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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

den Falschmünzern in Verbindung stehe; daß er vielleicht der eigentliche Falschmünzer sei und die Anderen nur seine Helfershelfer, die das falsche Geld verbreiteten. Der Verdacht war indeß zu schwach, um ein Einschreiten gegen ihn veranlassen zu können. Allein bald nachher las man in den Zeitungen, daß auch anderswo im Lande und in den benachbarten Ländern durch unbekannte Menschen falsche Kronthaler verbeitet seien, der Beschreibung nach aus derselben Fabrik, aus welcher die in hiesiger Gegend ausgegebenen herrührten. Zugleich hatte man wieder zur Nachtzeit einen jener verdächtigen Menschen das Haus Brunner’s heimlich verlassen sehen. Man hatte vergebens auf den Menschen gefahndet. Aber zu einem Verfahren gegen den Mechanikus Brunner schien jetzt hinreichender Verdacht vorzuliegen. Es mußte gegen ihn eingeschritten werden. Die wichtige Untersuchung mußte ich selbst übernehmen. Zudem reizte mich das Geheimniß, das über der Sache lag, und die Lust, sein Dunkel zu erhellen, die Fäden, die wild verworren da lagen, einen nach dem anderen aufzulösen.

„Ich nahm eine unvermuthete Haussuchung bei dem Mechanikus Brunner vor. Ich fand in der That allerlei Apparate zur Anfertigung von falschen Münzen bei ihm. Er behauptete, die Gegenstände für fremde, unbekannte Personen angefertigt zu haben, die sie so bestellt hätten, nach ihrer Angabe zur Fabrikation von Zimmerzierrathen, an Fenstern, Schränken und so weiter, und die sie abholen würden. Er gestand ein, denselben Personen schon seit einiger Zeit ähnliche Instrumente verfertigt zu haben. Ich konnte in diesen Angaben nur leere Ausreden finden und mußte ihn deshalb verhaften und die Untersuchung gegen ihn eröffnen.

„Ich führte dieselbe anfangs mit all’ dem Eifer, den der Reiz des Neuen und des Geheimnisses geben kann; aber ich konnte das Geheimniß nicht erhellen, und das Neue wurde alt. Ich betrieb bald die Untersuchung nachlässiger; sie lieferte desto weniger ein Resultat. Ich vernachlässigte sie darauf ganz und mochte gar nicht mehr an sie denken, denn sie wurde mir unangenehm. Ich vergaß sie, vergaß sie völlig, vergaß sogar auch den verhafteten Angeschuldigten.

„So waren acht Jahre verflossen; da trat eines Morgens der Schließer Martin Kraus zu mir. Er war schon damals, er war immer ein finsterer, verschlossener Mann; aber er war auch immer ein pünktlicher, zuverlässiger Beamter und mir unbedingt treu, blind ergeben. Er sah finsterer aus, wie je; aber nicht gedrückt. Sein Wesen schien mir vielmehr leichter zu sein, als vorher. Er hatte in der letzten Zeit manchmal etwas Gedrücktes gehabt.

„Herr Amtmann, die Frau des Mechanikus Brunner ist heute Nacht gestorben.“

„Ich hatte seit Jahren den Namen nicht gehört und eben so lange an den Gefangenen nicht gedacht; bei dem Namen erst fiel mir der Gefangene wieder ein.

„Und der Mann,“ fragte ich.

„Die Frau ist im Elende gestorben.“

„Und was macht der Gefangene?“

„Er ist wahnsinnig.“

„Mensch, seid Ihr wahnsinnig?“

„Er hatte schon vor drei Jahren den Verstand verloren.“

„Und Ihr habt mir nie ein Wort davon gesagt?“

„Es wäre ja zu spät gewesen; mit dem Wahnsinnigen konnten der Herr Amtmann nichts machen, und entlassen konnten Sie ihn auch nicht.“

„Warum nicht? Gewiß, gewiß hatte ich es gekonnt. Ich hätte es gethan.“

„Damit die Welt erfahren sollte, der Mensch habe ohne Verhör, vergessen, verloren und vergessen, und doch unschuldig, fünf volle Jahre in den Kerkern des Amtes schmachten müssen und zuletzt wahnsinnig werden müssen? Das durfte kein Mensch in der Welt wissen. Dazu war mir die Ehre des Herrn Amtmanns zu lieb.“

„Mensch, was habt Ihr mit dem Unglücklichen gemacht?“

„Er ist schon seit drei Jahren gut aufgehoben.“

„Todt? Ihr habt ihn –?“

„Er lebt, Herr Amtmann.“

„Wo?“

„Das Amthaus hat viele und weite Keller.“

„Dahin habt Ihr ihn gebracht?“

„Ja.“

„Hier unter dieses Haus?“

„Die Keller gehen weiter; sie gehen bis unter den Kirchhof.“

„Dahin?“

„Dahin. Nur ich allein in der Welt weiß, daß die Keller des Amthauses so weit laufen. Dort nur allein war er sicher, ist er sicher. Man könnte oben auf dem Kirchhofe seine Stimme hören, aber nur undeutlich aus der Tiefe, nur schwach. Wer sie hört, wird an einen Kirchhofsspuk glauben.“

„Aber er hat dort keine Sonne, kein Licht.“

„Nein.“

„Mensch, Ihr seid grausam, ein Ungeheuer.“

„Herr Amtmann, den Verstand hatte er einmal verloren; es war nicht meine Schuld. Ob ein Mensch, der seiner Sinne nicht mehr mächtig ist, Licht und Sonne sieht und mit Menschen sprechen kann oder ob er dasselbe nicht mehr kann, darauf kommt es nicht an; aber Ihre Ehre, Herr Amtmann, mußte rein bleiben; kein Mensch durfte sagen können, daß Sie ihn in den Zustand gebracht hätten, daß Sie einen Justizmord begangen hätten, was man so gern von der Justiz sagt – darum brachte ich ihn in den Keller und den Leuten sagte ich, er sei todt. Sie haben seitdem nichts mehr von ihm gehört, auch andere Leute nicht. Heute ist seine Frau gestorben, die Einzige, die seit den acht Jahren seiner Haft nach ihm gefragt hat. Jetzt wird keine Menschenseele mehr nach ihm fragen und er kann ruhig da unten bleiben, bis er stirbt. Lange wird er es doch nicht mehr machen; er ist sehr mager und hinfällig. In die Acten und Listen schreiben Sie schon jetzt, daß er gestorben sei, vor fünf Jahren, vor sechs, vor sieben Jahren, wie Sie wollen.

„Aber noch eins, Herr Amtmann; die Frau hat einen Knaben zurückgelassen von bald acht Jahren, welcher kurze Zeit nach der Verhaftung seines Vaters geboren wurde. Das Kind ist hülflos. Wollen der Herr Amtmann sich seiner annehmen? Sie thun ein Werk der Barmherzigkeit.“

„Welche entsetzlichen Entdeckungen hatte der Mann mir gemacht! Welche furchtbaren Wahrheiten hatte er mir gesagt! Meine Ehre sollte vor der Welt rein bleiben. War sie nicht vor meinem eigenen Bewußtsein vollständig, für immer gebrochen? Von einem Justizmorde sollte die Welt nicht sprechen dürfen. Hatte ich nicht den empörendsten Justizmord begangen, den jemals Leichtsinn, Selbstsucht, Rohheit, die vollste Herzlosigkeit verüben konnten? Und was sollte ich ferner thun? Zu den alten Verbrechen ein neues begehen? Um meine Ehre vor der Welt zu retten, immer weiter ehrlos handeln, gemein, herzlos, niederträchtig? Ich war schwach genug, so zu handeln. Innerlich an meiner Ehre gebrochen und verloren war ich einmal, blieb ich. Sollte ich auch äußerlich gebrandmarkt werden? Sollte ich – denn das war für den Fall der Entdeckung mein Loos – von meinem Amte mich entsetzen, als gemeiner Criminalverbrecher mich in das Zuchthaus sperren lassen, mein Weib und mein Kind der allgemeinen Verachtung, der Schmach, der Armuth, dem Elende preisgeben? Ich hatte nicht die Kraft, mich dem Allen zu unterwerfen.

„Ich ließ den Unglücklichen in seinem unterirdischen Gefängnisse. In den Acten verzeichnete ich seinen Tod, als schon vor längern Jahren erfolgt. Mein Gewissen suchte, wußte ich zu beschwichtigen. Wie viele Mittel findet der Mensch dafür! Ich wurde der strengste, pünktlichste Mann in meinem Dienste, der gerechteste, der humanste Richter.

„Den Knaben des Unglücklichen nahm ich zu mir. Ich hielt ihn wie mein Kind. Er war kränklich, ich konnte ihn nichts lernen lassen. Ich ließ ihn in den Kanzleien des Amtes sich beschäftigen.

„Es entwickelte sich früh eine Neigung für meine Tochter in ihm. Ich trat ihr nicht entgegen. Ich hätte ihm mein einziges Kind zur Frau gegeben, wenn sie seine Neigung erwidert hätte. Aber sie hatte nur Freundschaft, nur Mitleiden für ihn, und ich wünschte oft, sie möchte ihn lieben.

„Um den Unglücklichen kümmerte sich Niemand weiter. Niemals tauchte nur irgendwo eine Ahnung auf, daß er noch am Leben sein könne; niemals wurde nur die leiseste Vermuthung laut, daß unter den Gräbern des Kirchhofes, in Räumen die außer mir und dem Schließer Niemand kannte, ein menschliches Wesen verborgen sein, gefangen gehalten werden könne. Nur Sie hatten vor Jahren einmal einem solchen Verdachte Raum gegeben, hatten ihn aber nicht weiter verfolgen können. So hatte ich gemeint.“

(Schluß folgt.)




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