Seite:Die Gartenlaube (1858) 644.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

gewordene Kaiser ist übrigens eine ganz andere verhimmelte Figur, als jener letzte Sproß des Sachsenstammes in der Geschichte, der sich einsichtsvoll und thatkräftig erwies. Daß man ihn nun vollends zum Vater des Süßholzes gemacht hat, klingt wie eine unbewußte Volksironie.

Sonst wurde an den Berghängen im Westen und Nordwesten der Stadt auch viel Wein gebaut, seit aber zu Ende des vorigen Jahrhunderts das Bamberger Bier berühmt und stark ausgeführt wurde, trat die Hopfenranke an die Stelle der Weinrebe. Der Obstbau ist ziemlich stark. Dürres Obst, vorzüglich Zwetschgen, und Nüsse werden viel ausgeführt.

Der Vertrieb der grünen Waare fällt fast ausschließlich den Frauen anheim, und sie werden dazu erzogen. Schon seit undenklichen Zeiten haben die Bamberger Gärtnerfrauen mit ihren schmackhaften und billigen Erzeugnissen fremde Märkte und Städte besucht. Sie fuhren mit ihren Ochsenwagen, oder gingen mit ihren Tragkörben in den Thüringer- und Frankenwald und in’s Fichtelgebirge, nach Ober-, Mittel- und Unterfranken, und frequentirten in diesen Länderstrichen die Märkte geradezu aller Städte. Jetzt benutzen sie die Eisenbahnen und haben ihre Erwerbsthätigkeit schon auf das ferne München ausgedehnt. Die neue Werrabahn wird sie wahrscheinlich auch in das westliche und östliche Thüringen führen, und sie werden den Erfurter Gärtnern Concurrenz machen. Schwierigkeiten scheint es kaum für sie zu geben. In dem großen angedeuteten Umkreise sind sie bekannt und beliebt, als wenn sie in jeder Stadt zu Hause wären.

(Schluß folgt.)




Der Untergang des Hamburgischen eisernen Schraubendampfschiffes „Austria“
am 13. September 1858.
Zweiter Artikel.

Der Zwischendeckspassagier Fritz Thompsen aus Cappeln (Schleswig) sah, wie der Bootsmann mit einem Theereimer und der vierte Steuermann mit einem glühenden Eisen herabkamen, um die befohlene Räucherung vorzunehmen. Thompsen hatte noch nicht die letzte Stufe unten an der Treppe erreicht, als Feuerruf erscholl und, indem er sich umkehrte, ihm schon dicker, erstickender Theerqualm entgegenkam. Die Bestürzung der Passagiere, das an Wahnsinn grenzende Entsetzen des Capitains schildert er wie Andere. Auch hörte er mit eigenen Ohren den Verzweiflungsruf des Capitains: „Wir sind Alle verloren!" Thompsen suchte das Vorderdeck als die noch sicherste Zuflucht auf dem von Flammen umloderten Schiffe zu erreichen, und ihm verdanken wir die Schilderung von Scenen, die sich hier, wo Hunderte zusammengedrängt waren, in gleich schrecklicher Weise, wie auf dem Hintertheile der „Austria", zutrugen. „Ich stand in der Mitte dieses Menschenknäuels" — erzählt derselbe — „und wir konnten kaum so viel Platz gewinnen, um die Taue, welche den ersten Mast hielten, zu kappen, damit dieser nicht auf uns falle. Wir verharrten etwa zwei Stunden lang, die Flammen breiteten sich immer weiter aus, und setzten unsere Kleider in Brand. Wir vermochten nichts dagegen zu thun; später banden wir Kleider zusammen, tauchten sie in’s Wasser und suchten so dem Vordringen der Flammen zu steuern. — Nach zwei Stunden waren bereits zwei Drittheile der Menschen vom Vordertheil über Bord gedrängt; die Flammen rückten so weit vor, daß man sich nicht mehr auf Deck aufhalten konnte. Ich ließ mich an einem Tau, das ich zu diesem Zweck an einen Ring an der Außenseite des Schiffes festband, herab. An dem untern Ende dieses Taues hatte ich eine Schlinge gemacht, in die ich meinen Fuß setzte, und mit den Händen hielt ich das Tau fest. Kaum aber war ich über’m Wasser angelangt, so kamen 4 bis 5 Menschen auf einmal das Tau herabgerutscht. Sie klammerten sich an meine Kleider fest, wurden aber durch frische Nachkömmlinge verdrängt und abgestreift. So ging es beiläufig drei Stunden lang. Während dieser Zeit fielen beständig Menschen, zum Theil halb verbrannt, auf mich herab, und versanken nach kurzem Kampfe in meiner Nähe. Kohlen und brennende Balken überschütteten mich, und da meine Kräfte schwanden, ließ ich endlich das Tau fahren und schwamm nach der Richtung, in der ich das Segelschiff früher vom Deck aus gesehen hatte."

Dieser Schilderung schließt sich die Erzählung von der Rettung des Augenzeugen durch die französische Bark „Maurice" an, die wir hier weglassen können, da sie sich von der Aussage anderer Passagiere der „Austria" durch die Boote dieses Schiffes in nichts unterscheidet.

Wir wenden uns jetzt den Darstellungen noch zweier andern Geretteten zu, die der erschütternden Details wegen, welche sie enthalten, von Interesse sind. Unter den Passagieren des Zwischendecks befand sich auch ein Italiener aus Cattaro, Namens Johann Palicrusca. Dieser Mann besaß mehrere trefflich abgerichtete Singvögel, mit denen sich gern Jedermann beschäftigte. Die Officiere der „Austria" schenkten vielleicht gerade dieser befiederten Sänger wegen dem Zwischendecks-Passagier, der durch seine abgerichteten Vögel zur Unterhaltung am Bord nicht wenig beitrug, etwas mehr Aufmerksamkeit, als gewöhnlich. Darum sprachen sie Palicrusca am 13. September an, indem sie ihn aufforderten, er möge seine Vögel herauftragen, damit der Theergeruch ihnen nicht schade. Palicrusca kam dieser Aufforderung sofort nach, und stieg mit seinen Vögeln auf’s Deck. Hier war die größere Anzahl Passagiere versammelt, um das schöne, fast ganz stille Wetter zu genießen. Es war der erste schöne Tag seit der Abreise aus Hamburg, und Jeder war froh, endlich einmal in ungestörter Ruhe Luft schöpfen zu können. Zehn Minuten später brachen die Flammen aus, der Capitain stürzte baarhäuptig, weiß wie Schnee, den unheilvollen Verzweiflungsruf ausstoßend, unter die erschreckten Passagiere, und verschwand nach kurzem Verweilen für immer. Nach fünf Minuten trennten die in der Mitte des Schiffs auflodernden Flammen Vorder- und Hintertheil desselben dergestalt, daß kein Verkehr zwischen beiden Theilen mehr stattfinden konnte.

Palicrusca erzählt nun Folgendes: „Ich hatte noch Zeit, eine Planke zu ergreifen und mich zum Bugspriet zu drängen, wo ich sie zur Vorsicht fest band. Dann half ich den Balken vom Besahnmast zum Bugspriet kappen, der uns beim Fallen Alle erdrückt hätte. Jetzt platzte das Pulvermagazin, jedoch ohne großen Lärm. Nachher setzte ich mich auf eine der Ketten am Bugspriet und sah hier Scenen, die zu haarsträubend sind, als daß ich sie beschreiben könnte. Das entsetzlichste Schauspiel für mich war ein junges Geschwisterpaar, ich glaube, sie waren Israeliten und wollten nach Californien. Um der fast Unerträglichen Hitze zu entrinnen, ließ der Jüngling seine Schwester mit beiden Füßen auf ein dünnes Seil treten, und ließ sie so weit hinab, daß sie nahezu das Wasser berührte und so, vor dem Feuer geschützt, die Ankunft eines rettenden Bootes abwarten konnte. Dann schlang er sich ein ähnliches Seil um den Leib und sprang ihr nach. Unglücklicherweise aber hatte er dieses zu wenig angezogen, im Fallen rutschte es und zog sich über seinen linken Arm und sein Gesicht, das ganz zerfleischt wurde. Wohl länger als eine halbe Stunde hörte ich das Mädchen um Hülfe für ihren unglücklichen Bruder schreien. Wer hätte da retten können? Mit Händen und Füßen arbeitete er, um emporzukommen, aber nach und nach erschlaffte er und hing endlich ruhig – ein Leichnam. Als ich endlich ein Boot von der Bark „Maurice" rudern sah, sprang auch ich in’s Meer und wurde nach langem Umherschwimmen an Bord desselben aufgenommen. Das Mädchen hing noch, als ich das Schiff verließ. Ueber ihrem todten Bruder hatten noch drei andere Personen sich an den Tauen angeklammert. Ihr Schicksal ist mir unbekannt. – Auch sah ich noch einen Böhmen, der seinen Sohn, so groß und stark wie er selbst, umhalste und, ihn küssend, in die Tiefe sprang. Ihnen folgte die Mutter in der Umarmung ihrer beiden Töchter. – Eine englische Dame, die erst in Southampton an Bord gekommen war, warf, als die Flammen näher und näher drängten, ihre zwei älteren Kinder in’s Wasser; mit dem dritten, einem Säugling, folgte sie selbst.“

Th. Glaubensklee, Professor aus New-York, stimmt in seinen Angaben, soweit dieselben die Entstehung des Feuers betreffen, ebenso in Bezug auf das Erscheinen des Capitains, dessen Aeußerung und baldigen Tod, mit andern Augenzeugen vollkommen überein. Dieser Herr, der wahrscheinlich seine schließliche Rettung nur dem Umstande zu verdanken hatte, daß er das Hintertheil des

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 644. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_644.jpg&oldid=- (Version vom 22.2.2018)