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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Supernumerarius bei dem Kriegscollegium mit einem Gehalte von hundert Thalern erhielt. Die viele geistlose Arbeit wollte ihm nur wenig schmecken, wenn er sie mit der verglich, welche er ein Vierteljahr vorher zu Paris verrichtete. Ebenso bedauerte er, seine modische Pariser Kleidung gegen die hessische steife Uniform mit dem gebotenen Zopfe zu vertauschen. Dennoch war er zufrieden und suchte alle seine Mußestunden dem Studium der Literatur und Dichtkunst des Mittelalters zuzuwenden, die ihn immer mehr anzogen und fesselten.

Unterdeß hatte auch Wilhelm im Jahre 1807 sein Examen abgelegt und wartete auf eine Anstellung, die jedoch in Folge der großen politischen Ereignisse, von denen das Vaterland betroffen wurde, ausblieb. Ein Machtspruch Napoleon’s hatte das hessische Regentenhaus abgesetzt und seinen eigenen Bruder Jerome auf den Thron des neugeschaffenen Königreichs Westphalen berufen. Die alten Verhältnisse stürzten zusammen, das treue Hessenland wurde von Franzosen besetzt, Kassel zur Residenz des neuen Herrschers erhoben und die alten Beamten zum Theil entfernt, während Andere freiwillig ihren Abschied nahmen. Zu den Letzteren gehörte Jakob Grimm, der seine bisherige Stellung, müde der unzähligen damit verbundenen Quälereien und aus Widerwillen gegen den neu eingeführten „Code Napoleon“, aufgab, unfähiger, als je vorher, zur Erleichterung der Mutter und der Geschwister beizutragen.

Aus diesem Grunde bewarb er sich um den ihm mehr zusagenden Posten bei der öffentlichen Bibliothek in Kassel, da er sich theils in das Lesen von Handschriften eingeübt, theils durch Privatstudien mit der Geschichte der Literatur vertrauter gemacht hatte. Die gewünschte Stelle wurde einem Andern zu Theil; zu dieser getäuschten Erwartung kam noch der Tod der geliebten Mutter, um ihn vollends niederzubeugen.

Auch hier bestätigte sich das alte Sprüchwort: „Je größer die Noth, desto näher ist Gott.“ Durch eine Empfehlung des berühmten Geschichtsforschers Johannes von Müller, der am neuen westphälischen Hofe eine der höchsten Stellen einnahm, wurde Jakob mit dem Cabinetssecretair des Königs, Cousin de Marinville bekannt, und zur Verwaltung der Privatbibliothek, die in Wilhelmshöhe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 561. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_561.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2018)