafen. Es wird sich daher als Resultat ergeben, daß die Privat-Irrenanstalten, überwiegend als Anstalten des Eigennutzes,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: der
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 707. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_707.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)