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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Capitain Renaud, Befehlshaber der französischen Bark „Maurice“ an seine in Nantes wohnenden Rheder über den Brand der „Austria“ erstattete. Du. „Journal de Nantes“ theilte dies Schreiben zuerst mit. Aus ihm ging es über in verschiedene französische Blätter. Dasselbe ist aus Horta aus Fayal vom 19. Septbr. datirt. Es heißt darin:

Am 13. September befand ich mich auf 45° 6’ n. Br. und 44° 1’ w. L. Um 2 Uhr Nachmittags sahen wir ein Dampfschiff vor uns. Um 2 1/2 Uhr gewahrten wir nur noch Flammen. Ich steuerte darauf los und wir waren nur noch etwa eine Meile von dem brennenden Schiffe entfernt, als wir die ersten Unglücklichen retteten, welche sich an fast ganz verbrannte Masttrümmer klammerten. Wir retteten deren mehrere, immer auf den Dampfer zuhaltend, der von vorn bis hinten nur ein Feuerheerd war. Als ich es ohne Gefahr für mein eigenes Schiff und dessen Equipage thun konnte, schickte ich meine beiden Boote den Unglücklichen zu Hülf, welche uns unter herzzerreißendem Geschrei die Arme entgegenstreckten.“ Capitain Renaud läßt nach dieser Einleitung seine beiden Steuerleute, welche die Rettungsboote commandirten, selbst sprechen, und von diesen erhalten wir denn eine Beschreibung des entsetzlichen Anblickes, welchen die „Austria“ zu jener Zeit darbot, der an Furchtbarkeit kaum mit irgend welchem andern schrecklichen Ereignisse zu vergleichen ist. „Von vorn bis hinten" – – erzählen die beiden Officiere der „Maurice“, die Herren Rivert und Bertaund – stand das Schiff in Flammen. und die unglücklichen hatten keine Zufluchtsstätte. Auf dem Bugspriet waren wenigstens dreihundert Personen; längs der Schiffswände hingen wenigstens hundertfünfzig bis zweihundert an Tauen, die man an den Oberbalken des Schisses befestigt hatte, Manchmal klammerten sich zwanzig bis dreißig an dasselbe Tau. Das im Innern des Schiffes rasende Feuer verbrannte diese Taue, und alle die Unglücklichen verschwanden rettungslos in den Wogen: erst als Leichname tauchten sie wieder auf. Auf solche Weise sahen wir 250 bis 300 Menschen umkommen.“

Hierauf nimmt Capitain Renaud den Faden der Erzählung selbst wieder auf, indem er über die bewerkstelligte Rettung berichtet. Nach viermaligem Hin- und Herfahren mit den Booten gelang es den beiden Steuerleuten, 45 unglückliche an Bord der „Maurice“ zu bringen, wo ihnen sofort der nöthige Beistand geleistet wurde. Um 9 Uhr Abends erreichte dann auch ein stark mit Wasser angefülltes Boot der „Austria“ die Bark. Es hatte 20 Personen an Bord. Das letzte Boot des französischen Schiffes hatte nur noch zwei Personen retten können. Als es zur Bark zurückkehrte, war es bereits schon völlig Nacht. Herr Bertaud, der es befehligte, sagte aus, daß die noch am brennenden Schiff befindlichen Unglücklichen im Hinblick auf die schreckliche Nacht, die vor Ihnen lag, sich größtenteils in’s Meer stürzten und nur als Leichen wieder auftauchten. Das Schauspiel war über alle Beschreibungen entsetzlich; die Ruder seines Bootes tauchten nie ins Wasser, ohne Leichen bei Seite schieben zu müssen. „Um meine Leute nicht unnütz auszusetzen und da auch die See anfing, hoch zu gehen,“ sagt Capitain Renaud, „hielt ich mich in der Nähe des Schiffes, um am andern Morgen zu sehen, ob nicht noch mehr Opfer zu retten seien. Frühzeitig aber war ein norwegisches Schiff mir zuvorgekommen, und als ich den Rumpf des Dampfers durch mein Fernrohr betrachtete, konnte ich nirgends mehr einen Menschen entdecken.“

Dieser Erzählung fügt Capitain Renauld mit Unwillen die Bemerkung bei, daß, während er Alles that, um Unglückliche zu retten, drei andere Schiffe, deren Rumpf er erkennen konnte, und die mithin auch ihn sehen mußten, unbekümmert um das entsetzliche Unglück, vorübersegelten. Seinen Officieren wie der gesammten Mannschaft seines Schiffes ertheilt der Capitain das beste Zeugniß. Man sorgte auf alle erdenkliche Weise für die Unglücklichen, von denen Manche schwere Brandwunden erhalten hatten. „Sechs litten besonders heftig“ – fügt er hinzu – „und einer derselben war ganz mit Brandwunden bedeckt, so daß es zu verwundern ist, wie sich derselbe so lange schwimmend erhalten konnte.“ Am 19. September erreichte der „Maurice“ Fayal und landete hier diejenigen Geretteten, die am Bord seines Schiffes geblieben waren. – Hiermit sind die Quellen, die uns bis jetzt über den Verlauf dieses grauenvollen Ereignisses zu Gebote stehen, erschöpft. Das Ereignis selbst ist aber ein so ganz außerordentliches. Das wir unsere Schilderung desselben hier noch nicht schließen können. Bei der allgemeinen Theilnahme, die es auf beiden Erdhälften erweckte, so wie die erste Kunde davon durch den Telegraphen nach allen Richtungen hin verbreitet wurde, konnte es nicht fehlen, daß das Geschehene in der Presse die verschiedensten Beurtheilungen finden mußte. Man hatte ein solches Unglück nicht für möglich gehalten, und eben darum nahmen sehr viele an, es müsse das Unglück selbst die Schuld unverantwortlicher Nachlässigkeit und eines Aufhörens aller Disciplin an Bord des Schiffes unmittelbar nach dem Ausbruche des Feuers sein. Die amerikanische Presse insbesondere fällt sehr harte Urtheile und verdammt namentlich die Handlungsweise des unglücklichen Capitains. Leider kann dieser beklagenswerte Mann sich nicht mehr vertheidigen. Er muß es dulden, daß man ihn schmäht, ihm Unfähigkeit, ja sogar Feigheit vorwirft. Wir sollten aber vorsichtiger sein in unserem Urtheile, denn obwohl eine Menge Aussagen Ueberlebender Bemerkungen fallen lassen, die fast wie eine Anklage klingen, dürfen wir diesen doch nicht blindlings vertrauen. Neben den Berichten der Passagiere werden die Aussagen der geretteten Officiere doch auch zu beherzigen seien. Schon die Erklärung derselben in der „Times“ deutet an, daß das entfeselte Element menschlicher Anstrengung von Anfang an spottete. Professor Glaubensklee, ein Zeuge, dessen Wort schwer in’s Gewicht fallen dürfte bei Beurtheilung des Brandes der „Austria“, hat in New-York erklärt, daß Capitain wie Officiere und Mannschaft des unglücklichen Schiffes ihre Pflicht vollständig gethan hatten, nur das reißend schnelle Umsichgreifen der Flamme machte jeden Rettungsversuch unnütz, und verhinderte die Bergung der Passagiere. Wir wissen, daß innerhalb weniger Minuten das ganze Zwischendeck in Flammen stand. daß zehn Minuten genügten, die Flammen durch alle drei Decks hindurch zu verbreiten, das Schiff in zwei Hälften zu theilen. und drei der Rettungsboote in Brand zu setzen. Die Furcht vor dem Tode und das Unerwartete des Unglücks jagte die entsetzten Passagiere nach den Booten. Die Angst raubte der Mehrzahl alle Besinnung, und obwohl die Officiere ihre Befehle ertheilten, die Mannschaft diese vollzog, wo sie überhaupt gehört wurden, konnten doch einige wenige Männer dem Andrange Hunderter nicht begegnen. Daß bei diesem Sturm auf die Boote, den nächsten und anscheinend sichersten Rettungsmitteln, diese beim Herablassen oder Herabstürzen in’s Meer umschlagen, an die fortarbeitende Schraube treiben, und hier zerschellen mußten, läßt sich leicht begreifen.

Man hat die Katastrophe der „Austria“ mit dem Untergange des „Central-Amerika“, des „Arctic“ und anderer großer Schiffe verglichen und bemerkt dabei daß auf jenen eine musterhafte Ordnung geherrscht und die Befehlenden ungleich besser ihrer Pflicht eingedenk gewesen waren. Diese Vergleiche, dünkt uns, hinken gewaltig. Der Untergang jener Schiffe und die Rettung der darauf befindlichen Menschen, so weit sie bewerkstelligt werden konnte, fand unter ganz anderen Umständen statt, als der der „Austria“. Sturm und Wogen waren die Vernichter derselben, die Gefahr nahte sich nach und nach, man hatte Zeit, Vorkehrungen zu treffen. Zu überlegen, was zu thun am zweckmäßigsten sei. Die „Austria“ dagegen segelte bei schönem, fast stillem Wetter ruhig ihren Cours. Alles athmete auf, weil man die böse Zeit endlich für überstanden hielt. Kein Mensch, auch die Aengstlichsten nicht, vermuthete ein Unglück Da brannte plötzlich das Schiff von einem Ende zum andern! Weil Niemand einen Ausweg sah, wollte jeder Einzelne, dem natürlichen Triebe der Selbsterhaltung folgend, diesen auf eine oder die andere Weise erzwiengen. Ein solches gleichsam vom Himmel herabfallendes Unglück war wohl geeignet, auf Alle gleich lähmend zu wirken, und wir sind der Meinung kein Capitain der Welt würde dies fürchterliche Unglück haben bewältigen und die auf dem Schiffe weilenden Passagiere retten können.

Den Ausruf des Capitains, als der Feueralarm ihn aus seinem Privatcabinet aufschreckte, in das er sich auf einige Zeit zurückgezogen hatte: „Wir sind Alle verloren!“ macht man dem Unlücklichen Manne zum schweren Vorwurfe. Aus ihm folgert man, er habe den Kopf verloren gehabt und nicht mehr gewußt, was er beginnen solle. Wir unsererseits können, hat er diese verhängnißvollen Worte wirklich gesprochen, darin nur den willenlosen Seufzer eines tief fühlenden Menschen erkennen, den beim Anblick der wild auflodernden Flammen das Bewußtsein seiner Hülflosigkeit überkam. Freilich verlangt die Welt, ein Seemann solle jeder Gefahr unerschrocken in’s Auge schauen; die Tugend des echten Seemanns bestehe eben in einer Kaltblütigkeit, die sich durch nichts erschüttern lasse. Ein solches Verlangen mag gerechtfertigt sein, der Fall mit der „Austria“

dürfte aber auch in dieser Hinsicht eine Ausnahme machen. Capitain

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 647. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_647.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)