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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

schwimmender Leuchtthurm, Andere wollten behaupten: ein Flotten-Katapult, ein Sturmbock des Krieges, um zunächst die Festungswerke von Cherbourg damit zu zerstoßen und niederzubröckeln.

Nein, es sollte ein Derrick werden und ist einer geworden, der größte. Aber was ist nun ein Derrick? Der Henker, ja zunächst der Henker Derrick, der berühmte amerikanische Henker Derrick, der die Kunst, bestimmte ihm übermachte Personen an einer zu engen Cravatte sterben zu lassen, ganz aus dem ff verstanden haben soll. In Folge davon nannte man auf Schiffen die Kreuzmaste, welche beim Laden und Löschen als Hebel und Krahne benutzt werden: Derricks. Aus Mangel an Tauftalent heißen nun auch die schwimmenden Maschinen mit großen Kreuzmasten, bestimmt untergegangene Schiffe heraufzuziehen und an’s Land zu bringen, Derricks. Die vollkommenste Art derselben, in Amerika patentirt, nennt man „Patent Boom Derricks“ („Boom“ ist der Hauptquermast auf Schiffen).

Der eiserne Dampf-Derrick.

Der englische patentirte Boom-Derrick ist sicht nur der größte Mechanismus der Art, sondern auch zum ersten Male durchaus von Eisen, der Hebel-Mechanismus von Schmiedeeisen.

Das Fahrzeug von unten, der Schiffsrumpf oder „scow“ hat hier keinen andern Zweck, als den ungeheuern Galgen zu tragen und ihm Festigkeit und Hebelkraft zu sichern. In der Mitte hat er eine rhomboidische Gestalt und läuft nach beiden Seiten spitz zu, mit Rudern hinten und vorn. Der Boden oder Kiel unten ist ganz gerade und platt, wie der Boden eines Fasses, um dem Wasser den möglichst größten Widerstand zu leisten, wenn es gilt, tausendtonnige Schiffe heraufzuheben. Daraus erklärt sich leicht die ganz von andern Schiffsformen abweichende Gestalt. Der ganze Rumpf unten ist ein ungeheueres Eisengerippe von 257 Fuß Länge und 90 Fuß Breite in der Mitte. Jede Rippe inwendig besteht aus mehreren Tonnen massivem Eisen. Das Rippengefüge ist inwendig so mit Eisenhaut überzogen, daß daraus 80 separirte, wasserdichte Zellen entstanden. Diese sind zunächst das Gerüst und Gerippe für den Herkules des Hebelns, dann dienen sie auf einer Seite, mit Wasser gefüllt, als Gegengewicht, wenn der Riese auf der anderen Seite ein gesunkenes Schiff heben muß.

Nun der Hebelapparat, der zunächst von den gewöhnlichen Krahnen dadurch abweicht, daß er nicht einen ein-, sondern zweiarmigen Hebel bildet, einen Wagebalken mit dem Stützpunkte auf der Haupt- und Mittelsäule, von den republikanischen Amerikanern Königs-Ständer, „King-post“, genannt. Dieser zweiarmige Hebel bietet manche Vortheile, besonders in der patentirten Structur. Man erreicht und vertheilt dadurch mehr Kraft, als mit dem einarmigen Krahnhebel. Der „Königsständer“ ruht, wie Figura zeigt, auf einer Pyramide von Eisensäulen, auf einem Kegel, dessen Spitze, im Umfange von 7 Fuß und hohl (es spielten einmal zwei Herren Schach darin), den schmiedeeisernen, 120 Fuß langen, 1600 Centner schweren Haupthebel, den Boom oder eigentlichen „Derrick“ trägt. Der Königsständer ragt 50 Fuß hoch über den Derrick empor und trägt ihn so, daß er sich frei auf seinem Stützpunkte drehen kann. Die Hälfte des Derricks, welche dem directen Hebelarme entgegengesetzt ist, wird durch massive Metalltaue mit dem Rumpfe unten verbunden und so, nach hier nicht zu erörternden mathematischen Gesetzen, die Anstrengung des Hebens über den ganzen massiven Eisenkörper vertheilt und zerstreut, so daß sie sich nicht auf einem einzelnen Punkte zerstörend und Kräfte überbietend geltend machen kann.

Die Hälfte des Derricks, welche direct als Hebel dient, ragt über die Seite des Schiffsrumpfes hinaus und ist oben mit zehn Partien von Hebelblöcken versehen, die, in Flaschenzugweise wirkend, jeder eine Hebekraft von 100 Tonnen ausüben. Ueber jeden der Hebelblöcke läuft eine Kette hinunter durch das Innere des Königsständers auf Spillbäume unten auf der entgegengesetzten Seite. Letztere, durch Dampf gedreht, üben nun durch diesen mächtigen Flaschenzugapparat eine Hebekraft von nötigenfalls 1000 Tonnen aus, so daß das mächtigste Schiff, welches im Wasser so viel von seinem Gewichte verliert, als es Wasser verdrängt, damit aus der Tiefe gehoben werden kann.

Das ganze eiserne Ungeheuer von 1200 Tonnen Gewicht, mit der Spitze der Königsständers mehr als 200 Fuß über die Wasserfläche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 649. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_649.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)