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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Wie Sie sehen, kommen von diesen sieben Vereinen vier auf unser Deutschland – ein Beweis der regen Theilnahme, deren sich hier die Erdkunde erfreut. Am besten dotirt ist die russische Gesellschaft in Petersburg, nämlich mit einer jährlichen Einnahme von 23,427 Silberrubel oder 25,254 Thlr.; ihr folgt die englische in London mit 1693 Pf. St. oder 11,512 Thlr.; Berlin hat 4124, Paris 2667, Frankfurt a. M. 438, Darmstadt 257 Thlr. jährliche Einnahme.

Diesen geographischen Vereinen schließen sich in gewisser Beziehung die sämmtlichen rein naturwissenschaftlichen an, deren Zahl eine unverhältnißmäßig größere ist, so wie die Missionsanstalten, Generalstabe und Admiralitäten. Endlich dürfen wir der vielen geographischen Privatanstalten nicht vergessen, unter denen bekanntlich in Deutschland die von Justus Perthes in Gotha die erste Stelle einnimmt.

Sie sehen, unsere Wissenschaft verfügt über große Kräfte. Gefördert durch viele Fachmänner daheim, in dem civilisirten Europa, unter dem Schutze wohlthätiger Staatseinrichtungen, sendet sie zugleich ihre Boten aus in das noch unerforschte Innere fremder Continente, auf den spurlosen Ocean, nach den ewig eisumgürteten Polen und in die weiten Räume der Tropenwelt. So wächst sie heran zu einer wunderbar großen Welt menschlichen Wissens, von dem unsere Väter kaum geahnt.

Wir wollen den Lesern der „Gartenlaube“ von den Errungenschaften dieser Wissenschaft erzählen, indem wir ihnen unter dem obigen Titel in einer stehenden neuen Abtheilung die frischen Berichte jener zahllosen Jünger in der Ferne und Nähe vorlegen, die eben dazu beitragen, ein neues, helleres Licht zu werfen auf den ganzen Erdball und was auf ihm lebt.


I. Afrika.

„Afrika, nichts als Afrika,“ werden Sie denken. Aber erschrecken Sie nicht; es ist nicht meine Absicht, Sie von dem Verlaufe der großen afrikanischen Entdeckungen zu unterhalten, die unsere Tage verherrlicht haben. Ich weiß es wohl, es ist zu viel darüber geschrieben (ob gelesen?) worden in neuester Zeit: Sie sind afrikamüde und Sie haben Recht. Nur noch einmal haben Sie die Güte, mich anzuhören. Lassen Sie uns, um dann für längere Zeit mit afrikanischen Artikeln im Großen zu räumen, noch einmal flüchtig betrachten, „wie man’s erfahren hat, was man Neues von Afrika weiß;“ dann lassen Sie uns dem Dr. Livingstone, Ihrem alten Bekannten, einen kleinen Besuch auf dem Zambesi abstatten, und schließlich einen jugendlichen deutschen Forscher über eine projectirte Entdeckungsreise, unter Anderem nach den mehr als hundertmal gesuchten, aber noch nie gefundenen Nilquellen, anhören.

Bei dem Unternehmungsgeiste, mit dem Wissenschaft und Handel, Hand in Hand gehend, alle noch unbekannten Räume unseres Planeten zu durchforschen und auszubeuten streben, ist es in der That merkwürdig, daß noch bis vor wenigen Jahren so große Theile des afrikanischen Continents, strotzend zum Theil von der Pracht und Fülle einer tropischen Thier- und Pflanzenwelt, terrae incognitae geblieben sind.

Freilich war es stets Afrika, welches der wissenschaftlichen Thätigkeit der Reisenden unter allen Theilen des Erdballs das größte und zugleich schwierigste Feld der Entdeckungen dargeboten hat. Leichter war es dem Seefahrer im nördlichen Eismeere, den ewigen Eisgürtel zu durchdringen, der den Eingang zum Pole vertheidigt, als dem europäischen Forscher, sich durch die unermeßliche Ausdehnung starrer, Hitze hauchender Wüsten und die hartnäckige Feindschaft der rohen Stämme Wege in das Innere Afrika’s zu bahnen.

Ueber die Schwierigkeiten afrikanischer Reisen kann ich Ihnen nichts Besseres sagen, als der Engländer Burton, ein Mann, der aus Erfahrung spricht. – „Der Reisende in Afrika,“ heißt es in einem seiner Berichte, „ist, wenigstens in diesem Theile des 19. Jahrhunderts, ein sehr überarbeitetes Thier. Ehedem war das lesende Publicum zufrieden mit der trockenen Beschreibung dessen, was er gerade Neues sah, und fügte er noch ein paar Bestimmungen über Länge und Breite hinzu – so war man entzückt. In neuerer Zeit aber sind, wie in jedem andern Geschäft, so auch hier die Anforderungen gestiegen. Während der Reisende so und so viel Meilen Tags marschirt, und eine gewisse Anzahl von Stunden Nachts wacht, erwartet man von ihm – der in der That sein eigener General, Adjutant, Quartiermeister und Executivbeamter sein muß –, daß er Aufnahmen macht und beobachtet, Meteorologie, Hygrometrie und Hypsometrie registrirt, Vögel und Vierfüßler schießt und ausstopft, geologische Stufen sammelt, politischen und commerciellen Neuigkeiten nachjagt, das noch in den Kinderschuhen stehende Studium der Ethnologie befördert, Buch und Rechnung führt, skizzirt, ein dickes, lesbares Journal abfaßt, Grammatiken und Vokabularien macht und recht oft lange Berichte nach Hause schickt, um zu verhindern, daß die „Königl. geographische Gesellschaft von London“ bei ihren Abendsitzungen einschlafe! Ich gebe zu, es ist ganz in der Ordnung, hohe Anforderungen zu stellen, damit man sicher sei, daß auch etwas gethan werde; allein man sollte stets bedenken, daß Forschungsreisen keine Eisenbahnfahrten sind, und eine billige Grenze zwischen dem Möglichen und Unmöglichen ziehen. Ohne zu bedenken, was er verlangt, glaubt jeder Stubengelehrte das Recht zu haben, sich zu beklagen, daß der reisende Forscher seinen Theodoliten nicht im Tempel von Mekka aufstellte und seinen Sympiesometer nicht bis in die Mauern von Harar hineintrug. Ein eifriger Herr bat mich einst, Mistkäfer zu sammeln, und ein Anderer sendete mir ausgezeichnete Recepte, um Holzböcke aufzubewahren.

„Diese afrikanischen Reisen sind Feldzüge im Kleinen und der Reisende ist, ohne auf die Hülfe der Mannszucht rechnen zu können, von allen Schwierigkeiten, Mühsalen und Gefahren eines barbarischen Kriegs umlagert. Statt Infusorien und Barometer zu studiren, muß er sich damit abgeben, seine Leute zu füttern, zu drillen und zu unterweisen, wie sie ihre Waffen gebrauchen und wie sie eine Karawane führen sollen. Beim Anblick eines Instrumentes ist der Wilde überzeugt, daß der Fremde die Sonne vom Himmel reißt, den Regen vertreibt, Krankheit und Tod erzeugt, und das Land für viele Jahre hin behext. Unter ganz Wilden sind wissenschaftliche Operationen bisweilen noch möglich, unter halb Civilisirten nehmen sie ein schlimmes Ende. Das Klima raubt dem Reisenden Energie und Gesundheit. Es ist sogar nicht einmal rathsam, die einfachsten geodätischen Arbeiten zu unternehmen; mein Gefährte erkrankte zweimal blos davon, daß er die Sonnenhöhe nahm. Warum schickt man nicht einmal eine Partie jener Gelehrten aus, damit sie selbst die Dosis verschlucken, die sie ihrer Armee von Märtyrern verschreiben?“

Herr Burton trägt, wie Sie sehen, die Farben etwas dick auf; aber doch möchte Vieles zu beherzigen sein in seinem Berichte, und einen ungefähren Maßstab zur Beurtheilung der Forschungen in Afrika abgeben.

Es ist ein trauriges Vorrecht der afrikanischen Entdeckungen, daß sie todesgefährlich sind; der Tod der muthigen Forscher bildet dort die Regel, ihre Rettung nur die Ausnahme. Belzonis, Donavans, Ledyard, Lucas, Houghton, Mungo Park, Tucker, Peddie, Campbell, Bowdich, Oudney, Pierce, Morrison, Clapperton, Laing, in neuester Zeit Richardson (spr. Ritscherdsen), Overweg, Vogel (?) , Neimans[1] und viele Andere sind Beweise für diese furchtbare Regel geworden; und verhältnißmäßig nur Wenige sind durch die Ausnahme beglückt worden, wie in neuerer Zeit Barth, Livingstone, Galton, Andersson.

Aber die meisten und bedeutendsten jener Märtyrer hatten sich das Innere der nördlichen Hälfte des Continents zum Beobachtungsfelde auserkoren, jenes unendliche Sandmeer, unterbrochen oder durchfurcht nur hie und da von einer fruchtbaren und quellenreichen Insel, an deren grünen Ufern die nomadischen Tibbu’s und Tuarik’s schwärmen. Während es so nicht fehlen konnte, daß diese Länderstriche ziemlich bekannt wurden, blieb das Innere von Süd-Afrika fast gänzlich eine terra incognita. Seitdem man angefangen hatte, alle jene widersinnigen Phantasiegebilde des Mittelalters von der Karte von Afrika zu verbannen, seitdem der Priester Johann das Feld hatte räumen müssen, war die Karte von Süd-Afrika weiß, und die nun gesetztere Phantasie verstieg sich in Betreff der unbekannten Länder kaum über die Vorstellungen von endlosen Sandwüsten hinaus.

Erst in dem letzten Decennium wurde auch Süd-Afrika’s Durchforschung in Angriff genommen; und in der That sind unsere Kenntnisse von jenem Theile des Continents in dieser kurzen Zeit so massenhaft angewachsen, wie wir uns wohl kaum vorher geträumt hätten. Wenn schon diese unleugbare Thatsache an und für sich verdientermaßen in hohem Grade die Aufmerksamkeit der

  1. Freiherr Richard von Neimans, ein jugendlicher, lebensfrischer Forscher, starb zu Kairo am 15. März 1858.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 704. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_704.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)