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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Auch war inmitten des Tumultes kein Augenblick günstig zu einer ruhigen Ueberlegung und nach der Flucht der königlichen Familie, von der sie kaum Abschied nehmen konnte, blieb die Herzogin gewissermaßen als der Spielball des Ehrgeizes einzelner Personen allein zurück. Dupin bestürmte sie, nach der Deputirtenkammer zu gehen, und bleich, zitternd vor Aufregung verließ sie das Schloß, gefolgt von mehreren Deputirten, ihren beiden Söhnen und dem Herzoge von Nemours.

Eben hatte sich die Deputirtenkammer in Permanenz erklärt, als die Herzogin in den Saal trat, an der einen Hand den bleichen König einer Stunde, an der anderen den kleinen Herzog von Chartres. Ihre bleichen Züge rötheten sich vor Hoffnung und Freude, als sie die Rufe: „Es lebe die Regentin!“ „Es lebe der Graf von Paris!“ begrüßten. Wie schnell sollte dies schwanke Gebäude königlicher Hoffnungen beim Andrange der revolutionairen Fluthen zerschellen! Kaum schien es, als wenn die Sache der Herzogin gewonnen sei, als mitten in dem Lärme der Debatten die Thüren des Sitzungssaales eingeschlagen wurden und eine aufgeregte Masse von Blousenmännern und Nationalgardisten zwischen die Sitze der Deputirten bis zur Tribüne hinfluthete. Kaum gelang es dem Herzog von Nemours und einigen Deputirten, die Herzogin mit ihren Kindern aus der gefährlichen Umzingelung zu befreien und auf eine Bank der Montagne zu führen.

Der Lärm wuchs; jedes Wort für die Regentschaft ward mit dem wilden Geschrei nach der Republik überdonnert; von der Tribüne herab fielen zwei Schüsse in das große Bild, welches Louis Philipp darstellte, wie er die Charte beschwört; schon fordert man die Einsetzung einer provisorischen Regierung und die Julikrone wankt auf dem schwachen Haupte des Grafen von Paris. Da bestürmen Crémieux und Girardin die Herzogin, auf die Rednerbühne zu steigen; man schreit um Ruhe, die Herzogin selbst erhebt sich und versucht zu sprechen – umsonst, Man vernimmt keins ihrer Worte und der Tumult wird drohender, denn je. Gebrochen mit allen ihren Hoffnungen und umwogt von einer wild erregten Volksmenge wankt endlich die Herzogin aus dem Saale. Im Gedränge verliert sie ihre Kinder und doch darf sie nicht eher nach ihnen fragen, als bis sie im Hotel des Präsidenten in Sicherheit ist. Erst nach angstvoll durchlebten Viertelstunden findet der Herzog von Nemours sie mit dem Grafen von Paris wieder; aber der Herzog von Chartres bleibt verschwunden. Zwei qualvolle Tage vergehen, bis auch dieser Sohn, in schlechten Kleidern, bleich und zitternd, ihr von einem Huissier zugebracht wird, kaum, wie der Graf von Paris, den Händen einer wilden Volksmenge entronnen.

Im Angesichte der Zustände am 26. Februar wäre es Thorheit gewesen, sich noch Hoffnungen auf Wiederherstellung des Thrones hinzugeben. Das Höchste war schnell verloren und noch war das Leben und die Freiheit zu retten. Am Abend des 26. Febr. beschloß man daher, Frankreich zu verlassen. Der Herzog von Nemours, bei seiner Unpopularität mehr als jeder Andere bedroht, übergab die unglückliche Fürstin mit ihren beiden, von Krankheit geschüttelten Kindern dem Herrn von Montesquieu, der sie in der Nacht noch nach Schloß Ligny, einige Meilen von Paris, und in den nächsten Tagen mit aller Vorsicht über Amiens, Lille und Brüssel nach Ems führte, wo die Herzogin zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit und der ihrer Kinder mehrere Wochen blieb, um dann das Asyl zu Eisenach zu beziehen, welches ihr der Großherzog von Sachsen-Weimar, ihr Oheim, überließ.

In dieser Einsamkeit des thüringischen Schlosses fuhr die Herzogin mit Eifer fort, die Erziehung ihrer Söhne zu leiten. Es war wohl schwer und heroisch, unter den Schlägen des Unglücks und an Hoffnungen arm das begonnene Werk zu vollenden und dem Erben der orleanischen Ansprüche seine Pflichten zu lehren. Folgte doch das Unglück noch bis in’s Exil! Louis Philipp starb in seinem Schlosse in England; ein neues despotisches Kaiserreich erstand und raubte der orleanischen Familie ihre Güter und ihr Vermögen, aus Dank dafür, daß der Bürgerkönig einst in politischer Unklugheit dem Rebellen von Straßburg und Boulogne das Leben schenkte. Selten ertrug aber eine Fürstin mit mehr Ergebenheit und sittlicher Größe das Unglück, mit dem ihr Leben erfüllt war; sie war die Wohlthäterin aller Armen und wohin sie kam, setzte sie sich Denkmale in die Herzen des Volkes; sie war geliebt, wie Wenige ihres Gleichen, verehrt von allen Parteien als eine Frau und Mutter im Schmuck seltenster Tugenden, geachtet von allen ihren Gegnern als ein edler und großherziger Charakter. Sie gab die Hoffnung auf die Zukunft nicht auf, durfte sie nicht aufgeben und blieb, trotz aller Anstrengungen ihrer Freunde, fest in dem Entschlusse, die Fusion mit den Legitimisten zu verweigern. Was konnte das Haus Orleans auch gewinnen, wenn es sich mit dem überlebten und verhaßten Reste des Bourbonenthums verschmolzen hätte? Die Bourbons haben keine Zukunft und noch heute haben sie Nichts gelernt und Nichts vergessen; aber das Haus Orleans darf sich rühmen, noch Liebe und Sympathien in und außerhalb Frankreich zu besitzen, die es dereinst auf den Thron zurückführen werden; die ganze intelligente Welt Frankreichs steht auf seiner Seite und das französische Volk ist sicherlich schon zu der Erkenntniß gekommen, daß es unter der Herrschaft der Orleans, wie viel politische Sünden sie auch begangen haben, doch am glücklichsten und freiesten gelebt hat.[1]

Früher, als es das Alter der Herzogin erwarten ließ, und schnell, als wollte der Tod das Opfer nicht quälen, verschied die schwergeprüfte Fürstin am 18. Mai dieses Jahres in Camborne-House in Richmond, wohin sie, wie manches Jahr, sich begeben hatte. Welchen Eindruck ihr Tod hervorrief, wissen noch Alle; so viel Schmerz und Klage, so viel Trauer und Thränen folgten sicherlich selten einer Fürstin ohne Thron und Reich, deren Weisheit und Hochsinnigkeit sich noch in dem Testamente documentirte, welches unlängst veröffentlicht wurde. Am 22. Mai wurden ihre sterblichen Ueberreste in der katholischen Capelle zu Weybridge, wo auch Louis Philipp und die Herzogin von Nemours ihre Gräber haben, beigesetzt. Schmidt-Weißenfels.




Meine liebsten Hausheilmittel.
Frischer Talg.
(Fortsetzung.)

In jedem Lebensalter, für jeden Theil und bei den mannichfachsten Affectionen an der Oberfläche unseres Körpers ist, wie schon früher erwähnt wurde (Gartenl. 1858. Nr. 41.), der frische Talg ein linderndes und heilendes, kurz ein prächtiges Heilmittel. Nur muß man von demselben nicht schon nach einmaligem Aufstreichen Wunder sehen wollen. Denn das ist so die Mode hei Kranken mit langwierigen Uebeln (zumal der Haut), daß sie nach dem erfolglosen Gebrauche der verschiedensten Arzneimittel, Bäder, Aerzte und Charlatane vom Talge, wie überhaupt von naturgemäßen Heilstoffen und diätetischen Verfahren den Erfolg in Tagen erwarten, der von jenen in Jahren nicht erzielt werden konnte. Es scheint überhaupt, als ob mit der täglichen Zunahme der Charlatanerie, trotz der wachsenden Bildung des Volkes, die Ansprüche der Patienten an den Arzt und die Arznei immer unverständiger und unverschämter würden. Obstructioner, die sich Jahre lang durch Morison’sche und Strahl’sche Pillen gewaltsam bestuhlt haben, wollen die von jenen nichtsnutzigen Abführmitteln erzeugte Magenschleimhaut-Verdickung und krebsähnliche Verhärtung, sowie die lähmungsartige Schwäche des Darmes, überhaupt die ruinirte Verdauung, in wenig Wochen, ohne aber das nöthige Verhalten zu beobachten, durch ein Magenmittel geheilt wissen. Kaltwasser-Fanatiker, die in ihrer durch Kälte bewirkten Nervenerregung, wie sie auch bei Angetrunkenen in Folge der Weingeistwirkung besteht, eine Weile über ihr außerordentliches Wohlsein jubelten, und nichts lieber als Kaltwasser-Proselyten machten, möchten später, aber wo möglich neben dem Fortbetreiben der Kaltwasserwirthschaft, ihre durch die Kälte überreizten und dadurch geschwächten Nerven, sowie ihr widernatürlich reizbares Gehirn in kurzer Zeit durch Arznei wieder gestärkt sehen. Kaltfieberkranke, die monatelang

  1. Man erzählt, daß bei der Discussion des Gesetzes über die allgemeine Sicherheit der Kaiser nach Durchlesung des Morny’schen Berichtes ausgerufen habe: „Man sieht sehr gut aus diesem Berichte, daß es in Frankreich Legitimisten gibt; man sieht, daß es Orleanisten gibt; man sieht sogar, daß es Republikaner gibt; aber man sieht nicht, daß es einen einzigen Bonapartisten gibt!“ Der Kaiser würde sich vielleicht treffender ausgedrückt haben, wenn er gesagt hätte: „es gibt keinen Bonapartisten mehr!“
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 626. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_626.jpg&oldid=- (Version vom 19.12.2020)