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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Dank auf. Die Beamten und Arbeiter meiner Fabrik, sie leben hoch!“

Auf die lautlose Stille, womit diese Rede angehört wurde, folgte der donnernde Jubelruf, womit die ganze Versammlung in dieses „Hoch“ einstimmte. Hierauf bestieg ein ehemaliger Zögling des Borsig’schen Instituts die Rednerbühne, um dem Festgeber zu danken. Tief ergriffen von der hohen Bedeutung des Augenblicks versagte dem Sprecher fast die Stimme; Thränen der innigsten Rührung flossen über die Wangen des schlichten Mannes, die noch beredter als alle Worte waren.

Unter der Veranda des herrlichen Gartens vereinigte ein Festmahl die eingeladenen Gäste, unter denen sich auch der greise Humboldt, ungeachtet seines hohen Alters und der zunehmenden Schwäche, befand. Seine Anwesenheit wurde durch einen begeisterten Trinkspruch, ausgebracht von dem Oberbürgermeister von Kölln, in würdigster Weise gefeiert. Mit Ehrfurcht blickte die Versammlung auf den höchsten Vertreter der Wissenschaft, welcher gekommen war, die Arbeit und die Industrie durch seine Gegenwart zu ehren.

Die fernere Zeit bis in die späte Nacht war von nun an dem eigentlichen Vergnügen des Volkes gewidmet. – Zunächst erschien unter dem Schmettern der Trompeten der eigentliche Festzug, der die Wunder des Dampfes bildlich in überwiegend humoristischer Weise darstellte und durch ein Programm in Versen erklärte. Voran dem Zuge schritt Neptun, der Gott des Wassers, in der Hand den mächtigen Dreizack, und von Schwänen gezogen; ihm folgte Vulcan, der Gott des Feuers und der Schmiede, auf einem Felsen thronend, umgeben von seinen Cyclopen und den Gnomen, welche das Erz aus der Tiefe der Erde holten. Beide kamen als Väter des weltbewegenden Dampfes, dessen Erscheinung durch eine Reihe komischer Bilder eingeleitet wurde. Zunächst fuhr eine Riesenschmiede vorüber; die wackeren Gesellen hatten alle Hände voll zu thun, um die zerbrochenen Stahlröcke der Damen auszubessern; auch ein Fortschritt der modernen Industrie, die wir der Crinoline zu verdanken haben. Anschaulich zogen vor dem Zuschauer die früheren Zustände und Reisegelegenheiten vorüber, welche vor Erfindung der Locomotive im Schwunge waren. Diese antediluvianische Vorzeit wurde durch die edle Zunft der „Wanderburschen“ repräsentirt, wie sie früher langsam und bedächtig auf des Schusters Rappen, fechtend durch die Welt sich schlugen. Würdig schloß sich ihnen die alte Post mit ihren abgetriebenen Gäulen an, beladen mit Koffern, Hut- und andern Schachteln, zu denen auch die ehrwürdige Dame, welche darin saß, gerechnet werden mußte. Das Ganze erinnerte an die treffliche Monographie „die Postschnecke“ von Börne und an jene Zeit, wo man bei einer Reise von Berlin nach Leipzig sein Testament machte, und weinend von der ganzen Familie und allen Nachbarn Abschied nahm. – Aus einem riesigen Theekessel stieg der neugeborne Dampf empor; denn aus der Gewalt, womit der in einem solch gemeinen Topf eingeschlossene Dampf den Deckel abwarf, lernten Papin und de Caus, die ersten Erfinder, diese neue Riesenmacht kennen. Soweit kam heute der zum Schimpfwort degradirte „Theekessel“ zu Ehren, wie das gereimte Programm folgendermaßen besagte:

De Caus sah sich drauf den Theekessel an,
Und sann und grübelte Nacht und Tag,
Wie man den Dampf wohl zu fesseln vermag,
Daß er als Sclave, als Trieb der Maschine
Der ganzen Menschheit zum Nutzen diene.
und als er gefunden die große Kunst,
Zu fesseln in Kesseln Dampf und Dunst,
Da kamen auch Andere hinterher
Und sannen und grübelten immer mehr,
Und fanden nach weiser Ueberlegung:
Das Heil unser Aller liegt in der Bewegung.

Dem Theekessel folgte ein mächtiges Dampfschiff, natürlich von Pferden gezogen, mit zahlreichen Passagieren besetzt und mit Kaufmannsgütern reich beladen, den Welthandel darstellend. Den Handel begleitete die Börse, welche in einer Schaukel bestand, auf der Herr Zwickauer mit einem würdigen Geschäftsfreunde bald als Haussier in die Höhe flog, bald als Baissier wieder niedersank, während das nächste Bild eine Stockbörse in des Wortes verwegenster Bedeutung zeigte, wo à tout prix losgeschlagen wurde. Ein wilder Lärm verkündigte die Dampfmusik der Zukunft. Auf dem Schornstein saß der langfingerige Capellmeister, von wo aus er das mit Hülfe des Dampfes getriebene Orchester von Monstre-Posaunen und Riesen-Ophikleiden dirigirte. Eine Dampfbäckerei lieferte kolossale Dampfbrode, bei deren Anblick die dicksten Bäcker vor Schreck zusammenschrumpften. Auch die neue englische Dampf-Wasserleitung mußte es sich gefallen lassen, mit all ihren Werken und Brunnen auf einem zierlichen Präsentirteller davongetragen zu werden. Den Schluß des imposanten Zuges bildete:

Die Nummer Tausend: „Borussia!“
Berlin zur Ehre, Berlin zur Zier –
Und war’ sie auch hundert Meilen von hier!
Das erste Tausend ist heut erreicht –
Das zweite auch folgt bald vielleicht
Und dampfet hinaus auf fernen Wegen –
(Dazu geb’ Gott uns seinen Segen!)
Dein Staat und der Stadt zum Ruhm und Schmuck!! –
Zu End’ ist mein Text jetzt, zu Ende der Zug.

Beim Anblick des letzten Bildes ertönte ein nicht enden wollender Jubel, womit dies jüngste Kind der Borsig’schen Industrie begrüßt wurde.

Unterdeß war es allmählich dunkel geworden; mit dem Beginn der Nacht entzündeten sich wie auf einen Zauberschlag Tausende von bunten Lampen und Laternen; zugleich flammten in rothem, weißem und grünem Glanze die Schornsteine des Borsig’schen Eisenwerkes von elektrischen Sonnen beleuchtet. Ganz Moabit schien von einem Kranze leuchtender Blumen umschlungen, von flammenden Schmetterlingen, riesigen Leuchtkäfern und Glühwürmern umschwärmt. Es war ein feenhafter Anblick, ein verkörpertes Märchen aus Tausend nur einer Nacht. Die Tanzplätze, von denen eine lustige Musik ertönte, alle Häuser, Vergnügungsorte und Gärten waren in ähnlicher Weise mit rothen, grünen und blauen Flammen erleuchtet. In transparentem Feuer glänzte ebenfalls die Ehrenpforte mit ihren Bildern. Wohin das Auge blickte, schimmerte, leuchtete und strahlte der ganze Ort wie eine kolossale Weihnachtspyramide, deren Spitze der hundert Fuß hohe Schornstein mit seinem elektrischen Lichte bildete. –

Wunderbarer als Alles aber war die würdige Haltung der zahllosen Menge und besonders der Arbeiter, welche mit stolzem Selbstgefühl jede Störung vermieden, und von Neuem den Beweis einer hohen Gesittung gaben.

Drei Kanonenschläge gaben jetzt das Zeichen zu dem von Herrn Borsig veranstalteten, großartigen Feuerwerk, welches den Schluß der Festlichkeiten bildete. Durch die dunkle Nacht schossen die glühenden Raketen, flammende Leuchtkugeln und feurige Garden. Im Brillantfeuer stieg eine mächtige Cascade auf und goß statt Wasser ihren sprühenden Funkenregen aus, worauf das Bild der tausendsten Locomotive in flammenden Linien am Horizont wie ein neues Sternbild, ein Symbol des ganzen Festes, niederschaute und mit jubelndem Beifallsrufe begrüßt wurde. Rothe, grüne und blaue bengalische Flammen warfen dazwischen ihr phantastisches Licht über die unzählige Menschenmasse, welche, Kopf an Kopf gedrängt, einem wogenden Meere im Phosphorglanze glich.

Nach dem Feuerwerke zerstreuten sich die Zuschauer, von denen ein Theil nach den Tanzplätzen eilte, während die Mehrzahl den Rückweg antrat. Jeder Anwesende aber nahm gewiß die Erinnerung eines schönen, bedeutenden Tages in seinem Leben mit, denn vom letzten Arbeiter bis zum Festgeber schien man es zu fühlen, daß es sich hier nicht um ein eitles Schaugepräge, nicht um eine Befriedigung der Eitelkeit und des sinnlichen Genusses, sondern um einen großen Gedanken, um eine mächtige Idee handelte, welche diese ganze Feier beseelte. Es war das Fest der Arbeit und des Menschenfleißes, das Fest der Verbrüderung zwischen Kopf und Hand, zwischen Arbeitgeber und Arbeiter, das Fest der Liebe zwischen allen Betheiligten, der Ehrentag des vierten Standes, welcher seine hohe Bedeutung fühlte, und durch seine würdige Haltung dieses stolze Selbstgefühl verrieth. Darum ruhte das Auge des wahren Menschenfreundes beim Scheiden noch einmal mit innerer Befriedigung auf der leuchtenden Inschrift des Portals:

Arbeit ist des Bürgers Zierde;
Segen ist der Mühe Preis.“ –

M. R.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 543. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_543.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)