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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)


gebrauchen ist, selbst Wochen lang uns im Stiche läßt, ohne uns nur ein einziges Mal zu erlauben, die wirkliche Zeit von ihr abzulesen, so hat sie doch wenigstens den großen Vortheil, daß ihre Angaben mit der Wirklichkeit stets und unter allen Umständen übereinstimmen, weil sie von der Wirklichkeit selbst nur ein treues Abbild darstellt. Und doch wird unser Glaube an die Untrüglichkeit der Sonnenuhren zu Gunsten eines Vorurtheiles oft erschüttert, das wir für unsere theuer erkaufte, für ganz solid garantirte Taschenuhr hegen, welche durchaus zu manchen Zeiten des Jahres, ja fast niemals mit der Sonnenuhr gleichen Schritt hält. Freilich, wir bedenken nicht, daß die Sonnenuhr sich nach den Ereignissen am Himmel selbst richtet, die Taschenuhr den geregelten Gang beibehalten muß, den der Künstler ihr einmal beigebracht. Beide, Sonnenuhr und Taschenuhr, gehen richtig und weichen dennoch ab, ja sie müssen abweichen, wenn wir nicht letztere einen Tag um den andern corrigiren, zum schnellem oder langsamem Gange stellen wollen. Worin aber der eigentliche Grund dieser Erscheinung, dieses zeitweiligen Nichtübereinstimmens liege, wollen wir in einem zweiten Artikel untersuchen, der von der mittleren Zeit und deren Zeitmessern handelt.




Blätter und Blüthen.


Ein Handelsartikel, der seinen Markt vorzugsweise in Paris hat, sind unechte Adelsdiplome und untergeschobene Ordensdecorationen. Ein Börsenspieler B. fand, daß er, um für einen Mann von Bedeutung zu gelten, einer Ordensdecoration bedürfe. Er sprach gegen mehrere Personen seine Sehnsucht nach einem Stern oder Bändchen aus und eine von diesen bezeichnete ihm einen Herrn G., der sich G. de Chahaignes nennen ließ, als einen Mann, der wohl im Stande wäre, ihm zur Erfüllung seiner Wünsche zu verhelfen. G., ein ehemaliger Notar, der in Folge gerichtlicher Verfolgung genöthigt gewesen, seine Stelle niederzulegen, und der seitdem sich mannichfachen industriellen Unternehmungen zweideutigen Ursprungs hingegeben, brachte den Bittsteller mit einem gewissen D., einem Winkelmakler an der Börse, in Verbindung, und dieser Letztere wies den Ordenssüchtigen an Herrn L., der sich Graf L. de Bellefonds nannte. Nach mancherlei Verhandlungen verpflichtete sich der Pseudograf von Bellefonds, Herrn B. gegen Erlegung von 2000 Fr. den „Orden der vier Kaiser von Deutschland" zu verschaffen. Herr B. erklärte sich zur Zahlung jener Summe bereit, wünschte aber zuvor Näheres über die Personen, mit denen er zu thun habe, zu erfahren und sich von der Rechtsgültigkeit der Titel, die man ihm verkaufen wollte, zu überzeugen. Man fand dies Begehren gerechtfertigt und wies den Liebhaber ausländischer Orden an den Herrn Grafen v. St. Maurice-Cabanis. Dieser seltsame Graf ist ganz einfach ein Herr C., Sohn eines ehemaligen Papierhändlers der Straße St. Avoie. Er gab den „Necrologe Universel" heraus und nannte sich Historiograph des „Ordens der vier Kaiser von Deutschland“ und des „Löwen von Holstein-Limburg,“ Von dem Besuche des Heren B. im Voraus unterrichtet, nahm er denselben mit einer würdevollen Courtoisie auf. Seine Brust war mit Bändern und funkelnden Ordenssternen bedeckt. Um ihn her lagen Pergamente mit heraldischen Wappen. Der eitle Börsenmann war von diesem Glanze geblendet. Als der Graf ihm versicherte, er habe mit den respektabelsten Persönlichkeiten zu thun, beeilte er sich, den Handel abzuschließen, zahlte die 2000 Francs und erhielt dafür ein Diplom, das ein wahres Meisterstück der Kalligraphie war. Begierig sein Ordensband in das Knopfloch zu knüpfen, eilte B in die Kanzlei und suchte um die Autorisation nach, die Insignien des „Ordens der vier Kaiser" tragen zu dürfen. Man antwortete ihm, daß dieser Orden seit langer Zeit aufgehört habe zu existiren (wenn er überhaupt jemals bestanden hat). Wüthend über den Betrug, dem er zum Opfer gefallen, machte er eine Klage anhängig und die Untersuchung, zu welcher diese Klage Anlaß gab, führte zu der Entdeckung eines beträchtlichen Handels, der in Paris, London, Brüssel, Madrid, Rom, Florenz und Parma seine Märkte hat und von Industrierittern geleitet wird, die auf die Eitelkeit ihrer Mitmenschen speculiren. Gegenstände dieses Handels sind Pergamente, Genealogien, Adelstitel, Ahnenbilder, Decorationen, Ehrentitel, Diplome gelehrter Gesellschaften u. s. w.

In Paris sind die Etablissements dieser Art sehr zahlreich. Die Leiter derselben nennen sich Wappenrichter (juges d’armes), Genealogen, Chronologisten, Historiographen, und entfalten in dieser eigenthümlichen, nicht patentirten Industrie eine große Fruchtbarkeit der Phantasie. Sie verschaffen jedem Beliebigen, der ihnen zahlt, seine Biographie, seine Genealogie mit zahlreichen Ahnen, Adelscertificate und im Nothfalle auch Decorationen. An Personen, welche behaupten, ihre Familienpapiere verloren zu haben, verkaufen sie mehr oder weniger authentische Pergamente. Einige dieser Industriellen haben gewisse unbedeutende Orden zu ihrer Disposition, die von kleinen italienischen Fürsten und Autoritäten gegründet worden. Diese gehen mit einer Art von Regelmäßigkeit zu Werke. Sie haben ein goldenes Buch, ein wahres Meisterwerk der Typographie und des Kupferstichs, dessen Seiten die Namen der Gewählten enthalten. Sie bringen Genealogien zum Vorschein, in denen die Wahrheit mit dem Betruge in so geschickter Weise vermischt ist, daß es fast unmöglich ist, den letztern nachzuweisen. In ihrer Eigenschaft als juges d’armes ertheilen sie Titel und Decorationen, mit denen sie nachher handeln. Die Anderen, welche über solche Mittel nicht verfügen, verlegen sich einfach auf Gaunereien. Sie haben ebenfalls ihr goldenes Buch und ihre Genealogien, welche, wie man leicht denken kann, rein erfunden sind. Jene Industrieritter ließen abgeschaffte Orden wieder aufleben, oder sie schufen neue Orden, wie z. B. den des „Don Juan von Nicaragua“, und um den Wirkungen des Gesetzes von 1853 zu entgehen, welches den Gebrauch von Decorationen ohne Autorisation der Kanzlei verbietet, trugen sie in der Regel ein Datum ein, das der Promulgation jenes Gesetzes vorangeht. Sie verkauften auch Diplome mit Consuls- und Viceconsuls-Titeln, gründeten angebliche Akademien oder gelehrte Gesellschaften, ertheilten Medaillen an Industrielle und Kaufleute, verliehen Ehrentitel, vermittelten Heirathen und verschmähten nicht, auf Wucherzinsen Geld auszuleihen.




Heringszüge. In einem noch ungedruckten Werke des Herrn Dr. Schilling in Naumburg, welcher früher Conservator am Universitätsmuseum in Greifswald war, „Anweisung zur Anlegung von zoologischen Sammlungen,“ welches wir allen Freunden der Zoologie im Voraus mit bestem Gewissen empfehlen, fanden wir folgende Nachricht über die Heringe, welche wichtige Aufschlüsse über diesen äußerst nützlichen Fisch enthält und deshalb eine weitere Verbreitung verdient. Er sagt: „Was insbesondere den Hering betrifft, der wegen seines außerordentlichen Nutzens für den Küstenbewohner eigentlich verdiente, Goldfisch genannt zu werden, so mag ich auch nicht behaupten, daß er seit vierzig Jahren, seit welcher Zeit ich den Fang desselben aus eigener Anschauung kenne, an Menge zugenommen habe, vielmehr könnte man Spuren seiner Verringerung nachweisen. Wenn daher die Heringsfischereien in dem Maße zunehmen, wie es bisher geschehen ist, dann wird die Zeit auch nicht mehr fern sein, wo man es für nöthig halten wird, diesem überaus nützlichen Fische in seiner Laichzeit eine kurze Periode gesetzlichen Schutzes angedeihen zu lassen.

„Man glaubte vormals allgemein, und es sind noch jetzt Viele der Meinung, daß der Hering aus dem hohen Norden alljährlich an unsere Küsten komme; dies ist jedoch ein Irrthum, der dadurch widerlegt wird, daß die Heringszüge sehr oft an südlich gelegenen Küsten in Menge vorkommen, während sie zur Zeit an nördlicheren Küsten noch gar nicht erschienen sind. Dann zweitens würde der junge Hering, der aus den an unseren Küsten gelaichten Eiern geboren wird, genöthigt sein, ungeheuere Reisen nach den hochnordischen Meeren zu machen; allein ich habe denselben in allen Altern und zu allen Jahreszeiten in unseren Küstengewässern angetroffen. Die noch ganz kleinen Thiere fand ich im Brackwasser in den in die See ausmündenden Flüssen und Binnengewässern, die größeren, aber noch nicht ausgewachsenen im Wasser des äußeren Strandes, z. B. in der Umgebung der Inseln Oe und Hiddensee etc. in der Ostsee, von wo sie sich dann nach erlangtem weiteren Wachsthum in die größeren Tiefen der letzteren ziehen, um dann nach erlangter völliger Reife von dort als Laichheringe an ihr Geburtsland zurückzukommen. Die aus dem tiefen Meere zurückkehrenden maßlosen Züge der Heringe werden wahrscheinlich von kleineren Leitzügen geführt und diese scheinen sehr willkürlich ihre jedesmalige Richtung zu nehmen; denn die Züge kehren oftmals nicht alljährlich in gleichem Maße an derselben Oertlichkeit wieder. Ich kenne viele Beispiele, wo sie in einem Jahre Gewässer der Küste, in denen sie die Jahre vorher sehr häufig waren, sehr wenig oder gar nicht besuchten und dagegen die nur fünf bis sechs Meilen entferntern mit ihren Massen überschwemmten. Es mögen auch noch andere unbekannte Ursachen dieser merkwürdigen Erscheinung des Heringszuges zu Grunde liegen, welche einer weiteren Beobachtung vorbehalten bleiben. Die Züge der sich aus der Meerestiefe nach den Küstengewässern bewegenden Heringe sind oftmals von fabelhafter Größe. Sachkundige Fischer, welche ich zum Fange begleitete, zeigten sie mir in der starken Dämmerung von meilenweiter Länge und Breite, nicht etwa auf der Meeresfläche, sondern am Wiederschein der durch sie erhellten Atmosphäre. Sie ziehen dann so gedrängt, daß Boote, die dazwischen kommen, in Gefahr gerathen. Mit Schaufeln kann man sie dann unmittelbar in das Fahrzeug werfen, und ein langes Ruder, welches in diese lebende Masse gestoßen wurde, blieb aufrecht stehen. (Außer dem gemeinen Heringe, Clupea Harengus L. kommen in unseren Meeren, wie auch in anderen, mehrere Arten vor, die ich bei der systematischen Aufzählung anführen werde, welche für den Menschen ebenfalls sehr werthvoll sind.)"

L. Brehm.




In dem so eben im Verlage von C. A. Händel in Leipzig erschienen, mit Stahlstichen ausgestatteten Werke des Dr. Gustav Rasch: „der Thüringerwald und das Thüringerland“ ist zum ersten Male die geschichtliche Bedeutung der Neuenburg, des alten Landgrafenschlosses oberhalb von Freiburg a. d. Unstrut, ordentlich gewürdigt worden. Sie war von keiner geringeren Bedeutung, als die Wartburg. „Lasset mir meine liebe Elisabeth den armen Menschen nur Gutes thun. Niemand frage Etwas darwider, wenn sie nur Wartburg, Neuenburg und Eisenach nicht verschenkt,“ sagte Landgraf Ludwig der Eiserne und stellte so die Neuenburg mit der Wartburg in eine Reihe. Der Strom der Reisenden ist bis jetzt an dem schönen Unstrutthale so ziemlich vorübergerauscht und Wenige haben deshalb dem alten, schöner als die Wartburg gelegenen und jetzt neu restaurirten Schlosse Notiz genommen. Der Verfasser des erwähnten Werkes hat sich dadurch ein Verdienst um die Geschichte Thüringens erworben, daß er der Neuenburg ein besonderes Capitel widmet, in welchem er alle auf das Schloß bezüglichen historischen Notizen und Sagen mit Schärfe und Klarheit sondiert und in einer elegant geschriebenen Darstellung auf die Wichtigkeit des alten, berühmten Landgrafenschlosses aufmerksam macht.

–r. –




Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 536. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_536.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)