Seite:Die Gartenlaube (1858) 658.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Krautköpfen von fabelhafter Größe, Gurken, Sellerie. Lauch, gelben Rüben, Cichorien etc., mit einem Worte, der ganze Bamberger Gemüsereichthum in augenfälliger Anordnung aufgehäuft. Dazwischen die ehrenwerthen Bamberger Gärtnerfrauen in ihrer stolzen Würde, in ihrem anerkennungswerthen Selbstgefühl mit Wannen voll Obst und Weintrauben. Sie kamen mir in ihrer malerischen Tracht, in ihrer großen Beweglichkeit und Zungenfertigkeit in der Mitte dieser künstlichen, köstlichen poetischen Berge, die Auge und Nase zugleich ergötzten und Zunge, Gaumen und Magen noch größeres Ergötzen, angenehme Befriedigung, behagliche Sättigung versprachen, wie ländliche Musen in theatralisch aufgebauten Musenbergen vor, geschickt einen heutigen Virgil zu einer modernen Georgica zu begeistern. Und in der That hat es mich oft Wunder genommen, daß kein Bamberger oder Coburger Dichter uns mit einem großen Gedicht über den Gartenbau, nach Art des Virgil’schen über den Feldbau, beschenkt und darin all’ die classischen Erzeugnisse der Bamberger Flur, vorzüglich das Süßholz, verherrlicht hat.

„Die Maler sind da mehr dem Zuge ihres Herzens gefolgt. In der benachbarten berühmten Pommersfeldner Gemäldegallerie hängen unvergleichlich gute Stillleben, auf welchen die Bamberger Gemüse ihre künstliche Verherrlichung erfahren haben. Leider fehlen aber die ruhmreichen Gärtnersfrauen auch auf diesen Bildern, die doch durchaus zu Kohl und Kraut gehören, wie Daphne zum Lorbeerbaume. Dadurch kommt die Nachwelt um die richtige Vorstellung von der majestätischen Flügelhaube, die diesen interessanten Frauen ein so imposantes Ansehen gab, und die in meiner Erinnerung ganz mit ihnen verwachsen ist.

„Welch ein buntes Leben und Weben in den Straßen und in den Häusern, in Höfen und Ställen! Welch ein malerisches, stets wechselndes Treiben der Landleute und Städter! Alle Welt kauft ein für den Winter. Zwiebeln und Kraut werden in ungeheuern Säcken verladen. Der ganze große Markt ist in Bratwurstdampf und Duft gehüllt. Die wurmartig gefüllten Därme schmoren und broddeln aus den Rosten. Alle Welt schmaußt Bratwurst und Gurkensalat. Mit dem Dufte der Bratwürste mischt sich der der Gemüse, welcher alle Straßen erfüllt. Ganz Coburg riecht wie Bamberg, und der strengste Stoiker würde dadurch verführt werden, selbst auf die Gefahr einer Indigestion, über den Appetit zu essen. Alle Welt in den Häusern der genannten Straßen ladet ein, bäckt Kuchen; die Kaffeemühle schnarrt in jeder Küche, der Kaffeekessel wallt dazu, Tassen klappern; hie und da versteigt man sich zur Chocolade. Das Mundwerk bleibt nicht hinter Mühle und Kessel zurück. Das schwatzt, schnattert, lärmt, feilscht, schreit, lacht, schimpft, jubelt in den Häusern, auf der Straße, und das starke Bier verstärkt das Brausen des allgemeinen Chorus. Aber die Stimme der Bamberger Gärtnerin übertönt alles Geräusch. Die Flügel ihres Hauptes sind Symbole der Flügel ihres Stimmorgans.

„Das ganze Coburger Ländchen freut sich auf die Zwiebelkirmeß; sie ist das schönste Volksfest im Jahre, und den Kindern ist sie das Vorspiel des Weihnachtsfestes. Wir kleine Welt hatten kein Interesse an Zwiebeln und Kraut, unsere Kindsköpfe dachten nur an das Bamberger Süßholz. O, Du, gleich der Zauber- und Springwurzel des Märchens, Sehnsucht der Kinderseele, helle, köstliche Freude der Unschuld! Süßholz, unvergeßliches Wort, das mir noch heute den schönsten Traum der Kindheit vor das innere Auge zaubert! Süßholz und Johannisbrod, Du Dioskurenpaar am Jugendhimmel!

„Die oft mannslange Wurzel des Süßholzes ist entweder in Kränze oder Peitschen geflochten, jene für die weibliche, diese für die männliche Jugend. Die Kränze haben die Form der Dornenkronen auf dem Eccehomo oder dem Bilde des Gekreuzigten, aber so wie sie ohne Dornen, so sind die Peitschen ohne Strick. Köstliche Mädchenlust mit der Süßholzkrone im flatternden Haare durch die Straßen zu laufen. Köstliche Knabenlust, sich mit der Süßholzpeitsche gegenseitig einige Hiebe zu versetzen, und dann aus Krone und Peitsche gemeinschaftlich den bittersüßen Saft zu saugen! Dorn und Strick fügt das spätere Leben hinzu, und läßt allein die Bitterkeit zurück. O könnten doch alle Dornenkronen und Peitschen, mit welchen wir großen Kinder beglückt werden, auf so genußreiche Weise beseitigt werden!

„Schön ist der Zwiebelmarkt bei schönem Wetter, aber noch interessanter ist er bei schlechtem. Regnet es, was vom Himmel will, und dies ist oft der Fall, so heißt der Markt „die Zwiebelsuppe.“ Der flüssige Koth, worin alle möglichen Gemüseblätter, Wurzeln und Süßholzstückchen als Brocken schwimmen, reicht bis an’s Schienbein; Regenschirm steht an Regenschirm; die Ketschengasse ist nicht breit; hüben und drüben die Bamberger mit ihren Miniaturchimborasso’s von Gemüsen, in der Mitte der Weg so vollgestopft, daß sich Niemand bewegen kann. Lachen, Lärm, Fluchen und Jauchzen in der breiten fränkischen Mundart. Plötzlich ein improvisirtes Drama! Originelle saftige Ausdrücke, eine Fluth von Schimpfwörtern, Gelächter, Beifallsruf; darauf lauteres Rufen, kühneres Schelten, homerische Wendungen und homerisches Gelächter. Beifallssturm. Alles laut und lauter, drastisch farbenfrisch, poetisch prächtig. Und der Kern des Volksschauspiels? Eine Bambergerin weist auf ihre nationalkräftige Weise das Mindergebot eines Bauers aus dem Itz- oder Lautergrunde zurück.

„Die Coburger Damen an den Fenstern sind ungemein geputzt; die kleinen Jungen haben die Sonntagshosen und Jacken an; die Mädchen weiße Kleider mit grünen Schärpen. So werden sie massenweis in Reih und Glied zur wohlthätigen Fee geführt, die Kronen und Peitschen an sie vertheilt und Aepfel, Birnen, Pflaumen und Weintrauben hinzugefügt. Alles schwimmt in Lust und Freude. Der Herbst schüttet durch die Hand seiner Gesandtin, der Bamberger Gärtnersfrau, sein ganzes Füllhorn über Coburg aus. Und ich sollte euch nicht lieben, ihr wohlthätigen Feen, die ihr mir die schönsten Stunden meiner Jugend geschenkt habt? Wahrlich, heute möchte ich mit Thränen der Rührung im Auge ausrufen: „Schöner Traum der Kinderjahre, kehr’ noch einmal mir zurück!“

Am andern Morgen gingen wir früh auf den Markt. Noch ein Begleiter hatte sich zu uns gefunden, mein trefflicher Landsmann, Meister Eduard Schade, der rühmlich bekannte Maler aus der Schmit’schen Kunstanstalt. Da saßen sie schon, so weit uns das Auge trug, bis über die untere Brücke in die jenseitige Stadt hinein, eine bunte lachende Reihe, die trefflichen Gärtnerinnen. Waare und Verkäuferinnen waren um die Wette preiswürdig. Aber auch uns lachte die helle Freude aus den Augen, und der Mund lief uns voll Wasser über die herrlichen Erzeugnisse der Gartenkunst. Wir plauderten mit den stattlichen Frauen; wie köstlich standen sie uns Rede! Wie verständig waren ihre Worte! Wie dienstwillig zeigten sie sich uns! Sie sprachen von ihren Kindern, von ihrem Vieh. Die Eine hatte einen blonden Knaben im Korbe neben sich schlafend liegen. Sie sagte, es gäbe kein größeres Glück, als ein paar hübsche Kinder und ein paar hübsche Milchkühe. Sie hatte Beides; sie war glücklich. Endlich hatte ich einen glücklichen Menschen gefunden; ich strich den Tag in meinem Kalender roth an.

Vom Markt gingen wir in die Gärtnerei. Wir traten mit seltner Befriedigung in die einfachen Wohnungen dieser durch nützliche Arbeiten glücklichen Menschen. Sie führten uns in die Gärten und zeigten uns die Cultur der Gemüse. Wir wurden äußerst freundlich über Natur und Wesen, über Wartung und Pflege dieser Küchengewächse belehrt. Unsere Coburgerin verstand es, die Leute, die sonst etwas mißtrauisch gegen Fremde sein sollen, zutraulich und gesprächig zu machen. Was sie begonnen, vollendete Dr. L. So hatten wir einige sehr genußreiche Stunden. Meister Schade zeichnete die Gärtnersleute für mich, wie sie das Gemüse putzen und für den Markt verladen. – Scheidend drückten wir ihnen die Hände, sie waren so hart von Schwielen wie eiserne Zangen.

Nachmittags ließen wir uns in die Felder hinausführen, die von den Eisenbahnen durchschnitten sind. Sie dehnen sich weit aus bis an den Hauptsmoorwald und den Breitenauer See, eine Ebene, deren hohe Cultur durch tausendjährigen Fleiß erstrebt war, und die ich mit ähnlichen erfurchtsvollen Gefühlen durchschritt, wie früher das Leipziger Schlachtfeld.

Ueberall fleißige Menschen und überall die Früchte, die die gütige Allmutter ihrem Fleiße grünend und blühend, üppig geschwellt und fleischig nahrhaft darbot. Wie viele Tausende werden davon gesättigt, gelabt, vergnügt! Die Sonne sank hinter die Altenburg und verklärte scheidend die schöne Stadt und das grüne Gartenfeld. Die Vesperglocke ertönte. Der Spaten entsank den Händen, damit sie sich falteten. Auch ich betete: „Aller Augen warten auf Dich, Herr, und Du gibst ihnen ihre Speise zu seiner Zeit.“ – Meister Schade zeichnete die Scene.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 658. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_658.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)