Seite:Die Gartenlaube (1858) 625.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Helene, Herzogin von Orleans.

Tisch. Die Kinder des Königs hatten überdies ein seltsames Lexikon für die Bezeichnung der Herren Minister und Räthe Ihrer Majestät; so nannten sie Herrn Guizot den Schulfuchs, den Ministerconseil die kleinen Thiere, die Deputirtenkammer den Club, den Herzog von Nemours Than, Joinville den Hadji, den König Papa Oliban, und Andere waren mit Einfaltspinsel, Naseweis, Schleicher u. s. w. gekennzeichnet. Waren sie des Abends freilich unter den Augen der Königin, so verstanden Alle kein Wort von Politik und die Prinzessinnen stickten mit erstaunlicher Emsigkeit.

Von dieser Hausregel war nur die Herzogin von Orleans ausgenommen, die des Abends öfters Arm in Arm mit dem Könige den Salon durchschritt und von Politik sprach. Ihr war von Allen ein ganz selbstständiges Leben gestattet und dies verfloß in einer so ruhigen, der Pflichterfüllung gewidmeten Weise, wie keins von denen der übrigen Prinzessinnen.

Plötzlich brach der Sturm, den die königliche Familie in ihrer Sorglosigkeit nicht sah und sehen wollte, los. Ganz Paris stand am 22. Februar 1848 auf und das Volk machte seine Schlüsse aus dem Testamente des Herzogs von Orleans und sang, wie Joinville, allons enfants de la patrie! In den Tuilerien kam man zur Erkenntniß, als die Schüsse des Volkes dicht unter den Fenstern erdröhnten, und noch mehr, als man die Minister in Aengsten, die Generäle kühl, die Polizei betäubt sah, als die Undankbarkeit halb den Rücken wandte und die Feigheit den sonst geschmeichelten König seinem Schicksale überließ. Zwei Tage vergingen in dieser peinlichen Situation. Am 21. Febr. Mittags drangen unbekannte Personen in das Schloß und der Herzog von Montpensier, Emil Girardin und Crémieux drangen hastig in den alten König, seine Abdankung zu unterschreiben. Man wollte die Herzogin von Orleans zur Regentin für den Grafen von Paris ernennen lassen und Emil Girardin besonders, der sich bereits Minister dünkte, drang in die Herzogin, diese Stellung anzunehmen. In der That zeigte sich diese bereit und vergaß, im Angesicht der Gefahr, für einen Augenblick die testamentarische Verfügung ihres Gatten, welche ihr die Ablehnung einer solchen Stellung zur Pflicht gemacht hatte.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 625. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_625.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)