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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

war aber auch Naturforscher (und kann denn ein ehrlicher Arzt etwas Anderes sein?), aber in demselben Sinne, d. h. wie alle geistbegabten, ehrlich und treu strebenden Naturforscher der Neuzeit es sind; und er war endlich Dichter und Schöngeist in dem Sinne Heinrich Heine's. Im Buche der Geschichte so bewandert, wie in dem der Natur, und voll köstlicher poetischer Anschauungen des Welt- und des Menschenlebens, entging seinem Scharfblicke nichts, das irgend geeignet wäre, der Beobachtung oder Forschung eine interessante Seite zu bieten, und da das Genie an jedem Gegenstande schnell Interessantes entdeckt, so war mein trefflicher Doctor L. unerschöpflich in geistreicher, fesselnder Unterhaltung und Belehrung. Was mich aber am meisten zu ihm hinzog, war seine schier begeisterte Liebe zum Volke, eben weil ich sie theilte. Er konnte sich eine Stunde lang mit einer alten Bauersfrau unterhalten, und ohne alle Ironie – obgleich diese sein Leibpferd war – auf ihre Ansichten eingehen, und sich von ihr belehren lassen.

Wir hatten verabredet, nach der alten Bischofsstadt Bamberg zu gehen, die noch soviele Zeugen und Denkmale eines einst reichen und prächtigen Fürstenhofes aufweist. Unterwegs im Waggon tauschten wir unsere Ansichten über das Mittelalter und die Jetztzeit aus, und Dr. L. erzählte mir köstliche Geschichten von fränkischen Rittern und Mönchen und ihren Begriffen von Ehre, Recht und Gottgefälligkeit, wie sie die Städtechroniken dieser gesegneten Länder aufbewahrt haben.

Wir fuhren dem stattlichen Bahnhofe zu. Vor uns stufte sich in imponirender Schönheit die alte verjüngte Stadt amphitheatralisch empor: unten im Thale auf der rechten (östlichen) Seite der Regnitz die langen Straßen der weit ausgedehnten Gärtnerei, auf der linken (westlichen) Seite des zweiarmigen Flusses die eigentliche Stadt sanft am Berge emporsteigend mit ihren majestätischen Kirchen, ehemaligen Klostergebäuden und ragenden Thürmen, auf einem der untern und niedern Berge der schlanke, vierthürmige Dom, auf einem etwas höheren Berge die erst anderthalb Jahrhunderte alten Gebäude des Michelsberges mit der weit ältern zweithürmigen Klosterkirche; noch etwas höher die bethürmte Kirche und die Gebäude der ehemaligen Propstei St. Getreu, jetzt Irrenanstalt, und als Gipfel dieser festlichen Pyramide die hohe uralte Altenburg, gleichsam die Mauerkrone der Stadt.

Mein neuer Freund deutete auf dieses reizende Ensemble und sagte: „Sehen Sie, der Gärtner, der so bescheiden da unten in der Thalebene wohnt, war, wenn nicht schon früher, wie ich glaube, so doch gewiß gleichzeitig hier mit dem Mönche in der westlichen Bergstadt drüben und mit dem Ritter auf dem Berge droben. Das erst glänzende und nachher faulende Ritterthum haben wir in seinen vom Zahne der Zeit stark benagten und zum Theil ganz zerfressenen Schalen und Gehäusen in der fränkischen Schweiz kennen gelernt; die Exuvien der erst nützlichen, nachher ausgearteten Möncherei kennen Sie in diesem gottgesegneten Frankenlande aus den prächtigen Häusern der ehemaligen Abteien Eberach, Banz, Langheim, Weitzenohe, Michelfeld. Hier in Bamberg haben wir zur Erinnerung an den ersten Stand die hohe Altenburg, an den andern den schönen Michelsberg, das ehemalige Karmeliterkloster, das ehemalige Dominikanerkloster und noch eine hübsche Anzahl andere. Ritter, Mönch und Gärtner haben hier manch Jahrhundert gehaust und ihre Spitze und Blüthe wurden die Fürstbischöfe. Aber der Ritter ist längst verschwunden; die Altenburg ist ein angenehmes Bier- und Kaffeehaus geworden; der Mönch ist ebenfalls bis auf ein kleines Restchen schlafen gegangen, und die Klöster sind Armenversorgungs- und Krankenheilanstalten oder Kasernen; die mächtigen und prächtigen Fürstbischöfe sind dem Ritter und Mönche gefolgt, und ihre stolzen Schlösser stehen vereinsamt oder dienen der baierischen Staatsregierung zu profanen Zwecken. Dieses Stück mittelalterlicher Schlangenhaut ist beseitigt, weil es keine Lebenskraft mehr hatte, dem Organismus nicht nur nicht mehr nützlich sein konnte, sondern sogar schädlich geworden war, und seine innere Haltlosigkeit der siegreichen Macht des Fortschritts keinen Widerstand mehr zu leisten vermochte. Ritter, Mönch, Fürstbischof sind nicht mehr; aber der Gärtner ist noch; er hat sie alle überdauert, und er wird auch die hohlen, unwahren Gestalten unserer Zeit überdauern. Der Gärtner blüht markig und kräftig, und wird in seiner schlichten Würde sich noch stattlicher und gehäbiger entwickeln. Der Gärtner, der Arbeiter, der einfache Sohn des Volks, der Ritter des Fleißes, der Mönch des echten Gottesdienstes, des frommen Feld- und Gartenbaues, der Fürst der Arbeit, er war, ist und wird sein, alle Lüge in Fleisch und Bein in Sammet und Seide überleben, weil er eine Wahrheit, eine naturwüchsige Wahrheit ist. Sehen Sie sich nur die Geschichte dieser vier verschiedenen Menschenkinder in Compendio an, um ihren wahren Werth, ihre wahre Größe gleichsam mathematisch zu finden! Während die Ritter mit dem Schwerte raubten und die Fürstbischöfe Abgaben und Gefälle im schönen Frankenlande mit dem Krummstabe eintrieben, beide, um sich´s wohl sein zu lassen, erwarben die Gärtner mit Hacke und Spaten, und ließen sich´s blutsauer werden. Die Früchte des Ritterthums und des Fürstbischofthums wurden allmählich alle faul und bitter, die Früchte des Gärtnerthums waren stets süß, wohlschmeckend, nahrhaft. Das Gärtnerthum grünt und blüht, wie Kohl und Kraut in seinen Gärten, und seine Wurzel ist so gesund, süß und tiefgehend, wie die feines Süßholzes. Es hat sich ganz unmerklich in ein nützliches, segensreiches Institut der Neuzeit verwandelt, das der Zukunft nicht allein zarte, schmackhafte, sondern auch goldene Früchte bringen wird. – Haben Sie nicht Lust, die Gärtnerei mit mir zu durchwandern?“

Der köstliche Gegensatz hatte mich frappirt, und hastig rief ich: „Ich halte Sie beim Worte, Doctor! Wir besuchen die wackern und ehrenwerthen Bamberger Gärtnersleute in ihren heimischen Wänden und auf den Wahlstätten ihres Fleißes. Kenne ich doch die stattlichen Bamberger Gärtnersfrauen und Gärtnerstöchter, wie ich sie oft und viel auf den Märkten von Coburg, Hildburghausen, Meiningen, Nürnberg, Bayreuth, Hof und der kleineren Städte Frankens und Südthüringens zwischen Bergen von köstlichen Gemüsen sitzen gesehen und verkaufen gehört habe, mit einer Bestimmtheit und Charakterfestigkeit ihre Situation beherrschend, die einem Feldherrn Ehre gemacht haben würde. Bin ich Ihnen nicht auf meinen Wanderungen im Thüringer- und Frankenwalde und im Fichtelgebirge, im Voigt- und Osterlande begegnet, den kräftigen, wohlgebauten Kindern des alten Badenbergs, auf ihren Körben große Lasten grünen Pflanzenreichthums hausiren tragend, den sie mit saurem Schweiß der mütterlichen Erde abgerungen, und nun wieder mit saurem Schweiße auf ihrem Rücken viele Meilen weit fortschafften, den Küchenmägden zu Nutz und Frommen, den Hausfrauen zum Trost, den Hausherren zur Freude, den Gastwirthen zum Vortheil, der Kinderwelt zum unaussprechlichen Jubel, überall willkommen, stets zu gesundem derben Witz und Scherz bereit, Jedem Waare gebend, dem Koch wie dem Spötter, wenn auch dem Letzteren nicht immer wohlschmeckende? Ich habe mich der einen erfreut, wie der anderen, und in meiner Brust schlägt ein dankbares Herz. Also heute noch in die Gärtnerei!“

„Wir werden sogleich mitten darin stehen,“ sagte der Doctor, indem wir den Waggon verließen und den Weg nach der Stadt einschlugen. „Dieser der Bahn zunächstgelegene Stadttheil ist die Gärtnerei. Doch schlage ich vor, daß wir jetzt ohne Aufenthalt hindurchgehen und erst, nachdem wir meinem trefflichen Freunde dem Professor Haupt, rühmlich bekanntem Naturforscher und Schriftsteller, Director des hiesigen ausgezeichneten Naturaliencabinets, einen Besuch gemacht haben, hierher zurückkehren. Professor Haupt wohnt im ehemaligen Jesuitengebäude in der Mitte der Stadt. Dieser Besuch wird uns von Nutzen sein und wir werden dann wohlvorbereitet zu den Gärtnern kommen.“

Wir fanden in Herrn Prof. Haupt einen eben so liebenswürdigen, gefälligen Menschenfreund, tüchtigen, in allen Wissensfächern bewanderten, in den Naturwissenschaften ausgezeichneten Gelehrten, der mit der größten Bereitwilligkeit sogleich auf unsern Wunsch einging, uns über die Bamberger Gärtner zu unterrichten.

Die nachfolgende Skizze ist großentheils nach Prof. Haupt’s freundlichen Mittheilungen entworfen.

Der Anfang der Bamberger Gärtnerei verliert sich im Dunkel der Vorzeit; es ist nichts davon aufgezeichnet. Wahrscheinlich entstand sie aber bald nach der von der doppelarmigen Regnitz westlich auf Hügeln am Fuße der Altenburg zerstreut gelegenen Stadt, vielleicht mit dieser zugleich. Diese östlich in der Ebene aufgebaute Niederlassung, Teuerstadt genannt, war jedenfalls ein Ort für sich und von slavischer Bevölkerung (Wenden) bewohnt, während die über dem Flusse drüben in der Hügelstadt sitzenden Franken waren. Teuerstadt lag im Radenzgau, Bamberg im Volkfeldergau. Die zu Karl´s des Großen Zeit schon stark benutzte große Handelsstraße von Regensburg, Augsburg nach Nürnberg über Forchheim, Hallstadt

u. s. w. nach Erfurt mochte aus den slavischen Bewohnern Teuerstadts, wahrscheinlich Holzbauern, Köhlern, Theerschwelern,

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