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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

um die Stunde wie gestern, brannte die Lampe und die Marie saß am Spinnrad, da pochte es wieder an der Thür und der Mann kam auch wieder. Die Magdalene hatte schon einen Stuhl an ihr Bette rücken lassen und er setzte sich hin. Sie hustete nicht und gleich fingen sie mit Sprechen an.

Er hatte sich in der Stube umgesehen und fragte, ob es ihr denn knapp ginge. Da konnte sie erst weiter nichts thun, als mit den zitternden Händen in der Stube herumzeigen. Der Baron Max, denn der war’s, konnte nicht begreifen, warum sie ihn dabei ansah, als wenn er Schuld dran wäre, und sagte:

„Hab’ ich Euch nicht genug geschickt?“

Und wie sie sagte, daß sie nun schon seit vier Jahren keinen rothen Heller und vorher auch nur ein Weniges bekommen habe, fuhr er von seinem Stuhle auf, als wenn ihn ein Schlag getroffen hätte, und es ging wie ein Gestöhne aus seiner Brust. Die Magdalene sah gleich, daß er unschuldig an ihrem Elende war, und wie er ihr nun sagte, daß er ihr jedes Jahr zur bestimmten Zeit das Geld durch seinen Rentmeister geschickt habe, da wachte mit einem Male die alte Liebe zu ihm und den Seinigen in ihr wieder auf; sie griff nach seiner Hand und weinte bitterlich. Es war kein Zweifel, daß der Rentmeister das Geld mit noch vielem anderen unterschlagen hatte. Seit drei Monaten war er nicht mehr im Dienst. Wie die Magdalene zu Worte kommen konnte, erzählte sie ihm Alles, was sie betroffen, und wie die Noth gerade jetzt am größten gewesen und daß sie manchmal gedacht, unser Herr Gott habe sie ganz vergessen. Aber der Baron Max erzählte ihr auch, wie es ihm ergangen sei. Er hatte Weib und Kind gehabt und sie verloren, seine Schwester Marie war auch gestorben und nun er alt würde, wäre er kränklich und stehe allein in der Welt. Da habe er den Sohn von einem Vetter, der seinen Namen trüge, an Kindesstatt angenommen. Aber im Haus sei Niemand, der ihm die Wirthschaft führe und ein Herz für ihn habe, drum habe er sich ausgedacht, die Frau Arnold solle mit den beiden Kindern zu ihm ziehen. Sie sollte dort ihre gute Pflege und Alles haben, was sie brauchte, und die Marie wie das Kind vom Hause gehalten sein.

Die Magdalene traute nicht ihren Ohren, sie konnte auch nichts sagen, aber sie nahm seine Hand und weinte bitterlich, Endlich rief sie die Marie, nahm ihre Hand und legte sie auf die des Barons; aber das war ihm nicht genug. Er nahm sie in den Arm und küßte sie, wie nur ein Vater sein Kind küßt. Ihr kam’s vor, als träumte sie, und sie schlang ihre Arme um seinen Hals und sagte:

„Mein Mutterle.“

Im Dorfe war ein paar Tage lang ein großes Gerede, wie’s hieß, die alte Arnolden zög’ wieder nach Waldenberg, aber die Leute sagten, es wär’ nicht mehr als billig, daß der Herr von Walden für sie sorgte. Der Karl, wie er’s hörte, wollt’ es partout nicht leiden, aber der Herr von Walden hatte versprochen, er sollte Jäger werden, und nun war ihm Alles recht. Wer immer die rechten Fliegen trifft, der kann alle Fische an seine Angel kriegen.

Nach acht Tagen kam ein Wagen von Waldenberg, der holte die Magdalene und die Kinder ab. Vorher hatten sie Alles bezahlt, was sie schuldig waren, und Jedes hatte einen neuen Anzug gekriegt. Wenn’s einem wo noch so schlecht gegangen ist, so wird’s einem doch sauer, wenn man auf einmal weg soll, und es ist ordentlich, als bände das Leid fester wie’s Glück. Drum, wie die Drei im Wagen saßen, weinten die Magdalene und die Marie bitterlich, und die Leute, die noch Abschied nahmen, auch. Dem Karl sah man nichts von Trauer an; er saß mit dem Kutscher auf dem Bocke und konnte es nicht erwarten, bis es fort ging.

In Waldenberg wurden sie von dem Herrn von Walden aufgenommen, wie wenn sie alle zu ihm gehörten; im obern Stockwerk waren ein paar Stuben für die Magdalene und die Marie eingerichtet, die waren so hell und sonnig, daß ihnen das Herz lachte, wie sie hinein zogen. Der Karl kam zum Förster nach Gleichenberg.

Die Marie fand auch noch einen ganzen Schrank und eine Kommode voll neuer Anzüge und schöner Wäsche, sie dachte, von allen den Kleidern wären nur ein Paar, die sie anziehen könnte; so fürnehm könnte sie sich nicht tragen. Aber das Fröle war an so was gewöhnt, und nach und nach kam da und dort ein besseres Stück vor, und wurde angezogen. Das Zulegen gewöhnt sich leicht, nur wenn’s rückwärts geht, wird’s schwer; drum ist’s bei allen Dingen gut, wenn man erst von unten anfängt. Die Marie hatte immer nach was ausgesehen, und jetzt sah sie schön aus; aber es fiel ihr gar nicht ein, daß sie drum Eins einmal mehr ansehen könnte; nur manchmal erwischte sie sich dabei, daß sie dachte, ob der Jäger sie wohl wieder erkennte, wenn er sie jetzt säh’; aber es war ihr immer traurig dabei zu Muthe, denn sie dacht’s nun ganz gewiß, sie säh’ ihn nicht wieder, denn in Waldenberg war er nicht, und dann wieder, es wär’ so am besten, weil er im Bösen von ihr gegangen war.

Sie hatte vielerlei zu thun, und da vergehen solche Gedanken am besten. Sie mußte den ganzen Haushalt führen, es ging aber Alles am Schnürte, denn das Fröle sagte ihr, was sie nicht wußte, und die Leute sagten, sie machte es „wie eine Alte.“

Der Herr von Walden konnte die Augen nicht von ihr lassen, und sie hatte ihn so lieb, wie wenn’s ihr Vater wäre. Wenn sie nicht beim Fröle war, mußte sie bei ihm sein, und die Leute sagten, er wäre nicht mehr zu erkennen, so vergnügt säh’ er aus; denn seit er Frau und Kind verloren hätte, wär’ kein Lachen mehr von ihm gehört worden. Aber elend sah er aus, und er war auch nicht gesund, nur die Marie könnt’ es ihm Alles recht machen, wenn er sich klagte; sie war so leise bei Allem, was sie that, daß er sie gar nimmer wollte von sich lassen. Dem Fröle ging nichts ab, denn sie konnte haben, was sie wollte, und der Doctor kam alle Tage zu ihr; da konnte die Marie beim Herrn von Walden bleiben.

Es war schon ein halbes Jahr, seit sie in Waldenberg waren, da wurde der Herr von Walden in der Nacht ernstlich krank. Der Doctor sagte, es wäre die fliegende Gicht, und der Kranke müßte recht in Acht genommen werden. Er hatte arge Schmerzen und die Marie wich Tag und Nacht nicht von seinem Lager. Die Leute sagten, das wäre dem Herrn sein guter Engel, und er selber, wenn sie sich über ihn hinbog und ihm den Trank reichte, denn er konnte selbst nichts thun, sagte es zu ihr, und zog ihre Stirn manchmal zu sich herunter, daß er sie darauf küssen konnte.

Nachts rückte sie einen großen Lehnstuhl neben sein Bett und wenn er schlief, schlief sie neben ihm; wenn er aber wachte, war sie auch da. Oft schlief er ein und hielt ihre Hand in der seinen; dann fiel ihr Kopf neben der Hand auf’s Bett und sie schlief ein. In einer Nacht war sie auch so neben ihm eingeschlafen, sein Athem war schwer. Der Arzt hatte zum alten Johann gesagt, er sollte manchmal nachsehen, und wenn sich etwas Bedenkliches zeigte, ihn rufen lassen. Um ein Uhr trat der Diener leise in die Thüre, um wieder nachzusehen; diesmal war er aber nicht allein; über seine Schultern hinweg bog sich das ernste Gesicht eines jungen Mannes. Es war braun gebrannt und dunkle Haare und Bart gaben ihm noch was viel Ernsteres. Der Johann drehte sich nach ihm um, und wies mit der Hand nach den Zweien. Er sah aber schon nichts Anderes mehr. Er holte sich leise einen Stuhl herbei, stellte ihn auch neben das Bett und sagte:

„So, Johann, nun schlafe Du, ich wache vollends.“

Der Alte ging, und er setzte sich. Seine Augen sahen von dem Kranken auf die Marie und von ihr auf den Kranken, und es kam kein Schlaf hinein. Da regte sich der Kranke und gleich war auch das Mädchen da – aber er schlief weiter, und nur die Marie blieb wach. Da nahm eine Hand die ihrige – und sie dachte, sie träumte, wie sie die Augen aufmachte und vor ihr der Jäger saß. Endlich, wie er sie immer ansah und dabei so freundlich nickte, kam es ihr doch vor, als wenn das nicht nur geträumt könnte sein. Sie sagte leise: „Seid Ihr’s denn, oder nicht, Herr Jäger?“

Fast hätte der Jäger wieder aufgelacht, aber er that’s nicht, denn der Kranke regte sich nun wirklich und schlug die Augen auf. Sein Blick fiel auf den Jäger und der stand gleich auf vor ihm. Es ging wie eine Veränderung in dem Kranken vor, seine zwei Hände streckten sich aus und er rief:

„Gottlob, daß Du da bist, mein Werner! Ich hätte nicht mögen aus der Welt gehen, wenn Du mir nicht die Augen zugedrückt hattest.“

Da ging’s wie ein Zittern durch den ganzen Körper von der Marie, sie war aufgestanden, wie der Jäger aufstand, aber sie setzte sich wieder, denn „der Werner“, das war ja der Neffe, der Sohn vom Herrn von Walden und dem mußte sie Platz machen. Nach einer kleinen Weile, die Beiden sprachen immer zusammen, aber sie hörte nichts, stand sie leise auf und schlich der Thüre zu;

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