Seite:Die Gartenlaube (1858) 537.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

No. 38. 1858.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Leyer und Schwert.
Historische Novelle von Max Ring.
(Fortsetzung.)


Neben dem flotten Studenten stand der ruhige Bürger, der fleißige Beamte, der kräftige Bauer. Der Unterschied der Stände schien vollkommen aufgehoben und die ganze Nation glich einer riesigen Familie von gleichgesinnten Brüdern. Der einseitige, provinzielle Geist war verschwunden, es gab jetzt keine Schlesier, keine Sachsen, Brandenburger, Ost- und Westpreußen mehr; nur ein Volk, erfüllt von der erhabensten Begeisterung.

Das war eine herrliche Zeit, ein mächtiger Völkerfrühling voll göttlicher Blüthen!

Jedes Herz fühlte sich gehoben, jede Kraft entfaltete frei ihre Schwingen. Der niedrige Egoismus mußte vor dem gewaltigen Aufschwunge, vor dem frischen Enthusiasmus weichen. Der Gelehrte verließ seine Studirstube, der Landmann seinen Pflug, der Schreiber warf die Feder hin, um nach der Büchse zu greifen. Auf den Altar des Vaterlandes legte Jeder seine Opfer nieder, der reiche Mann seine Schätze, die arme Wittwe ihren Trauring, das Höchste, was ihr übrig geblieben. Eine Jungfrau Breslau’s, welche das schönste blonde Haar besaß, hatte sich dasselbe abschneiden lassen und verkauft, weil sie nichts bieten konnte, als diesen einzigen Schmuck, den ihr Gott gegeben. Aus ihren Locken wurden Ringe geflochten und zu hohen Preisen bezahlt als ein Andenken ihrer hochherzigen Gesinnung.

Die Straßen waren mit Kanonen und Munition angefüllt; in den Werkstätten wurden Geschütze gegossen, Lafetten gebaut und alle Handwerker arbeiteten unablässig bei Tag und Nacht an der Ausrüstung des Heeres. Wer nicht als Krieger mitgehen konnte, blieb darum nicht zurück und förderte in seiner Weise das Werk der Befreiung. Frauen zupften Charpie und nähten Verbandstücke, Knaben leerten ihre Sparbüchsen oder trugen Waffenstücke herbei, stolz auf ihre Bürde und traurig, daß sie wegen ihrer Jugend an dem Kampfe noch nicht Theil nehmen durften.

In diesen Tagen der frischesten Entwickelung und Begeisterung war auch Körner auf Umwegen in Breslau angelangt. Er brannte vor Begierde, sich den Reihen der Krieger anzuschließen. Seine Wahl war schnell getroffen, er meldete sich bei der Freischaar, welche der kühne Major von Lützow unter seine Fahne sammelte. Theodor wurde nach einer ärmlichen Schenke vor dem Oderthor gewiesen, wo sein künftiger Befehlshaber sein Quartier aufgeschlagen hatte. Er trat in ein großes, ärmliches Zimmer und frug nach dem Major, der jedoch, durch dienstliche Geschäfte abgehalten, nicht zugegen war. An seiner Stelle empfing ihn eine zarte Dame mit feinen Zügen, deren vornehme Haltung und Anmuth wunderbar von der wüsten Umgebung abstach. Sie befand sich von einem Kreise jugendlicher Krieger umringt, von denen sie mit größter Ehrerbietung angeredet wurde. Ihr schlanker Wuchs, die blonden Locken um die edle, weiße Stirn und die blauen, mild strahlenden Augen verliehen ihr das Aussehen eines deutschen Frauenbildes, wie es die alten Maler darzustellen liebten. Ein eng anschließendes, bis zu dem Nacken hoch hinaufreichendes Kleid von schwarzer Seide und ein weißer stehender Kragen verstärkten diesen Eindruck keuscher Weiblichkeit.

„Ich bin die Gattin des Majors von Lützow,“ sagte sie mit sanfter, wohlklingender Stimme. „In seiner Abwesenheit bin ich bereit, Ihre Wünsche zu vernehmen.“

„Ich habe die Absicht, als Freiwilliger einzutreten. Da aber der Herr Major nicht zugegen ist, so will ich zu einer gelegeneren Zeit kommen.“

„Er hat mich ermächtigt, in seiner Abwesenheit die Meldungen anzunehmen; darum bitte ich um Ihren Namen, damit ich ihn in die Liste des Bataillons eintragen kann.“

„Ich heiße Theodor Körner,“ entgegnete der Dichter zögernd.

„Theodor Körner!“ rief die Dame überrascht, indem sie sich verneigte. „Der Dichter Körner! Sie sind uns Allen hoch willkommen als eine der schönsten Zierden unseres Corps.“

Damit reichte sie dem Jünglinge ihre weiße Hand wie einem alten Freunde. Auch die übrigen Anwesenden drängten sich an ihn heran, um ihn herzlich zu begrüßen. Besonders zutraulich erwies sich ihm ein hochgewachsener Krieger mit den edelsten Zügen, der in seinem blonden Lockenschmucke und seinem kräftig männlichen Wesen auch auf Theodor den angenehmsten Eindruck machte. Er nannte sich Friesen und war eine jener Heldennaturen, bei denen sich die Stärke mit der Anmuth, die Kraft mit einer seltenen Bescheidenheit paarte. Nicht mit Unrecht erhielt und verdiente er später den Namen des deutschen Achill. Friesen war zu Großem berufen, als ihn auf französischem Boden eine tückische Kugel aufständischer Bauern mitten in seiner Siegeslaufbahn niederstreckte.

Beide Jünglinge fühlten sich vom ersten Augenblicke an zu einander hingezogen und waren schon nach wenig Stunden innig befreundet. In solch aufgeregten Zeiten reift die Blüthe schnell zur Frucht und die Herzen, die ein gleiches Gefühl entflammt, finden und verstehen sich im raschen Fluge der Begeisterung. Auch für die Majorin von Lützow, die später als Gräfin Ahlefeldt in ein bekanntes Verhältniß zu dem Dichter Immermann trat, empfand Theodor die aufrichtigste Verehrung, welche bald in die reinste

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 537. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_537.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)