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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

solche Umwandlung bewirkt hatte? Einige Momente sah sie in sein offenes und verschlossenes Auge, dann aber brach sie eben so entschlossen und dabei hartnäckig in die entschiedenste Widerrede aus. Sie erklärte schließlich, daß sie überhaupt nicht gesonnen sei, Blauberg ohne Weiteres zu verlassen, da es für sie den Inbegriff aller Lebensfreuden beherberge. Sie sähe nicht ein, weshalb sie eine Stellung verändern solle, die sie genügend beglücke – wolle ihr Herr Gemahl seinen misanthropischen Sinn in andere Welten tragen, so habe sie nichts dagegen, aber sie würde sich mit allen Kräften dagegen auflehnen, Blauberg mit seinen Annehmlichkeiten, wozu sie auch ihr brillant ausgestattetes Haus zähle, aufzugeben.

Nach dieser Relation erwartete die Dame nichts gewisser, als eine Nachgibigkeit, seiner früheren Indolenz entsprechend, von ihrem Gatten. Allein sie irrte. Der Herr Gemahl gab ihr eine Probe, daß er aller Indifferenz in Bezug auf seine Tochter Hermine entsagt hatte und nur Willens schien, sie selbst ihrem Schicksale zu überlassen, im Falle sie sich geneigt zeigen sollte, ihren Kopf aufzusetzen. Die traurig einsame Lebensweise seiner vergangenen Tage war zu vortheilhaft von den Bildern einer heitern Zukunft verdrängt, als daß er nicht Alles daran setzen wollte, um diese Bilder zu realisiren.

Der Rath Braunstein schloß seine Discussion mit der ernst wiederholten Aufforderung an beide Damen, „sich zur Abreise am neunundzwanzigsten October bereit zu halten,“ und machte Miene, nach dieser lakonischen Rede das Zimmer zu verlassen.

Hermine war taktvoll genug, den Abglanz innerer Fröhlichkeit über ein Ereigniß, das wie ein Stern in eine umnachtete Zukunft hineinleuchtete, hinreichend zu verbergen, allein sie empfand plötzlich den Muth, für diese Zukunft tapfer in die Schranken zu treten, als ihre Mutter, über alle Begriffe heftig aufbrausend, ganz entschieden mit dem Vorsatze hervortrat, Blauberg niemals zu verlassen, und sich lieber in eine ewige Trennung von ihrem Gatten zu fügen, als Verhältnisse, in denen sie allein ihre Seligkeit fände, zu zerreißen.

Der Rath sah sie mit ruhiger Hoheit unverwandt an, indeß Hermine sie mit Thränen in den Augen beschwor, ihre Heftigkeit zu mäßigen.

„Ich habe bis dahin des traurigsten Geschickes Last getragen!“ rief die verblendete Frau mit Emphase. „Ich habe mich begnügt – “

„Womit begnügt, Laurette?“ – fiel der Rath rasch ein und störte damit den erhabenen Gedankenflug der armen Räthin gänzlich. Ganz verdutzt gemacht, sah sie zu dem Gatten auf, welcher lächelnd fortfuhr:

„Mit demselben und vielleicht größern Rechte könnte auch ich sagen: ich habe mich begnügt, allein ich will gerechter sein, und die Hälfte der Schuld auf meine Achseln nehmen. Laß uns nicht mit einander rechten, sondern laß uns vergessen, was geschehen ist, und ohne gegenseitige Vorwürfe eine neue Bahn voll friedlichen Glückes suchen. Sieh den Weg dazu im Dasein unserer Hermine –“

„Ganz recht,“ unterbrach ihn die Räthin, etwas gesänftigt. „Eben Hermine ist die Ursache meiner Weigerung, Blauberg zu verlassen. Herminens Glück keimt hier – ich muß diesen Keim pflegen, um ihn zur Blüthe und Reife kommen zu sehen. – Ich bitte Dich deshalb, mir nachzugeben – ja, ich will mein Glück und Wohlsein gern opfern und Dir späterhin folgen – aber für jetzt fordere ich, daß Du allein reisest, daß Du ohne mich und Hermine nach P. übersiedelst. Ich fordere dies von Dir und werde von Deiner Einwilligung meinen Entschluß abhängig machen, fernerhin mit Dir zu leben.“

Eine so bittere Demüthigung mochte der Rath Braunstein, trotz aller Befürchtungen, doch nicht erwartet haben. Das war also das Ende aller romantischen Liebe der Jugendjahre! Dazu hatte er elf Jahre mit Entsagungen aller der Jugendfreuden, die ein junger Mann liebt, verbracht, um nun, nach einer beinahe zwanzigjährigen Ehe, wie eine abgenutzte Waare weggeworfen zu werden? Vielleicht hätte er gütiger und liebevoller verfahren können, um die Erbfeinde seines Eheglückes, Putzsucht und Eitelkeit, zu bekämpfen, aber bei alledem verdiente er es nicht, so schmachvoll aufgegeben zu werden, um einem Schwiegersohne Platz zu machen, der „Zeit und Lust“ dazu hatte, sich in die Regionen einzubürgern, die ein Paradies für die geistige Oberflächlichkeit der Dame bargen.

„Ist dies Dein letztes Wort in diesem traurigen Zerwürfniß, Laurette?“ fragte der Rath gelassen.

„Ja, mein letzter Vorschlag zu einer Einigung!“ rief sie laut und pathetisch.

Der Rath wendete sich zu seiner Tochter, die in fieberhafter Aufregung dicht bei ihrer Mutter stand.

„In eine Scheidung der Ehe in aller Form willige ich für jetzt nicht, bis Deine Mutter zur vollständigen Besinnung kommt und im Stande ist, zurechnungsfähig zu handeln; aber, meine liebe Hermine, eine Entscheidung muß ich auf Dein junges Herz legen, da es sich, nach dem Ausspruche Deiner Mutter, um Dein Glück handelt. Ich frage Dich und warne Dich dabei vor jeder Uebereilung: willst Du bei Deiner Mutter in Blauberg bleiben oder willst Du mit Deinem Vater nach P… gehen!“

„Mit Dir, mein Vater – mit Dir nach P…!“ rief das Mädchen mit dem Accente der zärtlichsten Hingebung, flog auf den Vater zu, und schlug beide Arme um seinen Nacken. Der Rath zog sie fest an sein Herz und trug sie so in seinen Armen hinaus bis in sein Zimmer hinüber, das er sogleich hinter sich verschloß.

Machtlos, einer maßlosen Bestürzung hingegeben, stand die Räthin mitten im Zimmer und sahe ihnen nach. Ihre Blicke irrten dann, wie suchend umher, – sie fand sich allein.

Haß und Groll erwachten in ihrer Brust! Haß gegen den Mann, den sie so lange geliebt – Groll gegen das Kind, welches sie glücklich zu machen gedacht hatte! Auch sie verschloß nun ihr Zimmer und setzte sich rachebrütend, so lange sie heftig war, in eine Ecke des Divans nieder, dann aber, als ihre Aufregung nachließ, weinte sie lange und schmerzlich.

Der Abend dämmerte unterdessen herein. Die letzten Sonnenstrahlen glühten nur noch auf den äußersten Bergspitzen und die Sichel des Mondes schwebte am Himmelszelte gerade den Fenstern gegenüber, aus denen die verlassene Gattin und Mutter zum Himmel emporschauete und Lust hatte, eine blutige Vergeltung auf die Häupter ihrer Lieben herabzubeschwören.

Es klopfte leise an die Thür und eine vorsichtige Hand drehte den Griff derselben versuchend hin und her. Gleich steifte sich Dame Braunstein wieder in Trotz und Widerspenstigkeit auf.

„Aha – jetzt kommt mein Töchterchen, um ihr Unrecht einzugestehen,“ dachte sie und rührte kein Glied, um aufzumachen.

„Mama,“ flüsterte die Stimme ihrer Tochter weich und bittend durch das Schlüsselloch, „Mama – nur einen Kuß, nur einen einen einzigen Kuß – der Vater hat es verboten – aber ich kann nicht anders, ich muß ihm ungehorsam sein! Nur einen einzigen Kuß!“

Die Räthin nickte majestätisch mit dem Kopfe und ihr Blick verrieth, daß sie nicht gesonnen war, diesen erbetenen Kuß alsobald zu verabreichen.

„Mama,“ bat die Stimme weiter durch’s Schlüsselloch. „Nur einmal will ich Dich küssen, nur ein einziges Mal Dir sagen, wie lieb ich Dich dennoch habe, wenn ich auch mitreise –“ die Stimme brach in leisem Schluchzen.

Dame Braunstein hob stolz ihr Haupt, und sah von oben herab, als wollte sie die liebenswürdige Liebeserklärung des kindlichen Mädchens verachten. Die Stimme begann abermals:

„Der Vater kommt – o Mama – behalte Dein Kind lieb – lebe wohl! Auf Wiedersehen –!“

Wie Geisterhauch durchflog das letzte Wort den Raum des Gemaches und durchlschauerte die Dame mit seltsamen Gefühlen. Trotzdem blleb sie noch eine ganze Weile ruhig sitzen und horchte, mit Spottlächeln auf den Lippen, nach der Thür hin.

Es blieb Alles still!

Dann stand sie auf und trat vor den Spiegel, um ihren verschobenen Kopfputz wieder zu ordnen und die Verwüstung zu verwischen, die ihre „albernen Thränen um solche Lappalien“ in dem noch ganz hübschen Gesichte angerichtet hatten.

Ein Poltern auf der Straße, dicht vor ihrem Hause veranlaßte sie, dabei an’s Fenster zu gehen und hinauszublicken. Da stand ihr Diener, und hob mit Hülfe eines Eisenbahnkofferträgers einen Koffer auf den Rollwagen.

Ahnungsvoll riß sie das Fenster auf – dort unten am Ende der Straße verschwanden eben zwei Gestalten – hastig setzte sich der Kofferträger in Galopp, der Bediente sah ihm nach – dann ertönte das Signal der Locomotive – lachend schauete der Diener zu ihr auf und sagte:

„Der Herr und das Fräulein werden gerade noch zu rechter Zeit gekommen sein!“

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