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verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Gesellschaft gewesen. Die Reise der „Austria“ verlies indeß ganz regelrecht, nur nicht so schnell, wie wohl manche frühere, denn das Schiff hatte fortwährend mit starken westlichen Winden zu kämpfen. Erst am 12. Septbr. war das Wetter günstiger und der Lauf der „Austria“ ein ungleich schnellerer. Am 13. September betrug die Schnelligkeit des Schiffes 11 Knoten die Stunde.

Es war Nachmittags 2 Uhr. Von den Passagieren lustwandelten, das schöne Wetter zu genießen, Viele auf Deck, andere hielten sich lesend in den Cajüten auf oder befanden sich im Rauchzimmer. Um diese Zeit pflegt sich der Capitain wohl in seine besondere Cajüte zurückzuziehen, wenn seine Gegenwart auf Deck nicht gerade durch besondere Umstände geboten ist. Zwei der Officiere haben dann die Wache und Aussicht an Bord (an genanntem Tage der zweite und dritte) und sehen zum Rechten. Große Schiffe, in derem Innern viele Menschen sich aufhalten, bedürfen auch dann sorgfältigster Auslüftung, wenn keine Krankheit unter den Passagieren herrscht. Schon damit die Gesundheit Aller erhalten bleibe, ist Lüftung oder, wo diese nicht genügend beschafft werden kann, Räucherung mit stark riechenden Stoffen unerläßlich. Zur Einführung frischer Luft in das Zwischendeck hat man zwar auf allen Schiffen Ventilatoren, aber auch durch diese strömt nicht immer eine hinreichende Menge von Luft zu. Die „Austria“ besaß zwei große Ventilationsröhre, links und rechts vom Schornsteine, dennoch mußte zur Verbesserung der Luft im Zwischendeck auf ihr, wie eben auf jedem andern Schiffe mit gleich vielen Passagieren, geräuchert werden. Der Capitain, menschenfreundlich und zuvorkommend gegen Jedermann, scheint überhaupt für Reinlichkeit am Bord die aufmerksamste Sorge getragen zu haben. Das Schiff ward nach Aussage eines Passagieres, welcher die Katastrophe seiner Vernichtung überlebt, täglich gescheuert und dann mit Essig geräuchert. Jeden Vormittag stieg der Capitain hinunter in’s Zwischendeck, um nachzusehen, ob auch Alles in Ordnung sei, und sich nach dem Befinden der Passagiere etc. zu erkundigen. „Er war die Leutseligkeit selbst und bezeigte“ – berichtet Johann Palicrusca aus Cattaro– „jedem Leidenden eine herzliche Theilnahme.“

An diesem unglücklichen dreizehnten September – könnte man nicht fast an das Ominöse zu glauben sich veranlaßt fühlen, das dieser Zahl von Alters her anhaftet? – war Befehl gegeben, das Zwischendeck mit Theer zu räuchern. Auch dies ist gebräuchlich, hat also nichts Auffälliges. Damit nun die Räucherung ungestört und mit erforderlicher Vorsicht in Angriff genommen werden kann, müssen alle Passagiere während derselben das Zwischendeck verlassen. Der größere Theil begibt sich auf das Deck, eine Anzahl hält sich wohl auch auf den Treppen und Gängen auf. Ordnungsmäßig soll die Räucherung unter Aufsicht wenigstens eines Officiers geschehen. Wir hören von sachverständigen Seeleuten, daß auch der Arzt oder der Chirurg dabei gegenwärtig ist und außerdem einige Matrosen. Daß an diesem Unglückstage die Räucherung nicht mit der dabei erforderlichen nöthigen Vorsicht geschehen sein muß, ist wohl kaum zu bezweifeln, oder alle Stimmen, die sich bis jetzt darüber vernehmen ließen, müßten Unwahres berichten. Ein Bootsmann mit einigen Matrosen – so lautet die Aussage Geretteter – stieg hinab in das Zwischendeck. Sie führten einen Eimer Theer und eine glühend gemachte Eisenstauge – Andere sagen, das Ende einer Kette – mit sich, um dies erhitzte Stück Eisen in den Theer zu tauchen und diesen so darauf verdampfen zu lassen. Jedenfalls war das Eisen zu heiß, der Theer entzündete sich und höchst wahrscheinlich bei dem Bemühen der zuspringenden Matrosen, den brennenden Eimer zu löschen, stürzte dieser um, die auflodernde Flüssigkeit ergoß sich nach allen Seiten hin und entzündete im Nu alles zunächst Brennbare. Ein paar Secunden noch und schon wirbelten schwarze Rauchsäulen, von hohen dunkelrotheu Lohen durchglüht, rund um den Schornstein und schlugen aus dem dritten Eingänge zum Zwischendeck auf’s obere Deck heraus. Dieser Eingang befand sich dicht an dem Verschlage, welcher das Zwischendeck von dem Maschinenraume trennt, wohin sich allem Vermuthen nach das Feuer sogleich Bahn brach. Von Rauch und Flammen umzingelt, verloren hier muthmaßlich Heizer und Maschinisten unmittelbar nach Ausbruch des Feuers ihr Leben. Nur der erste Befehl, die Maschine auf halbe Kraft zu setzen, wurde vernommen und vollzogen, jedem späteren konnte nicht mehr Folge geleistet werden, da er an die Ohren Erstickter schlug. So arbeitete denn die herrenlos gewordene Maschine wie ein schadenfroher Dämon weiter und jagte das unglückliche Schiff mit seinen dem Verderben geweihten Passagieren unter dem Sausen des Dampfes und dem Geheul prasselnder Flammen gerade dem Winde entgegen.

Auf Deck verursachte der entstehende Brand sogleich, die allgemeinste Verwirrung. Diese nahm in bedenklichster Weise zu, als man gewahrte, daß auch die befehlende Autorität, von dem Ungeheuern des Unglücks überwältigt, von Anfang an die Möglichkeit jeder Rettung zu bezweifeln schien. Alle Aussagen von Augenzeugen stimmen darin überein, daß mit dem Ausschlagen der Flamme aus dem Mitteldeck jede Leitung des Schiffes und sonach auch alle Ordnung aufhörte. Es läßt sich dies nur erklären aus dem reißenden Umsichgreifen der Flammen, die thatsächlich schon nach wenigen Minuten den ganzen mittleren Theil des Schiffes ergriffen und dieses selbst in zwei Hälften theilten. Die auf dem Quarterdeck Versammelten oder dahin sich Flüchtenden sahen nicht, was auf dem Vorderteil des Schiffes geschah, den hier Weilenden verhüllten die nachtschwarzen Rauchwolken mit ihren lohenden Feuerzungen den Jammer und das Entsetzen der Unglücklichen auf dem Hintercastell. Beim Ausblick dieser grauenhaften Bedrängniß war es wohl möglich, daß dem Capitain, der baarhäuptig aus seiner Cabine auf Deck stürzte, im Gefühl der ihn überwältigenden Ohnmacht die Worte entschlüpften: „Wir sind Alle verloren!

Es wollen diesen Verzweiflungsruf des Mannes, dem ja zunächst die Sorge oblag, die Passagiere zu retten, so Viele vernommen haben, daß wir ihn für wirklich gesprochen halten müssen. Nun stürzten sich, von den Flammen gehetzt, die jetzt schon Viele versengten, Andere erstickten, die Passagiere in ganzen Schwärmen auf die Rettungsboote, deren die „Austria“, wie schon erwähnt, acht führte, und zwar vier auf jeder Seite. Nur die Hälfte derselben war erreichbar, von den übrigen hielt die wehende Feuersäule Jeden fern. Die ungestüme Eile, die sich Aller bemächtigte und eine Beschwichtigung der entsetzten Menge völlig unmöglich machte, erschwerte den Officieren, denen auch der Capitain sich zugesellte, das Klarmachen der Boote. Keins derselben konnte ordnungsmäßig in die See hinabgelassen werden. Man schnitt die Taue durch und in die noch schwebenden Boote warfen sich die Passagiere massenhaft. Sie stürzten hinab in die Wogen, schlugen um und die Mehrzahl der darin Befindlichen ward ein Opfer der Wellen. Die Boote selbst aber mit Ausschluß eines einzigen, wie es scheint, geriethen in das Kielwasser des schnell fortsegelnden Schiffes, wurden von den Flügeln der Schraube erfaßt und zerschmettert. Zur Vergrößerung des ohnehin schon namenlosen Unglücks verlor gleich in den ersten Minuten nach dem Ausbruche des Feuers der Capitain das Leben. Ueber die Art, wie er zu Tode kam, gehen die Aussagen der Augenzeugen mehrfach auseinander. Einige lassen ihn beim Losmachen eines der Boote, von dem er die verzweifelte Menge abhalten wollte, ausgleiten und über Bord fallen; Andere meinen, er sei von dem nach Rettung schreienden Menschenknäuel über Bord gedrängt worden; Einer sogar, Charles Rosen aus Richmond, ein fünfzehnjähriger Jüngling, will ihn freiwillig über Bord haben springen sehen. [1]

  1. So eben geht uns eine Nummer der Times zu welche ein vom 14. Octbr. datirtes Schreiben der geretteten drei Officiere der „Austria“ nebst sechs von der Mannschaft an die Redaction genannten Blattes enthält. Darin sagen dieselben aus, der Capitain sei unmittelbar nach dem Rufe „Feuer“ auf der Brücke erschienen und habe Befehl gegeben. die Pumpen in Bewegung zu setzen. Diesem Befehle wurde ordnungsmäßig Folge geleistet, leider aber blieb er deshalb erfolglos, weil das Blei an den Pumpen durch das Feuer bereits geschmolzen war. Sie gaben kein Wasser und die Gluth ließ auch ein Arbeiten am Heerde des Feuers nicht lange zu. Eben so war es unmöglich, zu der Maschine zu gelangen, um diese zu sistiren. Innerhalb der ersten Viertelstunden brannten alle drei Decks vollständig. Da gab der Capitain Befehl die Boote herabzulassen.
    „Die Boote“, heißt es in diesem Schreiben, „waren vollkommen in Ordnung und so aufgehängt, daß sie in sehr kurzer Zeit herabgelassen werden konnten. Wir hatten eine regelmäßige Bootsordnung am Bord eingeführt, so daß jedem Einzelnen der Mannschaft sein bestimmtes Boot angewiesen war, das er in Nothfällen unter Befehl eines Officiers oder Bootsmannes zu bedienen hatte. Die Leute wurden durch die im höchsten Grade aufgeregten Passagiere, die bereits zu den Booten gestürzt waren, daran verhindert, zu den Booten zu gelangen. Wir versuchten, die Leute durch alle uns zu Geboote stehenden Mittel zurückzutreiben, jedoch vergeblich. Die vier Boote an der Steuerbordseite geriethen bald in Brand, da diese Seite den Flammen am meisten ausgesetzt war. Auf der Backbordseite wurden vier Boote herabgelassen, allein drei derselben wurden, ehe sie das Wasser erreichten, von den Passagieren, die sie überfüllten, zertrümmert, und nur eins der Boote konnte regelrecht flott gemacht werden. Nachdem der Capitain den Befehl ertheilt hatte, die Boote in’s Wasser zu lassen, haben wir ihn die Brücke herunterspringen, wahrscheinlich in der Absicht, die Passagiere in Ordnung zu halten. Als er auf’s Hinterdeck eilte, mußte er durch’s [635] Feuer hindurchlaufen, welches den vordern Theil des Schiffes bereits vom Schiffshintertheile trennte. Als er sich seinen Weg durch die Flammen bahnte, erhielt er bedeutende Verletzungen. Später sah ihn der erste Officier auf dem Backbord des Hintertheiles stehen. Wie es schien, war er durch die erlittenen Brandverletzungen betäubt. Einige Passagiere behaupten, sie hätten gesehen, wie er über Bord sprang.
    „Das einzige Boot, das das Wasser erreichte, ohne zerschellt zu werden, war eins der großen eisernen Rettungsboote. Es war zuerst, als es niedergelassen wurde, vollständig mit Menschen angefüllt; aber das Gewicht war so groß, daß viele von ihnen herausfielen, als das Boot das Wasser erreichte. Dreißig Menschen hielten sich in dem Boote, aber da das Boot voll Wasser geschlagen war, so kenterte es mehrere Male, wobei sieben Personen ertranken. Es blieben im Boote der erste Officier, sechs von der Mannschaft, ein Steward und funfzehn Passagiere. Um drei Uhr kam unser Boot von dem Dampfer los und wir blieben sofort zurück, da das Schiff vorwärts ging und wir nicht im Stande waren, das Boot zu handhaben, so daß wir bald vom Schiffe getrennt wurden. Wir gaben uns große Mühe, das Wasser aus dem Boote auszuschöpfen, kamen damit aber nicht eher zu Stande, als bis wir ein Floß aus den zum Boote gehörenden Rudern und Masten angefertigt und die Passagiere darauf gebracht hatten. Hierauf schöpften wir das Boot aus und nahmen dann die Passagiere wieder ein. Etwa eine Stunde, nachdem wir den Dampfer verlassen hatten, bekamen wir die französische Barke „Maurice“ in Sicht, ruderten auf dieselbe zu, erreichten sie um 8 Uhr und fanden bereits den dritten Officier und einige Passagiere am Bord.
    „Der zweite Officier wurde schwimmend von der „Maurice“ gegen 8½ Uhr auf[genom]men. Er war etwa um 2½ Uhr durch das Andrängen der Passagiere der „Austria“ über Bord gestoßen worden, als diese sich in sein Boot hineinstürzten und dasselbe zertrümmerten. Er hielt sich fast 6 Stunden lang durch Schwimmen über Wasser, ohne daß er irgend etwas gehabt hätte, an das er sich hätte festhalten können.
    „Der dritte Officier verließ den Dampfer um 5 Uhr. Er war auf Deck der „Austria“ geblieben, bis er sah, daß kein einziges Boot mehr vorhanden war, und wurde durch das Feuer über Bord getrieben. Er hielt sich an einem Taue außerhalb des Schiffes fest, bis um 5 Uhr die eisernen Platten des Schiffes roth wurden, worauf er in’s Wasser sprang. Er schwamm einige Zeit herum, fand dann einige Stücke Holz umhertreiben und hielt sich hieran über Wasser, bis er um 6½ Uhr, mit bedeutenden Brandwunden bedeckt, von dem französischen Boote aufgefischt wurde.
    „Als wir die „Austria“ verließen, waren drei Segel in Sicht, von denen einzig die französische Barke „Maurice“ herankam, um Hülfe zu leisten. Die „Maurice“ nahm 66 Personen an Bord, von denen 12 an Bord der nach Halifax bestimmten „Lotus“ übergeschifft wurden. Die Uebrigen wurden am 19. Septbr. auf Fayal an’s Land gesetzt, von wo aus die Passagiere sich an Bord des englischen Kriegsdampfers „Valorous“ nach New-York einschifften. Wir wurden von dem Londoner Dampfer „Ireland“ an Bord genommen, der uns auf unserer Rückreise nach Hamburg gestern in Gravesend an’s Land setzte.“
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