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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Sehen Sie jetzt das Thürmlein und Kirchlein ragen? Legen Sie im Geiste die Todten zusammen, die dort, nur dort und gerade an jenen Mauern fielen, so überstarren die bleichen Gesichter weit die Giebel! Ja, so ist’s buchstäblich! –

Nur noch wenige Schritte und die Straße bringt mich zwischen Dorf und Kirche. Letztere steht quer außer derselben zwischen Pfarr- und Kirchhof, und im Gesammt lugen sie wie Neugierige in die lange Dorfzeile hinab. Ich bin nun vier gute Stunden gegangen, links öffnet sich mir das Dorf, rechts steht die Kirche und davor zu meinem ersten Anblicke der Löwe, den ein Verein wackerer Männer im heurigen Frühlinge daselbst aufgerichtet. Ich lese seine Inschrift, sie lautet:

 Dem Andenken der am 21. u. 22. Mai 1809
 Ruhmvoll gefallenen österreichischen Krieger.

Ich lasse mich an der Stufe nieder. Der Tag ist heiß, die Wolken ziehen am Firmamente in dichten, schattigen Gruppen, die nur zuweile lichte Risse zeigen und in der Ferne fast auf der Ebene lagern.

Ach, sehen Sie dert die Sonne mit ihrem gedämpften, durchkämpfenden Schimmer! Machen wir sie zur halbentfalteten Morgensonne; die Wolken beleben sich, die Bäume rauschen geheimnißvoll – es ist Pfingsten, der grünste, üppigste, duftigste Pfingstsonntag! Erzherzog Karl, der Feldmarschall, ist vor wenigen Wochen in’s Reich eingerückt, die Deutschen zur Befreiung auffordernd – sie schwiegen –; blutige Siege und Verluste haben für beide Theile den Erfolg zweifelhaft gemacht; am 12. April fliegt der „Herr der Heerschaaren“, der „Führer der Führer“ von Paris herbei, bis am 20. will er gesiegt und mit Oesterreich ganz Deutschland zu den Füßen haben. – Landshut und Eckmühl! – Am 10. Mai langt er vor Wien an, das ohne Schwertstreich am 12. fällt, am 13. zieht er ein, am 17. erklärt er von da aus die Weltherrschaft des heiligen Stuhles aufgehoben, er stößt ihn um, und wie kein heiliges römisch-deutsches Reich, gibt es kein heiliges, nur ein napoleonisch-kaiserliches Rom! – Aber Wien ist nicht Oesterreich und nicht Deutschland; Erzherzog Karl’s Roß stampft noch den heimischen Boden, und er überschreitet, von Böhmen kommend, die Donau. Napoleon hat dies Ziel unterhalb Wien noch nicht erreicht, er wählt die inselunterbrochene Donau bei Ebersdorf, deren jenseitiges Ufer von einem Walde, die Lobau, bekränzt ist, dafür. Auf dem Marchfelde sollen Beide gegenüberstehen; nein, die rauschende Donau am Marchfelde soll das Grab der Feinde und die Scheidelinie für jetzt wenigstens sein, denn hier geht der Weg nach Ungarn, und die Sirene Napoleonischer Proclamationen lockt den ganzen Osten in’s glänzende, berauschende Verderben!

An der einen Seite des Marchfeldes, die Lobau bekränzend und in einem Bogen: Aspern, Eßlingen, Enzersdorf; gerade gegenüber im Felde: Bisamberg, Gerasdorf, Wagram. Hier Karl, dort Napoleon.

Die Sonne des 21. Maimorgens, des ersten heiligen Pfingsttages, bricht an – sehen Sie dort die dunklen Wolken sich theilen? Das sind fünf Colonen, die sich aus dem österreichischen Heere formiren; gleichzeitig nach einem Glockenschlage bewegen sich die Colonnen, dehnen sie sich wie Lindwürmer, wie riesige Schlangenleiber stumm und gewaltig heran! Die schwarze Wolkenmasse über meinem Haupte, wo ich jetzt bin, an dem Löwen und der Kirche, wird vielleicht so gut sein, ein wenig auszuharren, denn gerade da, auf demselben Punkte, steht Massena, Lannes; die Furchtbaren haben den Auftrag, zu sterben, aber nicht zu weichen! – Die Oesterreicher sind an Zahl kleiner, wie die Feinde, aber sie bringen auch 300 Feuerschlünde.

Furchtbar ist es, wie die Colonnen anrücken. An der Spitze der zweiten ist Erzherzog Karl, die Kanonen donnern, die weit zahlreichern des Feindes (120,000 gegen 75,000) entgegnen. Furchtbar mäht der Tod in dem braven Fußvolke Oesterreichs; es wankt vor Massena’s Gegenstoße – die Kugelsaat des Feindes überdeckt es, bevor die Geschütze Zeit zum Laden haben – die Flanke ist entblößt, das Centrum kann durchbrochen und die Armee in zwei Theile getrennt werden – schon wendet die Fronte, die Kanonen protzen auf und eilen zurück – aus der Au brechen zudem Napoleon’s verborgene „eiserne Männer“ hervor, die schwarzen und glänzenden unheimlichen Gestalten zu Rosse, die mit Helmen, langen Schwertern und schauerlichem Gerassel einer Sage der mittelalterlichen Vorzeit gleichen. – Da sprengt ein Mann zur gefährdetsten Stelle, zu den fliehenden Oesterreichern, er heißt Karl.

Halt!

Alles steht wie elektrisch getroffen und festgewurzelt! Der rasselnde Tod Napoleon’s sprengt wild heraus zum letzten vertilgenden Einhauen auf die Massen, welche im Fliehen waren – er raset vor, die Oesterreicher stehen und sehen ihm entgegen; er mäßigt den rasenden Lauf – die Oesterreicher stehen, er ist schon heran auf vierzig Schritte – die Oesterreicher stehen, und die Todesfeinde messen sich Mann für Mann – da ergreift die kühnen, schwarzen, eisenbedeckten Reiter Entsetzen, unwillkürlich zucken ihre Finger am Zügel, die Rosse halten an. – Es ist eine Pause des Entsetzens und der Ehrfurcht, der Wuth und der Demuth, der Todesangst und Lebenslust an solchen Männern! – Die Oesterreicher stehen.

„Ergebt Euch!“ rufen endlich französische Officiere, „streckt die Waffen!“

„Holt sie Euch!“ ist die Antwort.

Kein Schuß fällt auf dieser Seite, wenn nicht ein Finger unversehens das Schloß rührt. – Auf französischer Seite dröhnt es: „en avant!“ die Pferde bäumen vor dem starren regungslosen Gegenüber, die schwarzen Reiter kommen tosend heran bis auf funfzehn Schritte, Aug’ sieht in Auge – „Feuer!“ commandirt Karl nun und wie mit einem Schlage blitzt’s durch alle Reihen! Die Franzosenpferde bäumen sich und überschlagen mit den schwarzen Reitern, ganze Reihen reißt es in den Sand, die schwarzen Panzermänner gerathen in Unordnung, sie werden ein wirrer, fliehender, bäumender und sinkender Knäuel. Die österreichische Infanterie in sie hinein, der blutende Rest flieht bald in die Aue zurück – Napoleon’s schwere Cavallerie ist gewesen!

Sehen Sie das Kirchlein da mit seinen niederen Kirchhofsmauern? In dieser Kirche dröhnten hundert Gewehrläufe als seltsame Orgelpfeifen und stimmten die Kanonen „dies irae“ im gewaltigsten Basse an. Dieser Kirchhof hat mehr Leichen auf einmal beherbergt, als je vielleicht einer der Erde. Diese schwachen Bollwerke waren weltbedeutende Festung, hier weinten ergraute Krieger Frankreichs vor Wuth und Leid, hier knirschten der wilde Massena, der kühne Lannes – elf Mal an einem Tage ward der Fleck gestürmt, erobert und verloren, lag Mann an Mann, die Brust zerfleischend, eine wilde, wirre Masse, jeder Stuhl, jeder Pflug, jedes Grabkreuz ward zum Bollwerke, unter flammenden und stürzenden Trümmern brach man sich durch das Dorf in die Kirche, von der Kirche in das Dorf Bahn zur Flucht und zum Siege!

„Aspern muß genommen werden!“ ruft von Neuem stets Karl, der schon eine Wunde trägt.

„Wir nehmen es!“ entgegnen seine Tapferen.

Er greift einem Fahnenträger das Panier aus der Hand, er ist der Erste beim Sturme und Siege! Die Nacht sieht zwei blutende, erschöpfte Heere; so kostbar ist der Boden, daß man selbst das Dorf theilen muß und sich beiderseits Besitze finden. Die Vorposten stehen hart an einander – die Nacht bedeckt sie Beide und Sternenthränen flimmern ihr im dunkeln Auge.

Auf der Donau rennen die Brander und Stürmer, die verderbenbeladenen Gefähre, die brennenden und losgehauenen Bäume an Napoleon’s Brücken an, leuchtende Vernichtung auf’s Wasser zeichnend. Jedem kleinen Inselchen hat er schon einen Namen gegeben, „Napoleon“, „Lannes“, „St. Hilaire“ etc. heißen sie; sie sind nur feuchte Hügel zum Ausathmen für Sterbende!

Wie eine Löwenklaue hält ihn Karl’s Heer im Bogen umklammert, er kann sich nicht vom Ufer rühren und nur im Walde, am Wasser sich bergen. – Wüthend bricht er beim Tagesbeginne von Neuem hervor, wie ein angeschossenes Wild, das eine Lichtung gewinnen will – vergebens! Sechs Mal wird Aspern, Eßlingen, auch am Pfingstmontage erstürmt und verloren, Lannes ist zerschossen und stirbt auf der Lobau, die Brücken beginnen zu brechen – die französischen Trommeln wirbeln – en arrièreZurück! – – Napoleon lernt es nach funfzehn Jahren zum ersten Male, was es heißt, besiegt werden, und die Welt hat es vernommen: auch dieser kann fallen!

Ganz Deutschland durchschauert ein Wonnegefühl, die Geknebelten können nur in Grimm und Freude die Nägel in ihre Fesseln drücken, aber sie dürfen nicht jachzen und rufen.

Das bleiche, starre Corsenhaupt sinkt zur wogenden Brust – der Engel von St. Helena rauscht darüber hin – der Imperator,

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