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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

kommen. Dasselbe gilt von den Scharben, und zwar von dem Kormoran und der gehäubten Scharbe.

Mit ihnen ist die Liste der schädlichen Vögel geschlossen; denn die wenigen, welche noch Schaden bringen, sind entweder so klein (wie der Eisvogel), daß der Schaden ein kaum zu beachtender ist, oder sie wiegen den Schaden durch ihren Nutzen auf, wie die Saatgans. Zu letzteren haben wir überhaupt noch manche andere zu zählen, welche leider noch immer als schädliche Vögel aufgezählt werden, weil ihre Verdienste im Stillen bleiben.

Wer hätte nicht schon unsern Hausperling verdammen hören! O, der ist ein Spitzbube, ein Erzdieb, Schelm, Schurke! – anderer übler Nachreden, namentlich hinsichtlich seiner in der That etwas stürmischen Liebeserklärungen, gar nicht zu gedenken! Armer Sperling! Wer hat wohl jemals deine Verdienste anerkannt?! Die Körner, welche Du aus den Aehren des Getreides stiehlst – und stehlen mußt Du, weil dir die Menschen sonst dein Brod vor der Nase wegnehmen, – hat man gezählt, geschätzt und überschätzt, die Kirschen, welche du dir schmecken ließest, die Weintrauben, von denen du dir deinen Zehnten nahmst, gewiß alle in dein Schuldbuch eingetragen; aber wer hat jemals dir zu Gunsten gesprochen? Höchstens dann und wann ein lustiger Kauz, ein Philosoph, dem dein weltgerechtes Wesen und Leben die verdiente Bewunderung entlockte, – weiter Niemand! Ich aber habe dich lieb gewonnen, alter, getreuer Hausfreund, trefflicher Menschenkenner, kluger Gesell! Drum will ich dein Anwalt sein. Mein geneigter Leser mag mir verzeihen, wenn ich bei dem Sperling noch einen Augenblick verweile.

Der Haussperling ist ganz gewiß eine Zeit lang im Jahre schädlich; aber wie lange währt diese Zeit? Kaum zwei Monate! So lange die Kirschen, Trauben und Getreidearten reifen – länger nicht! Wenn er im Winter auf die Kornspeicher fliegt, und sich von dort seinen Bedarf holt, ist es eben blos die Schuld des nachlässigen Besitzers, welcher den Speicher nicht verschloß; deshalb darf dieses ihm gar nicht zur Last gelegt werden. Wegen der wenigen Kirschen und Weinbeeren aber, welche er verzehrt, würde man vielleicht kein so großes Geschrei erheben, wenn man bedenken wollte, daß jeder Arbeiter seines Lohnes werth ist. Und der Sperling ist ein solcher Arbeiter. Auf jede Kirsche, welche er sich zum Lohne erbittet, kommen ganz gewiß hundert Insecten, die er von demselben Baume im Laufe des Jahres ablas; wenn man die Eier rechnen wollte, vielleicht tausend. So ist es auch bei den Trauben; und nur beim Getreide tritt ein anderes Verhältniß ein: er macht sich eben am Getreide für das bezahlt, was er den Gartenpflanzen und anderen Früchten genützt hat. Das, denke ich, ist doch recht und ehrlich gehandelt! Kurz, der Sperling ist eben so nützlich als schädlich; warum ihn also rücksichtslos verdammen und verfolgen?! Er hat außerdem Feinde genug.

So gibt es noch mehrere Vögel, deren Nutzen mit dem Schaden gleich ist; man thut gewiß wohl, auch diese zu schonen. –

(Zweiter Artikel in nächster Nummer.)




Die Hauptstadt des himmlischen Reiches.

Wir haben die Chinesen bis jetzt größtentheils durch Engländer kennen gelernt, durch Engländer, welche durch die auswärtige, chinesische Politik innere, parlamentarische Politik machten. Cobden stürzte den Premier Palmerston über dessen chinesische Politik. Palmerston „appellirte an das Land“ und bekam eine glänzende Majorität. Aber wie?

Vor und während der Wahlen trat der chinesische Bäcker Allum auf, der auf Befehl des Gouverneurs Yeh von Canton – des Erzfeindes der Engländer – diesen vergiftetes Brod gebacken, Alles gestanden hatte und zum Tode verurtheilt, item auch erschossen worden war. Vor und nach den Wahlen hatte Yeh 175,000 Menschen köpfen lassen u. s. w. Nichts erschien sonach nothwendiger, christlicher, verdienstlicher, als Canton zu bombardiren und große Löcher nach China hineinschießen zu lassen, just wie es auf Palmerston’s Geheiß geschehen war. Dieser bekam also die glänzendste Majorität. Hinterher freilich – aber hinterher – kam’s heraus, daß der Bäcker Allum nicht gestanden, nicht verurtheilt, nicht erschossen, nicht Brod vergiftet, kurz nichts von alledem gethan, was ihm zu Gunsten Palmerston’s aufgebürdet worden war. Selbst englische Geschworne hatten ihn freigesprochen, obgleich der von Palmerston nach China geschickte Staatsanwalt Anstey in seiner Anklage die Geschwornen himmelhoch gebeten, sie möchten den Bäcker Allum verurtheilen, obgleich er unschuldig sei, weil dessen Freisprechung wie Feigheit u. s. w. erscheinen könne. Auch das Scheusal Yeh verwandelte sich bei näherer Besichtigung und persönlicher Bekanntschaft (die Engländer nahmen ihn ja gefangen) in einen äußerst genialen und großen staatsmännischen Charakter. Diese politisch gefärbten, erlogenen, im besten Falle blos von Canton abgeleiteten Darstellungen der Chinesen wurden den englischen Zeitungen von deutschen, französischen u. s. w. nachgebetet und Palmerston demgemäß in allen Sprachen gepriesen.

Der ehrliche Gützlaff, der nach einem dreißigjährigen persönlichen Leben und Studium in China vor etwa einem Jahrzehente nach Deutschland kam und die Chinesen nach einem dreißigjährigen Leben mit ihnen beinahe in den Himmel erhob, war und ist vergessen. Eben so ging’s dem braven Le Huc, der China und die Chinesen aus dem Innersten heraus kennen gelernt hatte und darstellte. Er war allein und einzig durch das ganze Innere von China gewandert, bis nach Tibet hinauf. Aber, kann man einwenden, auch richtige Darstellungen der Engländer stimmen darin überein, daß die Cantonesen eine schauderhafte Bande seien u. s. w., die Chinesen also Barbaren und Hallunken.

Richtig. Die Cantonesen sind Summa Summarum der liederliche Auswurf China’s. Alle Genies, Taugenichtse, Hals- und Beutelschneider, See- und Landräuber und die professionelle weibliche Demoralisation scheint sich von ganz China her in Canton zusammenzufinden. Die Gondeln der Prostitution, die Messerverschlucker und Jongleurs, die dem Schwerte und Galgen entlaufenen gröbsten Verbrecher, die Roués und Bonvivants, der Bodensatz von Schmugglern, Matrosen und Seeräubern haben ihren Brennpunkt, ihre Hauptstadt, ihre Waarenlager in Canton, welches daher von allen übrigen Chinesen scharf gehaßt wird. Auch versteht man nun den Yeh besser, diesen massiven, chinesischen Jupiterkopf, der das Amt übernommen hatte, diese Residenz aller Taugenichtse, Verbrecher und liederlichen Genies zu regieren.

Wir sehen schon, daß Canton nicht China ist. Im Gegentheil, China nach Canton zu beurtheilen, wäre viel schlimmer, als ganz Deutschland nach den gemüthlichen Wienern, oder nach den spitzigen Berlinern, oder nach den hyperökonomischen Frankfurtern oder nach den groben Hanauern.

Auch dann lernen wir die Chinesen, die nicht zu Canton gehören, noch durchaus nicht kennen, wenn wir sie nach ihrem Benehmen gegen die Engländer der Palmerston’schen Politik beurtheilen. Als die Engländer opiumkriegerisch zum ersten Male in das Innere China’s eindrangen, machten sich anständige Familien thatsächlich tausendweise selbst todt, nur, um nicht in die Hände der „rothborstigen Barbaren“ zu fallen (Vergl. die furchtbaren Gemälde Gützlaff’s aus dessen eigener Anschauung). Jetzt suchen Chinesen, wenigstens Cantonesen, die Engländer tausendweise todt zu machen, so daß der glänzende Friedens-Vertrag, der ihnen ganz China eröffnet, vielleicht ganz China grimmiger verschließt, als je. Wenigstens darf es so bald kein Engländer wagen, sich als Freund unter den Chinesen zu zeigen. Gegen andere Fremde sind sie bekanntlich übertrieben höflich und liebenswürdig.

Doch enfin, sie sind doch nun in Peking, wo die Russen, beiläufig gesagt, längst diplomatisch stark vertreten waren, um sich und ihren blühenden russisch-chinesischen Handel zu schützen, ohne daß sie vorher bombardirt und Opiumkriege geführt hatten, so daß sie nun auch – wegen des Contrastes, den die Engländer bilden, stärker in Peking sind, als je.

Sehen wir uns die Hauptstadt des himmlischen Reiches etwas näher an, in welchem beinahe ein volles Drittheil der ganzen lebenden Menschheit wohnt, die Compaß, Buchdruckerkunst und sogar das Pulver erfunden hatten, als die Europäer noch die Kunst studirten, auf Bärenhäuten zu schlafen.

Peking breitet sich in der Mitte eines sehr fruchtbaren, überaus

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 617. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_617.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)