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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Fischer, dem es ähnlich erging. Ein windiger Franzose, dem er schon Pardon gegeben, sprang, ehe der Alte ihn daran hindern konnte, wieder zurück, ergriff sein hingeworfenes Gewehr, womit er einen wohlgezielten Schuß abfeuerte, der glücklicher Weise nur den Czako durchbohre. Durch den Graben gedeckt, suchte ihm der Franzose eiligst zu entkommen, aber der grimmige Fischer verstand keinen Scherz; er blieb ihm zur Seite, und rief mit seiner gewaltigen Stentorstimme einigen am Waldrande im Anschlage liegenden Jägern zu:

„Nicht schießen! Tyroler, haltet mir den Musje!“

Zwei handfeste Tyroler sprangen auf, und jagten dem flüchtigen Franzosen nach, den sie bald ergriffen und fest nahmen; gelassen und langsam, als handelte es sich um die gleichgültigste Sache von der Welt, ritt der Alte heran, nur sein graues blitzendes Auge verkündigte die innere Wuth. Mit einem einzigen Hiebe spaltete er dem mordlustigen Feinde den Kopf in zwei Hälften, worauf er eben so ruhig, als wäre nichts geschehen, den blutigen Säbel abwischte, und einen gewaltigen Zug aus seiner gefüllten Korbflasche that.

In diesem Augenblick sprengte Körner herbei; er war Zeuge der eben vollstreckten Execution und wie der Rittmeister voll der höchsten Entrüstung über die Hinterlist der feindlichen Soldaten.

„Die Halunken!“ rief er empört, „Wer ein braver Camerad ist, folge mir!“

Das ließen sich die Lützower nicht zum zweiten Male sagen, obgleich der alte Fischer vergeblich abmahnte und, als die Freiwilligen nicht hören wollten, hinterdrein fluchte und wetterte, wie es einmal seine Art war. Mehrmals ließ der Rittmeister Appell blasen, um die Hitzköpfe von dem gefährlichen Unternehmen abzubringen, aber ihre Erbitterung führte sie nur immer weiter. Wie die Windsbraut stürmten sie einher, Allen voran aber Theodor auf seinem Schimmel, gleich einem jungen Schlachtengott. Leise sang er das am Morgen erst vollendete Gedicht:

„Wohlauf, ihr kecken Streiter,
Wohlauf, ihr deutschen Reiter!
Wird euch das Herz nicht warm,
Nehmt’s Liebchen in den Arm.
 Hurrah!“

„Hurrah!“ jauchzten die kecken Reiter, und dahin brauste die wilde verwegene Jagd am Saume des Waldes. Die Schwerter glänzten im Sonnenlicht und klirrten die wilde Melodie zu dem letzten Liede des Dichters, zu seinem Schwanengesange.

Es wurden mehrere Gefangene gemacht, allein die Reiter waren in dem Gehölze zu sehr im Nachtheile gegen die feindlichen Tirailleurs, welche im Gebüsch und hinter den Baumstämmen versteckt lagen, und aus sicherem Verstecke schossen. Ihre Kugeln waren vorzugsweise auf den kühnen Reiter gerichtet, der auf leuchtendem Schimmel den Andern vorausritt, um den Feind aus seiner Stellung zu vertreiben.

„Hurrah!“ rief er noch einmal, seinem schäumenden Pferde die Sporen einsetzend.

Da fiel aus dem Dickicht ein Schuß. Die Kugel pfiff, die Kugel traf in das Herz, das so glühend für die Freiheit geschlagen. Körner sank zu Tode verwundet von seinem Roß, und sein Blut färbte roth die grüne Haide von Rosenhagen.

Die Freunde, welche ihn fallen sahen, eilten sogleich herbei, und während der Oberjäger Helfritz den Verwundeten aufzurichten sich bemühete, rächten die Andern seinen Tod, so daß keiner der Feinde entkam. Noch einmal schlug Theodor die blitzenden blauen Augen auf.

„Es wird wohl nichts zu bedeuten haben,“ suchte er die Cameraden noch im Sterben zu beruhigen. Bald darauf hauchte er mit einem letzten „Lebt wohl!“ die Heldenseele aus.

Er starb den schönen seligen Reitertod, den er sich oft gewünscht.




IX.

Der Kampf war vorüber, die Leichen der Gefallenen wurden von den Cameraden aufgehoben, um sie feierlich zu beerdigen.

Ein Schmerzensschrei ging durch die ganze Schaar bei der Nachricht, daß auch Körner gefallen, der der Liebling Aller war.

Der alte Rittmeister suchte seinen Schmerz in lauten Flüchen zu verbergen.

„Ich wollte,“ rief er grimmig aus, „daß Euch Freiwilligen alle der Teufel hole. Lieber die feigsten Hundsfötter commandiren, als solche Bramarbasse, die nicht darauf hören, wenn ich Appell blasen lasse!“ Dabei aber rannen ihm die Thränen über den schwarzen Bart und ein schwerer Seufzer entrang sich seiner Brust.

Körners Leichnam wurde in ein der Landstraße zunächst gelegenes Bauernhaus gebracht, in dem Dorfe Wöbbelin. Die Aerzte untersuchten die Wunde, und gaben wenigstens den leidigen Trost, daß die Kugel ihn auf der Stelle getödtet haben müsse, da sie unter der Herzgrube bis in das Rückenmark gedrungen sei. Friesen eilte sogleich mit einigen Freunden und Landsleuten herbei, um eine Grabstätte auszuwählen, und für eine angemessene Leichenfeier Sorge zu tragen.

Sein Schmerz war namenlos. Weinend sank er neben dem todten Waffenbruder nieder.

„Ich folge Dir!“ rief er, überzeugt von seinem nahen Ende. „Droben werden wir uns wiedersehen.“

Er hatte nur zu wahr gesprochen; ein Jahr später vereinigte ihn eine mörderische Kugel auf französischem Boden mit dem Freunde.

Zwei Schreiner von der Compagnie, bei welcher Theodor gestanden, beschäftigten sich, den Sarg für ihren Lieutenant zu zimmern. In dem Bauernhofe waren unterdeß andere Freunde thätig, Kränze von Eichenlaub für den Gefallenen zu winden und ein Paradebett aufzubauen, auf welches der Sarg gestellt werden sollte.

Noch einmal begab sich Friesen in das Kämmerlein, wo der entseelte Freund auf Stroh gebettet lag. Er kniete an seiner Seite hin und sprach ein kurzes, inniges Gebet bei der Leiche. Die hereintretenden Cameraden unterbrachen ihn und erinnerten daran, daß man für die unglücklichen Eltern die Brieftasche aufbewahren möge. In ihr fand sich das mit Bleistift flüchtig geschriebene „Schwertlied,“ sein letztes Vermächtniß. Um den Hals hing das goldene Amulet, welches ihm Toni beim Abschied umgebunden hatte; es war nicht im Stande gewesen, ihn zu beschützen. Das Amulet und einen kleinen goldenen Ring mit einem thränenhellen Demant übernahm ein Freund, um Beides der armen Braut einzuhändigen.

Das Haupt mit einem grünen Eichenkranz geschmückt, wurde Körner in den Sarg gebettet; so lag er da, ruhig mit gefalteten Händen, als ob er schlummerte. Sein edles Gesicht war durch keinen Schmerzenszug, durch keine Verzerrung entstellt, die Verklärung der jenseitigen Seligkeit schien bereits auf seinen schönen Zügen zu ruhen, der Tod hatte seine Macht verloren, die Unsterblichkeit breitete schützend ihre Schwingen selbst über seine Leiche.

Mit gedämpftem Trommelschlage wurde er zu der Ruhestätte getragen, welche die Cameraden mit ihren eigenen Händen für ihn gegraben. Daneben waren größere Gruben zur Aufnahme der mit ihm in demselben Gefechte Gefallenen. Wegen der Nähe des Feindes hatte General Wallmoden eine Ehrensalve aus Geschütz und Gewehr untersagt; aber nicht stumm und lautlos wurde der junge Held bestattet.

Aus den Reihen der Cameraden trat noch einmal der edle Friesen hervor und entbloßte sein Haupt; Alle folgten seinem Beispiele, worauf er mit bebender Stimme das von Theodor gedichtete Gebet sprach:

 „Vater, ich rufe Dich!
Brüllend umwölkt mich der Dampf der Geschütze,
Sprühend umzucken mich rasselnde Blitze.
Lenker der Schlachten, ich rufe Dich!
 Vater, Du führe mich!“

Kein Auge blieb thränenleer, jedes Herz war erschüttert, und die Nähe Gottes that sich diesen rauhen Kriegern kund.

 „Gott, Dir ergeb' ich mich!
Wenn mich die Donner des Todes begrüßen,
Wenn meine Adern geöffnet fließen:
Dir, mein Gott, Dir ergeb' ich mich!
 Vater, ich rufe Dich!“

Leise wiederholten die Cameraden den letzten Vers voll Ergebung in den göttlichen Willen.

Der Sarg war herabgelassen und die Schollen, welche die Hand der Freunde darauf warf, wölbten sich schnell zum Hügel, über den eine alte mächtige Eiche emporstieg. Sein Körper war der Erde zurückgegeben, aber sein Geist schwang sich empor zur himmlischen Heimath. Körner lebte noch bei seinen Cameraden, wie er stets im Munde seiner Nation und einer begeisterten Jugend leben wird. Schon an seinem Grabe wurde es offenbar, denn wie aus einem Munde ertönte mit einem Male:

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