Seite:Die Gartenlaube (1858) 636.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)


etwas Derartiges gefunden hatte, warf es entweder denjenigen zu, die schon über Bord gesprungen waren. oder sprang selbst damit über Bord. Ueberall herrschte die größte Verwirrung. Die Frauen jammerten, die Kinder liefen schreiend nach dem Stern den Schiffes, und zwischen durch vernahm man die Todesschreie Ertrinkender! Und immer weiter noch drang das Feuer vor. Kaum konnte man es noch am Bord aushalten, ohne geradezu gebraten zu werden. Um diese Zeit stürzte eine junge Dame mit dem Ausrufe auf mich zu: „Was soll aus uns werden? Was sollen wir anfangen?“ Ich entgegnete, daß wir höchst wahrscheinlich Alle umkommen würden. Darauf fiel sie sofort in Lachkrämpfe und schien vollständig ihr Bewußtsein verloren zu haben. Ich wurde von ihrer Seite gedrängt und weiß nicht, was aus ihr geworden ist. Fast alle Welt sprang jetzt über Bord, da die Hitze vollständig unerträglich geworden war, viele paarweise, Andere zu Dreien und Vieren, Einige Hand in Hand. Ich selbst, obwohl ich mich weit über den Stern des Schiffes hinauslehnte, ward beinahe geröstet; ich fühlte, daß alsbald auch die Reihe an mich kommen würde, nahm mir aber vor. so lange wie irgend möglich auszuhalten, und suchte mir zwei Taue zu verschaffen, an denen ich mich wenigstens etwas hinunterlassen könnte, um dann so weit wie möglich außerhalb des Bereiches der Schraube zu springen.

„Um diese Zeit war es, wo der Ungar mit seiner ganzen Familie über Bord sprang. Dies ist die gräßlichste Scene von allen, die ich erlebte. Eine junge Dame sprang nicht eher über Bord, bis ihre sämmtlichen Kleider Feuer gefangen hatten und die Flammen über ihr zusammenschlugen. Jetzt ließ auch ich mich an meinem Tau hinunter und sprang dann so weit wie möglich vom Schiffe ab in’s Wasser. Als ich wieder auftauchte, schwamm ich auf eine Rettungsboye zu, die ich in einiger Entfernung von mir erblickte, und glücklicher Weise gelang es mir, dieselbe nach einiger Zeit zu erreichen.

„Die „Austria“ dampfte noch immer brennend, mehr einer ungeheuern Feuermasse, als einem Schiffe gleichend, in der früheren Richtung fort, und noch immer sah ich die Passagiere einen nach dem andern in’s Meer springen. In einiger Entfernung von mir bemerkte ich kleine dunkle Flecke auf dem Wasser, Boottrümmer, Rettungsboyen, schwimmende Menschen. Nachdem ich etwa zwei bis drei Stunden, an meiner Rettungsboye angeklammert, herumgetrieben war, sah ich ein Schiff in einer Zickzacklinie mir näher kommen. Eine Stunde später wurde ich von diesem Schiffe aufgefischt, nachdem ich volle vier Stunden im Wasser gewesen war.“

Ein Passagier der zweiten Cajüte, Philipp Berry aus Hackensack (New-Jersey), welchen das Feuer in der Cajüte überraschte, entging dem Tode nur dadurch, daß es ihm gelang, durch das Skylight am hintern Theil der Cajüte zu entkommen. Nach den Aussagen desselben fand er bei Ankunft auf Deck drei oder vier Officiere beschäftigt, ein Boot in’s Wasser zu lassen, was aber nicht gut gelingen wollte, da eins der Taue, an denen es hing, nicht leicht nachgab. In dieses Boot wollte, berichtet Berry, auch der Capitain steigen, trat aber fehl und fiel in’s Wasser, wo er alsbald versank. Ferner bemerkt dieser dem Tode Entronnene, das Schiff habe damals etwa 8 bis 9 Knoten gemacht, und die Maschine anzuhalten, sei unmöglich gewesen, weil alle Ingenieure, wie erwähnt, vermuthlich sehr bald nach Ausbruch des Feuers erstickten. Die Schilderung der Scenen auf Deck, die Berry ansah, waren herzzerreißend. Unter andern kam eine Frau auf ihn zu und bat ihn um Gotteswillen, er möge ihr doch den Hals abschneiden; sie lief wie wahnsinnig auf dem Deck umher und ging seinen Blicken bald verloren.

(Ein zweiter Artikel mit neuen Details in nächster Nummer.)




Blätter und Blüthen.


Der chinesische Damenfuß. Endlich wissen wir von Wingrove Cooke, dem Times-Correspondenten, der seine Briefe in einem besonderen Buche („China in 1857–58“) veröffentlichte, ganz genau, wie der chinesische Damenfuß gebildet wird und aussieht. Er ließ sich Mädchenfüße in allen Stadien der Kunst zeigen. „Die älteste dieser 8 Mädchen hatte schon den vollendet schönen Fuß, einen formlosen Klumpen. Der Rist oder die Fußbiege nimmt die Stelle des Knöchels ein und Alles, was blieb, um darauf zu gehen, war der Ballen der großen Zehe und die Ferse. Das ist der kleine Fuß der Chinesinnen, ein Stückchen Zehe und ein Stückchen Ferse mit einem großen Rist dazwischen. Zwei der andern Mädchen, zweites und drittes Stadium der Vervollkommnung, litten noch große Schmerzen in den heißen, entzündeten Füßen. Die nächste war noch im Anfange des zweiten Stadiums, von welchem schwache Kinder oft sterben. Die Fußsohle war zu einem Bogen zusammengepreßt, Ferse und große Zehe möglichst nahe aneinander geschroben. Diese Folter wird nach und nach immer enger geschroben, Monat nach Monat. Der Fuß schwillt und entzündet sich, die Schmerzen sind oft furchtbar, aber die zärtliche Mutter harrt aus. Die vier jüngsten Mädchen waren noch im Vorbereitungsstadium, in welchem die große Zehe freigelassen, die vier andern aber fest unter den Fuß gebunden werden, bis sie dem Auge ganz verschwinden, ihre Articulation verlieren und mit der Fußsohle unten verwachsen. Hernach erst kommen die verschiedenen anderen Folter-Pressen, bis die Dame auf großer Zehe und Ferse, dicht neben einander, frei, aber stets wackelig, einherstelzen kann.“

Dies klingt so häßlich, so grausam, so empörend, daß man geneigt sein möchte, anzunehmen, schon wegen der Damenfüße müßten diese gräßlichen Barbaren niederkartätscht und mit westlicher Civilisation bekannt gemacht werden. Aber von diesem Standpunkte bekämen die Chinesen ein größeres Recht, uns niederzukartätschen, da wir Frauen, Töchter und Schwestern haben, die mit ihrem Leibe, mit ihrer Lunge, mit ihrem Schooße – die alle edler und wichtiger sind, als die Füße – eben so gräßliche Torturen vornehmen, wie die Chinesen mit ihren Mädchenfüßen. Und dazu der frech hintensitzende Spott eines Hutes, der wie Herausforderung zu allen Liederlichkeiten und Frechheiten aussieht! (Wie züchtig und sittsam war dagegen die alte „Eierkiepe!“) Und dazu die eisernen Reifen (eine englische Fabrik in Birmingham verarbeitet jede Woche 400 Centner Eisen zu Damenrockreifen) und die luftballonartig bauschenden Falbeln! Sehen diese alle menschliche Form – nicht zu reden von weiblicher Grazie, Schönheit und Sittsamkeit – zu Carricaturen aufbauschenden Ungeheuer nicht aus, als hätte jede Frau und Jungfrau einen Zustand zu verbergen, den die erste (obgleich verheirathete) Erfinderin dieser Monstrosität thatsächlich damlt beschönigen und verstecken wollte? Die englischen Damen (ich weiß nicht, wie’s andere machen) geben dieser Frechheit und Häßlichkeit noch einen schamloseren Charakter. Sie tragen alle weiße, gestickte Unterröcke, welche die Welt bewundern soll. Das Erste, was sie daher thun, sobald sie auf die Straße kommen, besteht darin, mit beiden Händen auf beiden Seiten die äußere, aufgeschwollene Schabracke aufzuraffen, sie über dem Bauche festzuhalten und dann mit großen, frechen, runden Augen und hinten angeklebtem Hute wie kundenbegierige Prostituirte auf der Straße hinzusegeln. Ist das nicht eine schandbare, scandalöse Wirthschaft? Hätte sie die scham-, geschmack- und gehirnlose Mode nicht geheiligt und unsere Sinne unter unserem scandalösen Filzthurme (genannt auch „Angströhre“ für uns Helden) dagegen abgestumpft, wir würden unsere Frauen, Töchter und Schwestern mit Gewalt zurückhalten, wenn sie Mine machten, in solcher Verhunzung und Verfrechung ihrer Schönheit und Sittsamkeit auf die Straße zu gehen. Wir westliche Civilisaion verbreiten! Wir Chinesen und andere Heiden bekehren wollen! Um bei den zerfolterten Füßen und unseren verdorbenen Jungfrauen-Taillen zu bleiben, bemerken wir, daß nur vornehme Chinesinnen (und das auch abnehmend) so zerfoltert werden, während bei uns jedes arme Bürgermädchen sich in einen eisernreifigen Luftballon Steckt, die Taille und die edelsten innern Theile zerschnürt und ein Stück Zeug auf den Hinterkopf kleben möchte. Selbst Rieke und Lotte rauschen zuweilen in eisernen Reifen aus der Küche hervor. Wie graziös sieht dagegen die Chinesin in ihrer naiven, gestickten Blouse und in den Höschen aus trotz ihrer Klumpfüße! Also lasset uns erst noch ein Weilchen westliche (und auch ein bischen chinesische) Civilisation unter uns selbst verbreiten und die Damenkleider einschränken.




Literarische Anzeige. Von dem mit reich wissenschaftlichem Geiste, deutscher Gründlichkeit und deutschem Fleiße bearbeiteten, sehr interessant gehaltenen culturhistorischen Werke: „Die Frauen“ von Gustav Klemm (rühmlichst bekanntem Culturhistoriker) ist soeben der fünfte Band (Dresden, Arnold) erschienen, und wird mit dem nächstbaldigst zu erwartenden sechsten Bande dieses Werk, welches eine fühlbare Lücke in der zeitherigen Culturgeschichte ausfüllt, beendet sein. – Der Zweck dieses werthvollen Buches besteht zunächst darin: durch sorgfältige Zusammenstellung der aus den Quellen geschöpften Thatsachen zu zeigen, welchen Einfluß das weibliche Geschlecht zu allen Zeiten und in allen Zonen auf die Entwicklung der menschlichen Cultur geübt hat und fortwährend noch übt. Wir erblicken daher im ersten Bande die Zustände der Frauen bei den passiven und activen Völkern außerhalb Europa. Alle übrigen Bände haben lediglich die Frauen Europa’s zum Gegenstande der Betrachtung, und werden hier die Frauen in Familienkreisen und in der Gesellschaft, ferner als Fürstinnen, Heldinnen, als Pflegerinnen der Religion, auf dem Gebiete der Kunst und des Wissens in einer überraschend reichen Fülle von Zügen aus dem sittlichen und geistigen Leben vorgeführt. So schließen sich denn diese sehr freundlich ausgestatteten sechs Bände gleichsam als weibliche Hälfte an des Verfassers bekanntes Hauptwerk: „Allgemeine Culturgeschichte der Menschheit“ (10 Bände. Leipzig, 1843 bis 1852) an und dürften sich einer gleich ehrenden Aufnahme von Seiten des Publicums und der Kritik zu erfreuen haben.

S. 




Durch alle Buchhandlungen zu beziehen:

Roßmäßler, E. A., Der Mensch im Spiegel der Natur. Fünf Bände mit vielen Holzschnitten. Preis à Band 1/2 Thlr.

Ernst Keil.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 636. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_636.jpg&oldid=- (Version vom 22.2.2021)