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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Hafenbauten und den mächtigen Querbau durch das Meer von einem Ende der Hafenbucht bis zum anderen, der als „Wogenbrecher“ dienen sollte. Erst Napoleon, der sich ärgerte, daß man den „Wogenbrecher“ für eine Unmöglichkeit erklärte, ließ wieder mit Energie und Wuth daran arbeiten. Aber seine Kriege zu Lande und sein Ende vor seiner Zeit verhinderten seine Pläne gegen England und die Vollendung des Wogenbrechers. Er ward fortgesetzt 1829–30, 1840 ziemlich und 1853 ganz vollendet, nachdem man 68 Jahre daran gebaut. Der jetzige Napoleon ließ blos vervollkommnen und abrunden, was noch fehlte. Er ist der großartigste Wasserbau in der Welt, 2 1/2 englische Meilen lang und auf dem Grunde 200 Fuß breit, im Durchschnitt 50 Fuß hoch, ganz von Stein und Cement. Er bildet dem Oceane gegenüber einen Winkel von 169 Grad. Beide Endpunkte sind befestigt und mit Kanonen gespickt, eben so die gegenüberliegenden festen Punkte des Landes, die blos enge Durchfahrten in das Haupthafenwasser bieten. Letzteres gewährt nun eine geschützte Herberge für 50 Segel- und eben so viel Fregattenschiffe.

Der Kriegshafen innerhalb ist ein Werk Napoleon’s I., begonnen 1803 und bestehend aus einem Hafen und zwei Fluth-Docks, einem Marine-Arsenal etc. Sein Beschluß, noch einen inneren Dock auszuführen, blieb unerfüllt und ward erst 1836 begonnen und von dem jetzigen Napoleon vollendet, um am 6. August in Gegenwart der Königin von England und der meisten Größen Englands eingeweiht und gefüllt zu werden. Er ist 70 Fuß tief in soliden Felsen hineingesprengt und groß genug, 12 Kriegsschiffe erster Classe aufzunehmen. Die Füllung dieses ungeheuern Felsenwasserbeckens war die Hauptscene bei den Festlichkeiten und dauerte länger, als eine fünfactige Tragödie, nämlich vier Stunden.

Wir sehen, daß das künstliche Hafenwerk aus drei Bassins besteht, dem Außenhafen 900 Fuß lang und 750 breit, groß genug für eine ganze Kriegsflotte, mit Eingangscanälen zwischen 200 bis 500 Fuß breit, einem Fluth-Bassin 900 Fuß lang und 700 breit mit Schuppen für Kriegsschiffbau und einem speciellen Dock, drittens dem inneren Fluthhafen oder dem Bassin Napoleon III., in Verbindung und Trennung durch Fluththore mit den anderen Hafentheilen, 1300 Fuß lang, 650 breit und 70 tief – das ungeheuerste künstliche Wasserbecken in solider Felsenwandung. Drum herum kleinere Trocken-Docks etc. Das Bassin „Napoleon III.“ besteht nach Tocqueville „aus egyptischen Pyramiden, abwärts in den Felsen gehauen, statt aufwärts gethürmt.“

Diese stolzen, gigantischen Kriegshafenwerke sind umgeben von einem Sebastopol von dreißig Festungswerken mit mehr als dreitausend Kanonen, die Eingänge zu Wasser doppelt und dreifach durch sich kreuzende Kanonenschußlinien schützend, so daß jedes Schiff, das sich in feindlicher Absicht hineinwagte, von drei Seiten zugleich binnen drei bis vier Minuten von mehreren hundert Kanonenkugeln durchlöchert werden würde, um, wenn es diesen träufelnden Regen dennoch überstanden haben sollte, vor sich noch andere derartige Kanonenkugel-Cascaden auf sich herabspielen zu lassen. Wir wollen die einzelnen Forts, die an allen Ecken der Meeresseite und weit draußen im Meere lauern, nicht namentlich nennen; auch begnügen wir uns mit der Bemerkung, daß die hinter malerischen Hügeln und Felsen nistende, an sich unbedeutende Stadt von der Landseite her eben so doppelt und dreifach mit Forts und Redouten gespickt ist, um eine Einnahme auf trockenem Wege ebenfalls doppelt und dreifach unmöglich zu machen, die Einfuhr von Soldaten und Munition aber zu schützen, zu erleichtern und zu beschleunigen.

So wäre das Kriegsvorrathshaus, der Hebelpunkt, um von da aus England aus den Angeln zu schleudern oder das ganze mittelländische Meer unsicher zu machen, das Sebastopol Napoleon’s vollendet, nachdem er in Alliance mit den Engländern das Sebastopol Nikolaus I. seiner Schrecken beraubte.

Mehrere englische Zeitungen wüthten gegen den Besuch der Königin als „die größte Schmach, die England je erduldet“ und drohten mit Meetings, dem offen ausbrechenden Zorne der Nation, welche diesen Besuch zu verhindern wissen werde. Aber in dieser Richtung blieb Alles still. Nur in dem Eifer, das Geschwader der Königin in besonderen, auf Speculation eingerichteten Yachten und Booten à 5 oder 10 Pfund die Person (letztere mit Beköstigung) zu begleiten, zeigten die höheren und reicheren Classen den heißesten Eifer. Daraus geht hervor, daß die Engländer diese Art von Schmach nicht mehr zu fühlen fähig sind, oder daß diese Auffassungsweise überhaupt veraltet ist und ihre Macht verloren hat. „Nationale Gefühle“ haben dabei gar keine Macht gezeigt. Jeder, der Geld genug hatte, fühlte nur, daß es in Cherbourg ein ungewöhnliches Schauspiel geben werde, das nicht alle Tage vorkomme und das man deshalb auf jeden Fall mit zu genießen suchen müsse. Dies trieb mehr Engländer nach Cherbourg, als Franzosen zugelassen wurden. Sie waren es, welche das Fest verherrlichten und dem Kaiser Napoleon freiwillig den höchsten Triumph bereiteten. Die Königin war eingeladen und kam, kam mit der Elite der ganzen Nation.

„Wenn er nun als Feind nach England käme,“ sagte eine Zeitung, „wär’s eben so schlimm, als hätte er bei dem Banket den Wein der Königin eigenhändig vergiftet.“

Aber die Zeit zieht ihre eigenen Schlüsse und diese wollen wir abwarten. Was den atlantischen Telegraphen anlangt, so sprechen wir mit unsern Lesern noch ein Weiteres darüber.





„Zeit“ und „Zeitmesser.“

Die großartige Thatsache der gelungenen Legung des transatlantischen Telegraphentaues hat zugleich eine andere, bisher wohl gekannte, aber wenig beachtete Thatsache zu allgemeinerer Bedeutung gebracht, – die Thatsache des Zeitunterschiedes, der zwischen zwei ost-westlich von einander liegenden Punkten der Erdoberfläche stattfindet. Die Sache ist von Wichtigkeit bei dem nunmehr zwischen der alten und neuen Welt eintretenden Telegraphenverkehr, denn es handelt sich hierbei nicht allein um Stunden, nein, es kann der merkwürdige Fall eintreten, daß eine in Europa am 1. September z. B. aufgegebene Depesche Tags zuvor, also den 31. August Abends noch in Amerika anlangt. Wie geht dies zu?

Die Erde ist Kugel und bewegt sich täglich einmal in der Richtung von Westen nach Osten um ihre Achse, eine von Pol zu Pol gedachte Linie. Nicht alle Punkte der Kugeloberfläche können zu derselben Zeit eine gleiche Stellung zur Sonne einnehmen, diese vorläufig innerhalb eines Tages in unveränderter Stellung zur Erde gedacht. Bei der fortschreitenden Achsendrehung werden nach und nach andere Punkte in die Stellung früherer gelangen, die Stellung eines Punktes zur Sonne aber bedingt die „Zeit.“ Der natürlichste Anfangspunkt dieser gleichen Zeitabschnitte (denn gleich sind sie, weil die Achsendrehung der Erde mit der größten Regelmäßigkeit vor sich geht und stets 24 Stunden dauert) ist der Zeitpunkt, in welchem sich für einen bestimmten Ort die Sonne am höchsten über dem Horizonte befindet. Dieser Zeitpunkt ist der Mittag für jeden Ort; für verschiedene Orte, die ost-westlich auseinander liegen, wird es daher auch verschiedene Mittage geben müssen, und natürlich muß ein Ort später Mittag haben, als ein anderer, wenn ersterer westlich von dem zweiten liegt, denn da die Achsendrehung der Erde von West nach Ost gerichtet ist, so muß der Eintritt des Mittags an verschiedenen Orten in umgekehrter Ordnung erfolgen. Zwei Punkte der Erdoberfläche, welche um den halben Erdumfang von West nach Ost auseinander liegen, werden deshalb einen Zeitunterschied von 12 Stunden haben, so daß, während es an dem einen Mittags 12 Uhr ist, gleichzeitig der andere Mitternacht hat. Nach dem Gesagten wird man daher leicht den Zeitunterschied zweier Orte finden können, wenn man nur ihren Längenunterschied kennt, d. h. wenn man weiß, wie viele Grade der geographischen Länge der eine westlicher gelegen ist, als der andere.[1] Man multiplicirt alsdann die Anzahl der Grade mit vier und erhält so den Zeitunterschied

in Minuten ausgedrückt, welche man von irgend einer gegebenen

  1. Da man den ganzen Erdumfang (Aequator) in 360 gleiche Theile (Grade der Länge) sich zerlegt denkt, der Zeitunterschied aber für 180 Grade 12 Stunden beträgt, so muß für jeden Grad ein Unterschied von 12/180 Stunden oder von 4 Minuten stattfinden; um so viel wird an dem um einen Grad westlicher gelegenen Orte der Mittag später eintreten, also die Zeit zurück sein gegen den östlicher gelegenen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 534. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_534.jpg&oldid=- (Version vom 23.3.2021)