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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

„Die Wipfel des Waldes umflimmert
Ein schmerzlicher Sonnenschein:
Das mögen die letzten Küsse
Des sterbenden Sommers sein.“

Der Himmel bezieht sich Tage lang mit trübstillem Gewölk; „er gleicht einem Auge, dem mit jedem Blicke eine Thräne entfallen kann.“ Grauer Nebel dehnt sich um die ersterbenden Sträucher und Bäume; von den Winden zu Grabe getragen, fällt unablässig das welke Laub zur Erde nieder. Dann und wann senkt sich wohl noch, wie ein Hauch genossener Zeiten, ein warmer Lichtblick durch’s trübe Gewölk herab und Alles freut sich noch einmal vor dem tödtlichen Ermatten des flüchtigen Glückes; aber bald erstirbt auch der letzte Sonnenkuß im bleichen Wolkenschatten. Mit zögerndem Schritte kommt der junge Tag gegangen, mit immer größerer Eile erheben sich die dunkeln Schatten des Abends. Alles neigt und rüstet sich. Die Heerden verlassen die Weiden, die Vögel nahen sich den Wohnungen der Menschen. Ernst und stumm in sich selbst versunken liegt die Welt. Kein Laut in der zur Ruhe gehenden Natur, als das Rascheln der erstorbenen Pflanzen unter unsern Tritten. Das Bächlein gleitet,

„Wie durch das Sterbgemach die Freunde schreiten,
Den letzten Traum des Lebens nicht zu stören.“

Auch im erstorbenen Haine ist’s todtenstill. Nur der Rabe flattert noch krächzend über den Wipfeln und dem Armen, der sich sein Bündel dürres Reisig sucht, naht sich mit leisem Gesange das Rothkehlchen, gleichsam sein gequältes Gemüth zur Hoffnung zu erheben. – Die rauhen Stürme kommen und brausen über die Oede und kreiseln sich in das Dach der Strohhütte und bald hüllt der eisige Winter Alles in sein großes, weites Leichentuch.

W. Gr.


Aus den holsteinischen Marschen. I. Ein Reisebild aus den holsteinischen Marschen zu schreiben, ist schon ein etwas bedenkliches Unternehmen, bedenklicher, viel bedenklicher, als eine ganze Mappe voll Bilder über Frankreich, Spanien oder Italien. Denn in Frankreich gibt es ein Paris mit seinen Mysterien, seinem Bal-mabille, seinen Grisetten und seiner Demimonde, seinem Palais-royal und seinem Pére-Lachaise, in Spanien gibt es eine alte, zerfallene Alhambra, maurische Burgruinen, Gitanos, Fandangotänzerinnen, Schmuggler und romantische Maulthiertreiber, grauenhafte Posadas oder Wirthshäuser mit noch entsetzlicherem Ungeziefer, in Italien gibt es Banditen, Apenninen, Mönche, Nonnen, eifersüchtige Ehemänner, Lagunen, Seufzerbrücken – Himmel! was läßt sich aus solchem Stoff nicht für prächtige Arbeit machen. In den Marschen dagegen findet man kein einziges dieser für feuilletonschreibende Touristen so nützlichen Requisite. Flaches Land und einfache, meist blondhaarige Menschen – was läßt sich da erzählen, schildern? Pikante Reiseabenteuer à la Alex. Dumas, bei dem jede Eisenbahnfahrt nach der Schweiz, jede Excursion nach Rom oder Madrid zu einer romantischen Wallfahrt wird, wie sie die Paladine von Arthur’s Tafelrunde nicht wunderlicher erlebt, allerdings nicht, aber doch bieten auch die Marschen, diese äußersten Ausläufer der großen germanischen Tiefebene viel Eigenthümliches dar, wenn man auch das Charakteristische hier erst nach längerem Aufenthalte im Lande kennen lernt, während es anderwärts vielleicht sofort in die Augen springt. Man sagt den norddeutschen Niederungen Einförmigkeit nach. Die häufigen, schweren, trüben Nebel, die aus dem Moorboden aufsteigen oder vom Meere herein in’s Land getrieben werden, das ewige Einerlei der Flächen, ohne Abwechselung von Thal und Hügel, die matt und träg, mit ihrem vom Moor- und Torfgrund dunkel gefärbtem Wasser, dahinschleichenden Bäche, die weiten Seen mit ihren baumlosen Ufern, in deren Schilf und Gestrüpp eine Menge Wasservögel nisten, die sich oft lang und monoton dahinstreckenden Kieferwaldungen, nur hier und da durch etwas Laubgehölz unterbrochen – Alles das trägt zu jenem Eindruck der Einförmigkeit bei, zumal wenn man vielleicht mitten aus der großartigen Tyroler- oder Schweizeralpenwelt, aus den sonnigen Thälern und Hügeln des Rheingau’s oder aus den waldigen, grünen Bergen Thüringens mit ihren frischen, klaren Quellen, Bächen und Flüssen dahin versetzt wird. Läßt sich nun auch Einiges, was wir über die Eintönigkeit der norddeutschen Niederungen sagten, auf die Marschgegenden Holsteins anwenden, so haben diese, besonders die dicht an der Meeresküste gelegenen, doch noch mannichfaltigere Unterschiede. Der Boden – angeschwemmtes, dem Meere abgerungenes und durch Deiche (Dämme) gegen die Einbrüche des Wassers geschütztes Land – ist fett, schwer und schwarz. In hügelloser Ebene breitet sich die Gegend vor unseren Blicken aus. Aber es ist trotz dieser Flachheit ein charakteristisches Landschaftsbild, das vor uns liegt. Die großen, grünen, gutbewässerten Wiesen, hier und da von lebendigen Hecken eingeschlossen, die runden, holländischen Windmühlen mit dem beweglichen Dach, eingerichtet, jede Winddrehung zu benutzen, die vielen kleinen, mit den buntesten, glänzendsten Farben, roth, grün, blau, gelb, weiß, braun, angestrichenen Häuser, die zwischen den Büschen und Laubgehölzen sichtbar, dazu, in der Nähe der Elbe oder des Meeres, das ewig bewegliche Element des Wassers mit seinem kräftigen Wellenschlage, seinen buntbewimpelten Schiffen, die mit weitausgespannten, weißen Segeln oder mit dampfender Esse dahinfahren – Alles das bietet ein Ensemble, welches zwar an Romantik von einer Menge Gegenden Süd- und Mitteldeutschlands übertroffen wird, aber dennoch für das Auge des Beschauers einen ganz eigenthümlichen Reiz hat. Gerade diese Gegensätze: die unbewegliche Ruhe des Landes und die bewegliche Wasserwelt, die rastlos dahinfluthenden Wellen, über welche in niedrigem Fluge mit mißtönendem Geschrei die Möve fliegt, ziehen uns unwiderstehlich an. Wenn wir von der Ruhe des Landes sprechen, so wollen wir damit aber blos den Contrast zu dem beweglichen Meere und Wasser ausdrücken, nicht etwa damit von einer unbelebten, todten Landschaft sprechen. Im Gegentheil, nirgends ist das Land belebter, als in den Marschen. Ist doch die Marsch berühmt, hochberühmt durch ihre Viehzucht, besonders durch ihre Rinder, und alle diese Thiere sind vom Frühjahr bis zum Herbst, wenn die ersten Schneeflocken fallen und der kalte Nordwestwind über die Haiden streicht, Tag und Nacht draußen auf der Weide. Die Stallfütterung ist blos für die Wintermonate: sobald die ersten grünen Grasspitzen sprossen, wird alles Vieh hinaus in’s Freie getrieben. Auf die Güte des Fleisches, wie auf den ganzen Zustand des Viehes überhaupt hat dies Verfahren einen bedeutenden Einfluß. Jene berühmten Hamburger Beefsteaks, deren Ruf sich von der alten Hansestadt bis hinunter nach Triest erstreckt, jene englischen Roastbeefs, von deren zahlreicher Consumtion englische Schriftsteller die physische Ausdauer, die zähen Nerven John Bull’s herleiten: sie stammen von jenen Ochsen der Marsch, deren stolzer, kräftiger Nacken sich im strengsten Sinne des Wortes nie unter ein Joch gebeugt, die nie durch die Furchen der Aecker, wie es im Binnenlande geschieht, die Pflugschaar gezogen. Auch dies trägt ungemein zur Trefflichkeit des Fleisches bei. Ein lebensmüder Stier oder eine altersschwache Kuh, die zehn Jahre lang vor den Pflug gespannt waren, können unmöglich ein solches kräftiges Fleisch liefern. Doch auch große, starkknochige Pferde, besonders als stattliche Wagenpferde und für die schwere Reiterei gesucht, zieht die Marsch, und es ist in der That ein reizender Anblick, diese schönen, kräftigen Thiere auf grüner Weide sich ihrer ungebundenen Freiheit freuen zu sehen. Indessen ist hierbei etwas Vorsicht räthlich. Die Thiere – besonders die Stiere – gerathen bei der Annäherung fremder Personen leicht in Wuth und es sind dadurch schon so manche Unglücksfälle vorgekommen. Der Export an Schlachtvieh und Butter bildet einen sehr beträchtlichen Handelsartikel und über Tönning werden jährlich Tausende von Rindern nach den englischen Häfen, besonders London, ausgeführt.

Die Schafzucht ist in den Marschen nur unbedeutend – im Verhältniß zu der übrigen Viehzucht wenigstens – dagegen sahen wir, allerdings bei einer Thierschau im südwestlichen Holstein, Schweine von solchem enormen Umfange, daß man sie getrost als Seltenheiten in Menagerien hätte sehen lassen können. Am unbedeutendsten aber ist die Federviehzuchr und es scheint, als hätte der Marschbauer seinen einzigen Ruhm und Stolz in die Rinderzucht gesetzt, die sich denn auch ohne Gefahr der holländischen, schweizerischen und einigen berühmten englischen Racen kühn zur Seite stellen kann, ohne einen Vergleich zu scheuen. Charakterisirt doch auch der alte Arndt in seinem „Was ist des deutschen Vaterland?“ diese Gegenden durch die Worte: „Dort wo des Marsen Rind sich streckt.“ So viel für dieses Mal zum Eintritt in die Marschgegenden Holsteins. Das nächste Mal wollen wir von ihren Bewohnern, unsern wackern deutschen Brüdern dort oben in den nordalbingischen Herzogthümern erzählen.

K. Wtg.


Avis für Angler. Größer, als in irgend einem anderen gleich nördlichen Lande, ist in Norwegen der Fisch-Reichthum. Nicht nur, daß man vom Kleinsten bis zum Größten alle Durchgangssorten, sowohl von Süß- als Salzwasserfischen findet: die Menge dieser Thiere setzt besonders in Erstaunen. Auf dem Meeresgrunde, namentlich innerhalb des Bereiches des Malstroms, soll es nach der ausdrücklichen Versicherung der Taucher förmlich wimmeln von allerlei Seethieren, und an zwei Stellen im Eismeere habe ich gesehen, wie zwei Angler binnen etwa einer Stunde einen ganzen Kahn voll großer Fische, als Dorsche, Lachse, Plattfische, Hisen u, dgl. aus dem Meere herauszogen. Das Angeln ist in Norwegen nicht ein solch’ langweiliges Vergnügen, wie in England und Deutschland, sondern ist eine anstrengende Arbeit. Die dort gebräuchliche, aus gedrehten Rennthiersehnen bestehende Angelschnur hat am untern Ende drei kurze Schwänze, von denen jeder durch einen aus Weißblech geschlagenen kleinen Hering läuft. Der Angelhaken sitzt am Munde des Blechfischchens. Die drei Schnürenden wirft man über Bord und läßt die Schnur ablaufen. Dann zieht man fortwährend leise die Schnur auf und nieder, so daß die drei Enden mit den Blechfischchen auf dem Meeresgründe spielen. Bald beißt ein großer Fisch, oft auch zweie zugleich, und im Heraufziehen faßt noch ein dritter den dritten Blechfisch, so daß es häufig schwer wird, die Fischlast zu bewältigen. Unendlich mehr Fische, als die Menschen, holen die Seevögel aus dem Meere. Wenn man eine Schaar fischender Möven beobachtet und sieht, wie viele Fische in einer Stunde von denselben vertilgt werden, so staunt man über die Masse von Fischen, welche das Meer birgt für die zahllosen fliegenden und schiffenden Fischfänger. Und welche unberechenbare Menge von Fischen vertilgt sich im Wasser untereinander selbst?! – Die Süßwasserfische, als Lachse, Forellen u. dgl. fängt man mit künstlichen Ködern an Angelruthen. Für den täglichen Tischgebrauch dürfen sowohl bei den See- als Flußfischen nach neuerer Verordnung keine dreitheiligen Angelschnuren angewendet werden, weil bisher die Fischer von den zwei oder drei Fischen, welche sie an den dreitheiligen Schnuren ohne ihren Willen gleichzeitig fingen, immer nur die besten nahmen, die übrigen wieder in’s Wasser warfen, worin sie schmerzvoll starben, als faulende Körper die Fische ihres Geschlechtes vertrieben und wodurch ohne Zweck der Fischreichthum vermindert wurde.


Zur Notiz.

Mit dieser Nummer schließt das dritte Quartal und ersuchen wir die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das vierte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 564. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_564.jpg&oldid=- (Version vom 29.9.2020)