Seite:Die Gartenlaube (1858) 539.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Dieser hatte alle Besinnung verloren und that, was man von ihm verlangte. Sein Befehl wurde mit der größten Pünktlichkeit nach dem Exercier-Reglement ausgeführt, die Officiere auf ihr Ehrenwort entlassen, von den Soldaten erbot sich die Mehrzahl, freiwillig in preußische Dienste einzutreten, was ihnen von Lützow gern bewilligt wurde. Dieser unblutige Sieg hatte jedoch die Franzosen auf die kleine verwegene Schaar aufmerksam gemacht; größere Colonnen des Feindes setzten sich in Bewegung, um sie zu verfolgen und ihr den Weg abzuschneiden, aber Lützow war ein Meister des kleinen Krieges, bekannt mit allen Listen und Schlichen, führte er die Seinigen durch Haide, Moor und Wald ungefährdet bis an die bairische Grenze, wobei es dem muthigen Parteigänger nicht an Sympathien der deutsch gesinnten Bevölkerung fehlte, die nur gezwungen noch ihre wahre Gesinnung verbergen mußte. In Eilmärschen rückte er bis nach der Stadt Hof vor, um dieselbe im Sturmschritt zu nehmen. Während er den Befehl ertheilte, kam der bairische Commandant mit einem Trompeter und wehendem Tuche herausgeritten. Alle glaubten schon, es sei dies ein Zeichen der Uebergabe, als dieser jedoch erklärte, daß der längst erwartete Waffenstillstand zwischen Napoleon und den Verbündeten abgeschlossen sei. Diese Nachricht wurde von Lützow und seinen Getreuen mit Unwillen aufgenommen, da sie sich mitten in ihrer Siegerlaufbahn aufgehalten sahen, aber sie konnten nicht länger Zweifeln und mußten demnach die Feindseligkeiten einstellen.

Abgeschnitten von jeder Verbindung mit dem Hauptheere, umringt von überlegenen feindlichen Abtheilungen, war die Lage der kleinen Schaar eine wahrhaft bedenkliche, da Napoleon, wie bekannt war, seinen besonderen Haß auf die „Freiwilligen“ und vorzüglich auf die „Lützower“ geworfen hatte. Diese traten indeß, dem abgeschlossenen Vertrage vollkommen trauend, ihren Rückweg an, nachdem ihr Führer dem in Dresden commandirenden General Gersdorf die nöthige Anzeige gemacht und dieser den Lieutenant von Gösnitz ihm als Marschcommissar zugetheilt hatte. Ungehindert gelangten die Truppen bis zu dem Dorfe Kitzen am Floßgraben, unfern Eisdorf und Groß-Görschen, zwei Meilen von Leipzig, wo sie des Nachts ankamen und sogleich ein Bivouac bezogen.

Kaum waren die Pferde abgezäumt, als die Meldung einlief, daß eine starke Cavallerie-Abtheilung anrückte, an deren Spitze sich der Oberst Becker befand. Dieser erklärte, „der Herzog von Padua, der in Leipzig commandirte, lasse den Major Lützow ersuchen, Halt zu machen, da er ihm Officiere senden werde, seinen ferneren Marsch zu dirigiren.“

Damit erklärte sich Lützow vollkommen einverstanden, beide Führer gaben sich gegenseitig das Ehrenwort, ihren Truppen keine Feindseligkeit zu gestatten, und ein Lieutenant der Freischaar wurde nach Leipzig abgeschickt, um von dem französischen Heerführer nähere Verhaltungsmaßregeln einzuholen.

Der Herzog von Padua hatte von Napoleon bereits den gemessenen Befehl erhalten: „Hinreichende Colonnen ausrücken zu lassen, um die Räuberbande,“ so titulirte der Kaiser das Lützow’sche Corps, „einzufangen und niederhauen zu lassen.“

Als der preußische Parlamentär sich bel ihm meldete und unter Berufung auf den abgeschlossenen Waffenstillstand um die weitere Bestimmung der Marschroute bis zur Elbe bat, entgegenete der Marschall:

„Der Major Lützow mit seiner Räuberbande ist auf Befehl des Kaisers außer dem Gesetz erklärt, er hat sich selbst von dem Waffenstillstande ausgeschlossen; Sie sind mein Arrestant.“

Vier handfeste Gensdarmen vollzogen sogleich den Befehl des Herzogs von Padua, indem sie den Officier packten und, nachdem sie ihn entwaffnet hatten, in festen Gewahrsam brachten. Unterdeß hatte Lützow vergebens auf die Rückkehr seines Abgesandten gewartet, von Stunde zu Stunde wuchs seine Verlegenheit, da ihm gemeldet wurde, daß neue feindliche Abtheilungen heranrückten und ihn vollends zu umzingeln drohten. Trotzdem er nicht an einen solchen Verrath glauben konnte, der in der Geschichte des Krieges und des Völkerrechts gleich unerhört war, befahl er den Seinigen, aus Vorsicht aufzusitzen. Er selbst ritt, von Körner begleitet, den feindlichen Truppen entgegen, welche in zwei Corps von fünftausend Mann bestanden. Da ihn ein breiter Feldgraben von den nahenden Gegnern trennte, gab er seinem Pferde die Sporen, um über den Graben zu setzen und von dem Commandeur Aufklärung zu verlangen. Das treue und sonst so sichere Thier trat fehl und strauchelte, so daß der Reiter zu fallen drohte. Theodor konnte sich nicht enthalten, ein Zeichen schlimmer Vorbedeutung zu sehen, und äußerte sich auch in diesem Sinne. Lützow lachte über seinen Aberglauben und bat ihn, die Poesie aus dem Leben zu verjagen.

An der Spitze der ihm gegenüberstehenden Truppen ritt der würtembergische General Normann. Er begrüßte Lützow mit militairischer Höflichkeit, und als dieser um gefällige Aufklärung bat, ob ihm und seinem Corps der Aufmarsch gelte, versicherte[WS 1] jener auf Ehrenwort: „er habe nur Befehl, das nächste Dorf zu besetzen.“ Dagegen bezeichnete er den französischen General Fourier als Befehlshaber der ganzen Abtheilung, und verwies ihn an diesen. Als Lützow sich dahin wendete mit dem Ersuchen, Halt zu machen, um ein Zusammendrängen mit seinen Leuten zu vermeiden, entgegnete der General mit kreischender Stimme:

„L’armistice pour tout le monde, excepté pour vous!“ (Waffenstillstand für Alle, nur nicht für Euch!)

Jetzt konnte Lützow nicht länger über die Absicht des Feindes im Zweifel sein. Schnell wandte er sein Pferd, welches diesmal den Sprung über den breiten Graben ihm nicht versagte. Hinter ihm drein sprengte Körner, doch ehe die Beiden noch die Waffenbrüder erreichten, schwenkte die würtembergische Cavallerie, welche den auf der Chaussee in gestreckter Linie reeitenden Lützowern zur Seite ritt, mit gezogenen Säbeln ein, und warf sich auf die eines solch niederträchtigen Ueberfalls nicht gewärtigen Preußen. Diese wehrten sich mit Löwenmuth, und fochten wacker für ihr Leben. Bald war Körner von dem Getümmel mit fortgerissen, zwei feindliche Dragoner bedrängten ihn zu gleicher Zeit, als er eben im Begriff stand, sich zu Lützow durchzuschlagen, der verwundet vom Pferde gesunken und von Feinden umringt war. Mit kräftigen Hieben wehrte er die beiden Reiter ab, als ein Dritter in der Uniform eines höheren Officiers heransprengte, und ihm den Weg verlegte. Theodor glaubte kaum seinen Augen zu trauen, als er in dem Gesichte seines neuen Gegners die ihm verhaßten Züge des Barons von Färber wiederfand.

„Ergeben Sie sich!“ rief ihm dieser von Weitem zu.

„Lieber todt, als in Ihre Hände fallen,“ antwortete Theodor mit edler Entrüstung.

„So nimm das,“ schrie der Baron, mit einem Pallasch zu einem Hiebe ausholend, den Körner jedoch mit Geschicklichkeit parirte.

Die beiden Reiter hatten sich ein wenig zurückgezogen, vielleicht aus Respect für ihren Oberen, oder weil sie so viel Ehrgefühl und Achtung vor Körner’s Tapferkeit besaßen, daß sie nicht mit dreifacher Ueberlegenheit einen einzelnen Feind angreifen wollten. Damit schien aber dem Baron, der die Stärke seines Gegners bald kennen lernte, nicht gedient zu sein.

„Was steht Ihr?“ rief er ihnen zu. „Helft mir, dem Burschen das Garaus machen!“

Erschöpft von dem anstrengenden Kampfe und aus mehreren Wunden blutend, hielt sich Theodor unter solchen Umständen verloren, aber auch jetzt verließ ihn nicht sein Muth und die Geistesgegenwart, indem er zu einer Kriegslist seine Zuflucht nahm.

„Die vierte Escadron soll vorrücken!“ rief er mit starker Stimme in den Wald hinein.

Die Feinde, welche einen Hinterhalt vermutheten, stutzten und zogen sich zurück, voran der Baron, welcher seinem Pferde feig die Sporen gab und davon sprengte, gefolgt von den Reitern. – Es war die höchste Zeit, denn im nächsten Augenblick sank Theodor, von übermäßigem Blutverlust geschwächt, ohnmächtig von seinem Pferde auf den grünen Rasen nieder.

Es war bereits dunkle Nacht, als Körner aus seiner Ohnmacht erwachte. Mühselig schleppte er sich zu dem nahen Birkenwäldchen, wo er, erschöpft von einem neuen Blutverlust, bis zum Morgen liegen blieb. Die Wunden schmerzten ihn, seine Lippen brannten, deshalb machte er noch einen Versuch, den vorbeifließenden Bach zu erreichen, wo er mit hohler Hand ein wenig Wasser schöpfte. Zwei Bauerkinder, welche im Walde nach Früchten suchten, hörten sein Stöhnen, und kamen neugierig herbei. Er winkte ihnen und das Mädchen bot ihm mitleidig ihr mit frisch gepflückten Erdbeeren gefülltes Körbchen an. Nachdem er sich daran erquickt, ergriff er mit vom Fieberschauer zitternder Hand seine Brieftasche, und riß ein Blatt heraus; dann schrieb er den Namen eines Freundes in Leipzig darauf. Den Zettel gab er dem Knaben, eine gute Belohnung verheißend, zur Besorgung. Dieser versprach, den Auftrag zu vollziehen, und kehrte im eiligsten Laufe nach dem Dorfe zurück, während das Schwesterchen bei dem Verwundeten zurückblieb, um ihn

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: versicher
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 539. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_539.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)