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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Heydtmann galt nicht blos für einen unerschrockenen, vor den drohendsten Gefahren nicht zurückschreckenden Seemann, er war es auch. Seine seemännische Vergangenheit legt Zeugniß davon ab. Dafür spricht unter Anderm ein Schreiben William Fraser’s im „Globe.“ Dieser Mann kannte die „Austria“ und deren Capitain. Er hatte das Schiff in Plymouth besucht, als es nach jenem schon zu Anfange dieses Aufsatzes erwähnten Sturme, mit einem ganzen Regiment englischer Soldaten an Bord, Zuflucht an Englands Küsten suchen mußte. Capitain Heydtmann hatte volle 14 Stunden lang das Deck nicht verlassen; um nicht von den Sturzseen über Bord gespült zu werden, ließ er sich festbinden, ertheilte mit größter Unerschrockenheit seine Befehle und brachte das ganze Regiment, mit Verlust nur eines einzigen Soldaten, glücklich zurück nach Plymouth. Derselbe Mann berichtet, der Capitain sei damals den Ingenieuren, die das Schiff rettunglos für verloren hielten, mit der Pistole in der Hand entgegengetreten und habe gedroht, jeden niederzuschießen, der seinen Posten verlasse. Diese Ruhe und Entschlossenheit rettete das Schiff, Mannschaft und Militair. Herr Fraser mag aber nicht Unrecht haben, wenn er hinzufügt, es sei eine mehr als schwere Aufgabe, Hunderte von Passagieren, die mehrere Sprachen redeten, in einem Unglück, wie es die „Austria“ heimsuchte, ruhig zu erhalten. Wir glauben allerdings, daß diese Aufgabe kein Seemann so leicht genügend zu lösen im Stande sein dürfte.

Im Hinblick auf die ganz außerordentlichen Umstände, unter denen die „Austria“ in Brand gerieth, finden wir es daher hart und lieblos, über einen Todten schonungslos den Stab zu brechen, ehe noch vollständig zuverlässige Aussagen über den Hergang der Sache von allen Seiten vorliegen. Wenigstens wird man den Aussagen der Officiere und den von der Mannschaft Geretteten, ehe man ein Schlußurtheil fällt, doch eben so viel Gewicht beilegen müssen, als den vielfach unklaren Erzählungen der Passagiere.

Anders dagegen gestalten sich die Dinge, wenn wir der Entstehung des Feuers unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Hier haben jedenfalls sehr grobe Versehen stattgefunden oder man ist nicht mit der bei einer Theerräucherung erforderlichen Vorsicht zu Werke gegangen. Nur darf man die Schuld dieser Versehen nicht dem Capitain aufbürden wollen, der persönlich dabei gar nichts zu schaffen hatte. Diese Schuld trifft nur den Officier und diejenigen Leute von der Mannschaft, die dazu beordert waren. Leider kann man auch diese nicht befragen, noch zur Rechenschaft ziehen, denn sie büßten ihre Unvorsichtigkeit mit dem Leben. Den Hergang bei dieser unseligen Räucherung kennen wir ebenfalls noch nicht zur Genüge, denn von allen Augenzeugen, welche über den Brand der „Austria“ berichteten, hat kein Einziger etwas Anderes erzählt, als daß das Feuer beim Räuchern entstanden sei. Keiner von diesen Berichterstattern war wirklich dabei; sie alle wissen nur, daß der vierte Officier und ein Bootsmann mit einem Gefäß voll Theer und einem glühenden Eisen in’s Zwischendeck hinabstiegen. Was unten geschah, wie es kam, daß das Gefäß, nachdem es Feuer gefangen, umstürzte, was die dabei Beschäftigten thaten, um die Gluth im Entstehen noch zu ersticken: über diesem Allem schwebt ein undurchdringliches Dunkel. Erst das Emporlodern der Flammen machte die auf Deck weilenden Passagiere und die Officiere, welche die Wache hatten, aufmerksam. Mit dem Ausschlagen der hellen Lohe aber scheint auch jede Rettung unmöglich gewesen zu sein, denn die Flammen zeigten sich, wie Viele berichten, gleichzeitig in der Mitte des Schiffes und an den Luken des Vordertheils.

Einige Passagiere geben weiter in ihren Erzählungen an, es seien nirgends Vorkehrungen zum Löschen vorhanden gewesen, auch habe es an Rettungsmitteln gefehlt, deren die Passagiere sich hätten bedienen können. Wer die Einrichtung der Hamburgischen Ocean-Dampfer kennt und je einmal eins dieser schönen Schiffe sich etwas genauer betrachtet hat, der muß bei Lesung solcher Bemerkungen den Kopf schütteln. Außer den schon erwähnten acht Rettungsbooten, die für die große Zahl der Passagiere, welche die „Austria“ am Bord hatte, allerdings nicht ausreichend sein konnten, besaß das Schiff noch eine beträchtliche Anzahl sogenannter Lifeboys, sowie 40 mit Korkspänen gefüllte Matratzen. Diese waren mit Riemen und Schnallen versehen, so daß sich dieselben Jeder zum Schwimmen ohne große Schwierigkeit umschnallen konnte. Endlich fehlte es auch durchaus nicht an hinreichenden Löschapparaten; denn außer einer Patent-Downtons-Feuerspritze, die mit Zweigröhren versehen war und deren Wasser durch anzuschnallende Schläuche je nach den Umständen sowohl über das obere Deck, wie in die unteren Deckräume hingeleitet werden konnte, waren auch an der Dampfpumpe Röhren und Hähne angebracht, mittelst deren sich jedes Deck hinreichend mit Wasser übergießen ließ. Ist nun von allen diesen Vorrichtungen gar kein oder ein höchst ungenügender Gebrauch gemacht worden, so müssen wir so lange, bis das Gegentheil bewiesen ist, an der Ansicht festhalten, daß nur die mit Blitzesschnelle durch die unteren Deckräume sich ausbreitenden Flammen, die ja, wie die Aussagen aller Augenzeugen berichten, auch sogleich das obere Deck ergriffen und den Verkehr auf diesem zwischen Hinter- und Vordertheil des Schiffes aufhoben, Officiere und Mannschaft verhindert haben, sich derselben zur Unterdrückung des Feuers zu bedienen.

Die drei ersten Officiere der „Austria“ nebst einigen Personen von der Mannschaft haben die entsetzliche Katastrophe derselben überlebt. Ihre Aussagen vor Gericht bringen hoffentlich etwas mehr Licht in das Dunkel der schrecklichen Begebenheit. Die Publication dieser Aussagen erwartet nicht blos Hamburg, sondern die ganze Welt. Die Behörde darf und wird also, davon sind wir fest überzeugt, nicht länger, als eben nöthig, mit der Veröffentlichung zaudern. Sie ist diese Ehre der Hamburgischen Flagge und dem Rufe der deutschen Seeleute schuldig, deren Tüchtigkeit bisher noch von keiner Nation der Welt angezweifelt worden ist.

(Namensverzeichniß der Mannschaft und Passagiere s. Seite 650 u. ff.)




Schiffs-Fischerei mit Dampf.
Der eiserne Dampf-Derrick in London.

Das unersättliche Meer, wie viele Menschen und Güter verschlingt es jährlich, ja täglich, ohne je satt zu werden! Im Jahre 1857 verunglückten um die englischen Küsten allein 1141 Schiffe mit 176,544 Tonnen Gütern. Die Menschen, die mit diesen 1141 Schiffen verunglückten oder ertranken, werden dabei gar nicht besonders beachtet. Blos wenn, wie neulich in dem verbrennenden großen Hamburg-Newyorker Dampfer von 500 Menschen über 450 auf einmal doppelt umkommen, verbrennen und ertrinken, nimmt die Presse Notiz davon.

Nach Berichten aus allen Häfen und Meeren der Welt hat man angenommen, daß jährlich im Durchschnitt 20,000 Fahrzeuge auf dem Meere verunglücken, damit 10 Millionen Tonnen oder 200 Millionen Centner Waaren oder Güter und mehr als 100,000 Menschen. Von Letzteren kann Niemand gerettet werden, wenn er einmal den Meeresboden berührt und Millionen Einwohner der salzigen Fluth zur Mahlzeit eingeladen; aber von den Schiffen und deren Gütern, die der Tiefe verfallen, könnten im Durchschnitt zwei Drittel wieder auferstehen, wenn man ihnen nur eine kräftige, hülfreiche Hand von oben zu reichen verstände. Daran fehlte es bis jetzt.

Nun aber nicht mehr.

Die Amerikaner haben einen Auferstehungshebel für diese Schiffe und deren Güter erfunden und bis jetzt mit dem überraschendsten Erfolge angewandt. Die Engländer machen’s ihnen nach und zwar mit der Aussicht, daß sie von den im vorigen Jahre verunglückten 1141 Fahrzeugen mindestens 800 retten, emporziehen, ausbessern und wieder gebrauchen können. Für solche Auferstehungshebel hat sich eine patentirte Compagnie gebildet, die den Namen „Patent Derrick Company“ führt und unlängst den ungeheuersten, eisernen Koloß von „Derrick“ im Osten von London, unweit des trauernden „Leviathan“, vom Stapel laufen ließ.

Ein Derrick?

Was ist das? Etwas ganz Neues, namentlich für uns „Landratten.“ Selbst 99/100 der Londoner Bevölkerung staunten ein ganzes Jahr lang und wunderten sich, als sie nach und nach ein fabelhaftes Ungeheuer von Eisen emporsteigen sahen. Es ist 12 Fuß breiter, als der ganze Leviathan, und so merkwürdig von Gestalt, daß man sein Lebtage rathen kann, ohne das Richtige zu treffen,

wenn’s uns kein Eingeweihter sagt. Einige meinten, es sei ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 648. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_648.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)