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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

noch auf dem letzten Gange zu den Llama’s, tritt aber nicht zu nahe, denn sonst spritzt Dir das boshafte Männchen sich bäumend seinen Speichel sofort in’s Gesicht. Obgleich glücklicher Vater von zwei schönen Kindern, deren eines fast erwachsen, obgleich Gatte einer liebenswürdigen, schöngewachsenen Gattin, ist dieses Thier doch so bös, daß man fast wie vor einem Raubthiere zurückfährt, wenn es, sich bäumend, das Gitter zu überspringen sucht, und die Zähne des Unterkiefers dabei drohend zeigt. Und dabei ist es ganz oder ziemlich blind; wir müssen das Letztere annehmen, denn es ist außerdem fast unerklärlich, mit welcher Genauigkeit zielend es seinen Speichel wirft. Schöne Thiere sind es indeß, diese Llama’s; alle Formen erinnern zwar an das häßliche Kameel, aber alle sind zur Schönheit umgewandelt. Besonders die prachtvolle Haltung des biegsamen Halses geben dem Thiere ein stolzes Ansehen, und der leichte elastische Schritt, in dem es die fein geformten Beine bewegt, vollenden diesen Eindruck. Eine schöne Staffage der Landschaft werden sie daher jedenfalls bilden, wenn die beabsichtigten Versuche der französischen Regierung, sie auch auf dem Atlas einzubürgern, gelingen sollten.

An dem benachbarten Rehpaar vorübergehend, zieht uns noch das Känguruh zur Betrachtung an, leider jetzt blos eins, so daß die Gelegenheit, die famose Bewegungsart dieser Thiere zu sehen, eine seltene ist. Früher lebte hier ebenfalls ein kleines Rudel dieser merkwürdigen Gestalten, und man konnte oft die mit den langen Hinterbeinen ausgeführten gewaltigen Sätze beobachten, wenn die Thiere sich gegenseitig verfolgten. Dieses einzelne Exemplar hat natürlich nie Veranlassung dazu, die größte Schnelligkeit zu entwickeln. Immerhin bleibt es aber selbst liegend eine höchst auffallende Erscheinung; besonders wenn das Thier mit den hintern gewaltig entwickelten Gliedern dem Beschauer näher liegt, kommt das Ganze dem Auge immer wie eine ungeheuere perspectivische Verkürzung vor, so klein sind die vordern Glieder im Verhältniß zu den hintern und dem langen, muskelreichen Schweife.

Die Urheber des schrillen Geschrei’s, welches uns öfters in die Ohren getönt hat, sehen wir noch im Verlassen des Gartens, es sind Seeadler in verschiedener Altersfärbung. Auch ein weißköpfiger Seeadler aus Nordamerika, ein schöner Vogel, ist gleichfalls seit Kurzem hier und erinnert uns an Franklin, welcher das Thier, wohl weil es ein Raubvogel, nicht in dem Wappenschild der Vereinigten Staaten angebracht wissen wollte und, irren wir nicht, dafür, aber ohne Erfolg, den Truthahn vorschlug.

Doch genug, wir fürchten ohnedieß nicht ohne Grund, schon längst die Geduld des Lesers ermüdet zu haben. Gleichwohl ist vielleicht die Bitte um Nachsicht gerechtfertigt, da es uns darum zu thun war, ein einigermaßen vollständiges Bild des Institutes in seinem gegenwärtigen Zustande zu geben und zum Besuche anzuregen.




Eine schweizer Landesgemeinde.
Brief an den Herausgeber der Gartenlaube vom Dr. J. D. H. Temme in Zürich.
(Schluß.)

Eine Debatte der Landesgemeinde über das Gesetz fand nicht weiter statt. Der Entwurf war, nach Vorschrift der Verfassung, längere Zeit vorher – die Verfassung fordert mindestens vier Wochen – nicht nur von allen Kanzeln des Landes verlesen, sondern auch durch den Druck in Jedermanns Hände gebracht. Die Regierung hatte außerdem durch Druckschriften in speciell eingehender Weise ihre Ansicht darüber kund gegeben. Die verschiedenen Zeitungen des Landes hatten über die einzelnen Artikel nach allen Seiten sich ausgesprochen. Die Landesgemeinde hatte, nach dem Referate des Landammanns, nur noch abzustimmen, zu mehren, anzunehmen oder abzuwerfen.

Der Landammann verkündete vorab, welche Fragen, und in welcher Reihenfolge, gestellt werden sollten.

Die erste Frage war, ob der Verfassungsentwurf im Ganzen oder artikelweise ins Mehr gesetzt werden solle. Danach hatten die weitern Fragen sich zu richten. Die Revisionscommission sowohl als die Regierung hatten aus mehreren Gründen eine artikelweise Abstimmung gewünscht und vorgeschlagen. Der Landammann unterstützte den Wunsch. Der hauptsächlichste Grund war, daß so Keiner in der Manifestirung seiner freien Ueberzeugung irgendwie beschränkt werde.

Nachdem der Landammann die nöthigen Erläuterungen hierüber gegeben, erklärte er, daß der Landweibel nunmehr „das Mehr über die zu stellenden Fragen aufnehmen werde.“ Sofort trat in seinem halb schwarzen und halb weißen Mantel der zur Seite hinter ihm stehende Landweibel an die Schranke vor, und stellte in folgenden Worten die erste Frage ins Mehr:

„Wem es wohlgefallt („Wem’s wohlg’fallt“, sprach er es aus), daß der Entwurf in seiner Gesammtheit, und daß nicht jeder einzelne Artikel desselben ins Mehr genommen werden soll, der hebe die Hand auf.“

Die Hände der für die Frage Stimmenden erhoben sich.

Es mußte die Gegenprobe gemacht werden.

„Wem es wohl gefallt, daß nicht der Entwurf in seiner Gesammtheit, sondern daß jeder einzelne Artikel besonders ins Mehr genommen werden soll, der hebe die Hand auf.“

Die Hände der dazu Stimmenden erhoben sich.

Das Resultat der Abstimmung war zweifelhaft. Der Landammann erklärte das, und daß er die Fragen noch einmal zur Abstimmung werde bringen lassen.

Dies geschah ganz in der vorigen Weise. Das Resultat war wiederum zweifelhaft.

Es wurde noch einmal verfahren, wie vorher. Ein klar erkennbares Mehr ergab sich diesmal für die Abstimmung des Ganzen, und der Landammann verkündete es.

Der Landweibel trat wieder vor:

„Wem es wohlgefallt, daß der der Landesgemeinde vorgelegte Entwurf der Verfassung noch besonders vorgelesen werden soll, der hebe die Hand auf.“

Keine Hand erhob sich. Bei der Gegenfrage erhoben sich alle Hände.

Der Landammann verkündete das Resultat.

Der Landweibel rief die Hauptfrage auf:

„Wem es wohlgefallt, daß der Entwurf zu einer Verfassung, wie er von der Revisionscommission ausgearbeitet und der Landesgemeinde vorgelegt worden ist, angenommen werden soll, wem das gefällig ist, der hebe die Hand auf.“

Auf dem weiten Platze unter allen den Tausenden von Menschen herrschte eine Stille, daß man einen Apfel zur Erde hätte fallen hören. Die Versammlung dieser beinahe zwölftausend freien Männer gewährte in diesem Augenblicke einen feierlichen, erhabenen und erhebenden Anblick. Ein Jeder war sich seiner Freiheit bewußt, war sich bewußt, daß er in der Ausübung eines der erhabensten Rechte für Freiheit sich befand.

Zwei Drittheile der Anwesenden erhoben die Hände.

Das freie Volk von Appenzell hatte sich eine neue Verfassung gegeben. Freilich nur neue Formen für die bessere Erhaltung seiner Freiheit. Denn die Freiheit selbst hatte es, unangetastet und ungeschmälert, schon seit Jahrhunderten.

Der Landammann verkündete das Resultat. Es wurde mit der vollen, bewußten Ruhe aufgenommen, unter der es entstanden war.

Es war nur noch die Frage zu stellen, wann, ob namentlich mit der nächsten ordentlichen Landesgemeinde im Frühjahre 1859, die neue Verfassung in Kraft treten, und der große Rath die hierauf hin besehenden Anordnungen treffen solle?

Die Frage wurde gestellt, wie die vorigen, und einstimmig bejaht. Damit waren die Geschäfte der Landesgemeinde beendigt. Noch einmal trat der Landammann vor. Er entblößte sein Haupt. Alle Anwesenden nahmen ihre Hüte ab. Der Landammann sprach:

„Herr Landammann, meine Herren, liebe, getreue Mitlandleute und Bundesgenossen! Ihr habt ein wichtiges Gesetz beschlossen. Ihr habt als freie Männer, als freie Eidgenossen, Euch eine neue Verfassung gegeben. Möge nun dieses neue Gesetz lange Zeit Gutes für und unter Euch wirken! Möge es Eure Freiheit und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 690. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_690.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2020)