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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Gegen keine dieser Verbindungen deutscher Prinzessinnen scheint aber das Schicksal mehr Protest eingelegt zu haben, als gegen die mit den Fürsten von Frankreich. Die Vermischung deutschen und französischen Blutes gebar immer Verderben, und mit einer merkwürdigen Consequenz folgte ihr stets Unglück, Tod und Trauer. Die drei Herrscherfamilien Frankreichs verloren den Thron, sobald sie deutschen Prinzessinnen sich anvermählten: Marie Antoinette war das Grab der Bourbons, Marie Louise der Sturz Napoleon’s, Helene von Mecklenburg war die Zeugin des orleanistischen Untergangs. Sollte der Himmel wirklich Zeichen des Zornes geben, wenn die menschlichen Handlungen die Natur der Geschlechter zu verfälschen drohen? Fast möchte man es glauben, wenn man der bösen Omina gedenkt, unter denen alle drei jener deutschen Herzoginnen ihre Vermählung mit dem französischen Blute feierten. Als Marie Antoinette sich mit Ludwig XVI. am 16. Mai 1770 im Alter von funfzehn Jahren vermählte, deckte das Firmament ein schwarzer, Alles verfinsternder Schleier, furchtbare Donnerschläge waren die Festmusik der Natur, leuchtende Blitze die Hochzeitsfackeln, der Regen die Thränen des Himmels. Und als die Stadt Paris einige Tage darauf ein prachtvolles Volksfest gab, kamen durch den Einsturz eines Gerüstes und durch Gedränge 1200 Menschen um. Als zur Verherrlichung der Heirath der Erzherzogin Marie Louise mit Napoleon, im Jahre 1810, der österreichische Gesandte, Fürst Karl Schwarzenberg, eine glänzende Soirée gab, bei der auch der Kaiser mit seiner neuen Gemahlin anwesend war, stand plötzlich der ganze Saal in Flammen, und Hunderte der edelsten Damen und Herren verbrannten oder wurden durch das herabstürzende Gebälk erschlagen oder schwer verletzt. Kaum daß Napoleon selbst dem furchtbaren Geschick entging. Und so wie bei jenen beiden Herrscherhäusern, so kam das Unglück auch beim dritten, das Frankreich erhielt, zu Gaste, als es den Erben des Reiches, den Herzog von Orleans, am 30. Mai 1837 mit Helene Louise Elisabeth von Mecklenburg vermählte: beim Gedränge des Volksfestes auf dem Marsfelde fanden nahe an hundert Menschen ihren Tod.

Dennoch gab es wohl Wenige, welche die Zukunft der Herzogin von Orleans und des Hauses, dem sie sich vermählte, in fatalistischem Sinne vorhersagten. Alles schien sich zu vereinigen, diese Ehe zu einer der glücklichsten, das Schicksal der deutschen Prinzessin zu einem beneidenswerthen zu machen. Die Tochter des Erbgroßherzogs Friedrich Ludwig von Mecklenburg-Schwerin und die Enkelin des braven deutschen Karl August von Sachsen-Weimar besaß in seltener Vollkommenheit alle Vorzüge und Tugenden einer deutschen Frau, um wohl dem Ideal zu entsprechen, welches die Franzosen sich gern von den Prinzessinnen des protestantischen, in Märchendunkel gehüllten Deutschland machen.

Sie stand in der Blüthe einer dreiundzwanzigjährigen Schönheit, ihr reiches blondes Haar umwölbte wie ein goldener Kranz die Stirn, in der Bläue ihrer Augen wiegte Sanftmuth sich mit Stolz, Gefühl mit Klugheit, Edelsinn mit Festigkeit des Charakters; die Größe und Grazie ihrer Gestalt, die Anmuth ihrer Bewegungen, der einfache und bestimmte Charakter harmonirten vollkommen mit der ritterlichen Erscheinung des Herzogs von Orleans, des besten Gatten und Erben des schönsten Thrones. Wer sie damals in einfach weißem Kleide, mit dem schlichten Strohhut auf dem Kopfe, auf den Bergen Jena’s und im Park von Belvedere bei Weimar botanisiren sah, wird die durch und durch hochpoetische Erscheinung nie vergessen können. Wer hätte Unglück und Ungemach voraussehen wollen, da die Wahl des populärsten französischen Prinzen auf eine so würdige Person gefallen war? Selbst die Herzogin von Orleans, deren Wiege vom Geschick zwischen die Gräber ihrer Mutter, ihres Vaters, ihres Bruders gestellt ward, und deren Sinn sich gern dem romantischen Zauber der Melancholie überließ, lächelte sorgenlos ihrer Zukunft, die ihr den Thron von Frankreich bestimmte, entgegen. Der protestantischen und ihren Glauben bewahrenden Herzogin begegnete in ganz Frankreich wohl nur eine Mißgünstige, und das war die katholische Königin Marie Amalie, eine strenge, hartherzige, das droit divin der illegitimen Familie Orleans vertretende Frau, eine Tochter Ferdinand’s I. von Neapel, der erste Minister Louis Philipp’s, Katholikin im Sinne der Ligue, welche in der neuen Thronfolgerin stets eine gefährliche, populäre Hugenottin erblickte.

Man weiß, welche officielle Bedeutung der Geburt von Kronprinzen beigelegt wird. Ehe diese Bedingung Seitens der jungen Kronprinzessinen erfüllt ist, haben sie sich keines Einflusses und Ansehens im Staatsleben zu schmeicheln, und schwerer straft das Geschick die weibliche Unfruchtbarkeit nirgends, verzweifelter vernimmt kein Gatte die unaufhörlichen Geburten von Töchtern, als bei diesen Frauen auf der ersten Stufe der Throne. Ihr Unglück beginnt, wenn der Segen des Himmels ausbleibt, und dem Lande der junge Erbprinz und die bekannten 101 Kanonenschüsse fehlen. Aber umgekehrt wird auch nirgends die Stellung der Frau mehr erhöht. Mit dem Beweis, daß die Nachkommenschaft einer glücklichen Natur anvertraut ist, steigt die Autorität der Mutter, und sie wird eine politische Person von höchster Bedeutung. So konnte unter den damaligen Umständen in Frankreich die Herzogin von Orleans der königlichen Familie keinen höheren Dienst leisten, als durch die Geburt des Grafen von Paris, am 24. August 1838, und durch die des Herzogs von Chartres, im Jahre 1840. Seit diesen Ereignissen, welche der glücklichen Ehe die Weihe gaben, war die Herzogin von Orleans eine Autorität der Familie; ihr Gemahl war auf dem Gipfel seiner Wünsche, die Nation verehrte in ihr das Muster der Frau und Mutter, und das stolze Bewußtsein, die Erben Frankreichs zu Kindern zu haben, gab der Herzogin jene Festigkeit und Sicherheit, mit der sie der Königin und oft auch der Prinzessin Clementine entgegentrat.

Diese Tage des Glückes und der Zufriedenheit wurden nur zu schnell durch ein tragisches Ereigniß abgekürzt, welches das memento mori der Julidynastie sein sollte. Am 13. Juli 1842 zerschmetterte sich der Herzog von Orleans, indem er aus dem von den wildgewordenen Pferden fortgerissenen Wagen sprang, auf dem Steinpflaster der Chaussee la Revolte das Haupt. Der Stolz des Landes, der Erbe des Reiches, das Glück und der Genius der Orleans war damit vernichtet, und von nun gab es gegen das immer drohender sich aufthürmende Unwetter am französischen Horizont keinen schützenden Ableiter mehr für die sorglose Königsfamilie. Louis Philipp, der sehr materialistische Grundsätze hatte, hielt es überdies für eine Schwäche, in diesem Unglück eine Warnung des Himmels zu sehen. Er war so sehr überzeugt von seiner Nothwendigkeit für Frankreich, von der Weisheit seiner Politik und der bekannten Rolle der Vorsehung, die er spielte, daß er an einen Sturz seines Reiches nicht im Traume dachte. Die Königin ihrerseits verstand sich besser auf das Verständniß der Himmelszeichen; sie sah in diesem gräßlichen Tode ihres ältesten Sohnes nur eine Art göttlicher Strafe für die Vermählung mit einer Protestantin.

Die Herzogin ihrerseits fiel durch den jähen Tod ihres Gemahls, der das Glück ihres Lebens gewesen war, in eine Melancholie und Resignirtheit, die ihrem Charakter entsprach und der sie düstere, aber auch für sie trostreiche Reize abzugewinnen wußte. Die Standhaftigkeit, mit der sie den großen Schmerz ertrug, die Strenge und Würde, mit der sie der Wittwenschaft und der Erziehung ihrer Söhne sich hingab, verklärte sie in den Augen des Volkes, und umhüllte sie mit jenem Duft der Tugenden, der noch ihr Grab umgab. Sie lebte sehr einzogen im Pavillon Marsan, im Cultus der Trauer um den verblichenen Gatten, dessen Andenken sie pflegte, und in dem Eifer für die Erziehung ihrer Söhne, denen sie die ritterlichen Eigenschaften und die Grundsätze ihres Vaters einzuflößen suchte. Ihr Trost bestand darin, das Zimmer des Herzogs unversehrt zu erhalten, tagtäglich hineinzugehen, sich auf den Sessel zu setzen, der ihm einst gehörte, von ihm zu träumen und um ihn zu weinen. Mit erneutem Schmerze verließ sie dann diese Stätte, um zu den Abendcirkeln der königlichen Familie zu gehen.

Das Familienleben Louis Philipp’s war in seiner Art merkwürdig. Der König sowohl wie die Königin spielten darin Despotenrollen und quälten die Prinzen und Prinzessinnen weidlich mit ihrer philiströsen Anschauung und der von Auerbach gut gezeichneten Lust am „Befehlerlesspielen“. Aber selbst das königliche Blut gefiel sich im Oppositionmachen und suchte dem Herrn Papa und der strengen Mama Nasen zu drehen, besonders was die Politik betraf; denn außer den Eltern war die ganze königliche Familie durchaus revolutionär. Der Herzog von Orleans z. B. hatte in seinem Testamente, in dem er die Erziehung seiner Kinder vorzeichnete, ausdrücklich angeordnet, daß der Graf von Paris „ein leidenschaftlicher Diener Frankreichs und der Revolution“ sein und sich „dem Triumph der neuen socialen Ideen“ widmen solle, um, „wenn nicht der Apostel dieser Sache, so doch ihr Märtyrer zu werden“! Noch schlimmer spielte der Prinz von Joinville mit dem Feuer: er sang nicht allein die Marseillaise, sondern schnitt den Text davon auch in seinen

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