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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)


aber kleinere, von denen eine ziemliche Menge glänzender, genau gearbeiteter Modelle von verschiedener Größe gezeigt wurden, sollen sich bewähren.

Aus der Kanonengießerei traten wir heraus in’s Freie, nein, erst in den Kanonenwerft: acht Straßen dicht neben einander schlummernder Kanonen. Der Officier sagte mir: es sind über 1500. Und wie viel Tausende schwimmen schon auf allen Meeren? Ein unvergeßlicher und der herzzerreißendste Anblick für mich – diese Straßen noch in aller Unschuld schlummernder Kanonen! Welche Stätte friedlichen Fleißes, welche Väter vor ihren Weibern und Kindern, welche unschuldigen Kinder und Frauen werden sie noch zerreißen, und welche Haufen von Leichen und Ruinen werden sie noch produciren! Daneben erheben sich einige Dutzend Kanonenkugel-Pyramiden! Und Pyramiden von Kartätschen, Bomben und Shrapnells! O und rings um, weit umher ringsum dieses Rauchen und Pfauchen, dieses Donnern, Dröhnen und Krachen, diese immer und immer bebende Erde unter meinen Füßen, dieses dumpfe Aechzen aus verschiedenen Werkstätten, diese gen Himmel spritzenden Feuerfontainen aus langen, schlanken Schornen, diese schnarrenden und quiekenden Krahne und Hebel, mit gewaltigen Eisenlasten in der Luft spielend, diese sieben Meilen langen Schafte, Tausende von Tod und Verderben producirenden Rädern in rasender Hast schwirrend, als wäre jede Minute eine Stunde werth in dieser Industrie – und diese ruhigen, friedlichen Menschen dazwischen, die mit derselben Seelenruhe millionenfachen Tod schaffen, wie der Bäcker Semmeln, diese spielenden und über die schlummernden Feuerschlünde springenden Kinder, die wahrscheinlich Ferien hatten, bis ihre Stunde für Bedienung der unersättlichen Maschinen wieder schlug!

Wer bürgt Dir dafür, braver, rothbäckiger Junge, daß die Kanone, auf der Du reitest, um so ritterlich Dein Butterbrod zu verzehren, nicht Dir oder den Deinigen die Glieder zu scheußlicher Verstümmelung zerrreißen wird? Wer bürgt diesem mit Todesvorrath für die ganze Menschheit prunkenden England dafür, daß nicht ein einziger Hafen, wie z. B. Cherbourg, mehr Verderben für es liefere, als sie hier producirt haben?

Wie man säet, wird man ernten. Und da die Engländer schon von jeher mit besonderem Bekehrungseifer für die Menschheit Kugeln von Blei und Eisen gesäet haben, können sie natürlich keinen Weizen auf diesen Feldern mähen. Aber das ist richtig, großartig und beispiellos in der Welt ist diese Kriegswerkstatt zu Woolwich. Und das muß allen Gläubigen gegen meine Friedenstaubenmoral ein Trost sein.




Vom Luxus.[1]
3. Der Luxus eines sinkenden Volkes.

Schon die Ueberschrift sagt, daß es eine Grenze gibt, bei deren Ueberschreitung der Luxus verderblich zu werden beginnt, moralisch verderblich, sobald er die Gesinnungen der Menschen zu beherrschen anfängt, die Kraft der Selbstbeherrschung lähmt und den Geist von großen Gedanken und edlen Entschlüssen ab zu entnervenden Vergnügungen niederzieht. Die Entsittlichung reißt dann wie ein schwellender Strom alle Schranken in verheerender Ausbreitung nieder und ist nicht blos eine theilweise innerhalb der höheren Stände, sondern eine ganz allgemeine. Es braucht zur Schwelgerei und Unmäßigkeit nicht kostbarer Prunkgeschirre. Die Ausschweifung herrscht im Palast wie in der Strohhütte. Nur die Form ihres Auftretens ist eine verschiedene. Werden die Menschen unmäßig und träge, so rührt dies von der Erschlaffung anderer edlerer Bestrebungen, von dem Widerwillen gegen andere Beschäftigungen her, wie Ferguson bemerkt, und Sallust schon sagt von dem späteren Römerstaate, dem großartigsten Beispiele eines verfallenden Volkes: „Nachdem man angefangen hatte, in Reichthümer eine Ehre zu setzen, und dieselben Ruhm, Herrschaft und Macht in ihrem Gefolge hatten, begann die Tugend und Tapferkeit abzunehmen, die Armuth für eine Schande, die Unbescholtenheit für Heuchelei gehalten zu werden. Daher kam aus dem Reichthum die Schwelgerei und die mit Stolz gepaarte Habsucht der römischen Jugend.“ – Der ungezügelte Luxus Rom’s ist aber nicht allein als Ursache des Sinkens anzusehen, denn er selbst ist erst wieder Wirkung und Symptom desselben.

Der Luxus verschlingt alsdann das ganze Volkseinkommen, er wird unklug und unsittlich. Auf eingebildete Genüsse und erkünstelte Sinnenreize werden enorme Summen verwendet. Unnatur tritt an die Stelle maßvoller Schönheit und eines wahren Genusses, Verweichlichung an die Stelle der Tüchtigkeit und Enthaltsamkeit. Die große Seltenheit einer Sache oder bedeutende Schwierigkeit ihrer Erlangung gibt schon an sich und häufig einzig den Reiz, sie zu begehren. Ein murrhinisches Waschbecken kostete dem Kaiser Nero 300 Talente (412,500 Thlr.); Sclaven der Kaiser besaßen Fischteiche in einem Areal von sieben Morgen Ackerlandes. Diese hatten einstmals dem ältesten römischen Bürger zur Erbauung der nöthigen Feldfrüchte genügt. Ein verschwenderischer Luxus wurde in menschengroßen Metallspiegeln getrieben, und nicht selten war der Werth eines einzigen solchen Spiegels der Maitresse eines Freigelassenen größer, als der der Aussteuer, welche der römische Senat der Tochter des großen Scipio gegeben hatte.

Die Ueppigkeit brachte die dünnen serischen Kleider in Mode, welche nach Seneca den Körper eigentlich nicht mehr verhüllten. Die Gastmahle boten die seltensten Speisen aller Länder der damals bekannten Erde. Ein Admiral des Kaisers Claudius erwarb sich durch die Kunst der Uebersiedelung von Seefischen aus entfernten Meeren an die italienische Küste besondern Ruhm. Der Seefisch Mullus schillerte beim Sterben in allen Farben. Der Feinschmecker Apicius erfand zur Erhöhung dieses Farbenspiels, womit der Römer seine Tafelgäste zu entzücken pflegte, eine eigene Brühe. Dieser Apicius nahm später den Giftbecher, als er nur noch eine halbe Million hatte und dies nach dem Begriff eines römischen Wüstlings damaliger Zeit nicht mehr zum Weiterleben genügte. Der Kaiser Heliogabalus ließ bei einer einzigen Mahlzeit 600 Straußengehirne serviren. Dem berühmten Tragöden Aesopus kostete eine einzige Schüssel, welche auf die Tafel kam, 6000 Louisd’or. Man staunte, fragte und erfuhr, daß sie nur Zungen von solchen Vögeln enthielt, die zum Singen oder Sprechen abgerichtet worden waren. Man aß die Zunge der Nachtigall wegen ihres Gesanges, des Flamingo wegen seiner Farbenschönheit. Auf Dächern gab es Gärten und Fischteiche. Hortensius begoß seine Bäume mit Wein. Tausende reißender Thiere, aus den Wäldern und Wüsten Asien’s und Afrika’s erst herbeigeholt, mußten die Schaulust des entarteten Geschlechts bei den öffentlichen Kampfspielen reizen. Man ließ selbst Rehe kämpfen, Elephanten tanzen, fuhr mit gezähmten Löwen, Tigern, ja sogar wilden Schweinen, und hielt sich purpurgefärbte Schaafheerden, Cleopatra löste kostbare Perlen in Wein auf, nur um seinen Werth auf eine enorme Summe zu steigern. Caligula that das Gleiche und ließ, um seinem Uebermuth zu fröhnen, Berge ab- und an einem andern Orte auftragen. Nur das Seltsame, Unnatürliche hatte noch Reiz. – Man wechselte damals bei Tafel die Kleider häufig elf Mal. Zu jedem einzelnen tägliche Dienst hielt der Römer einen besonderen Sclaven und ließ sich ans Essen, Baden, ja selbst ans Schlafen erinnern.

Das war dasselbe Volk, das einstens seinen Dictator zur Rettung des Vaterlandes halb nackend am Pfluge fand und von diesem hinweg in die Schlacht rief, dasselbe Volk, von dem einst Pyrrhus gesprochen hatte, seine Stadt, Rom, sei ein Tempel und sein Senat eine Versammlung von Königen!

Wie in dem Leben des einzelnen Menschen gewisse Erscheinungen der Kindheit im höheren Alter wiederkehren, so sieht man bei einem sinkenden Volke die gröberen Ausschweifungen der mittelalterlichen niederen Culturstufe sich wieder den raffinirten Genüssen der höheren Cultur beigesellen. Les extrêmes se touchent. Bedientenschwärme, Zwerge, Narren, Castraten, Zwitter, Geistesbeschwörer und Zeichendeuter kommen wieder zur Aufnahme. Schmaußereien und sonstige Feste mit maßloser Massenverschwendung, greller Prunk und staatsgefährliche Söldnerbanden treten von Neuem als Luxus der Reichen und Großen auf. Cäsar bewirthete bei seinem Triumphessen das ganze römische Volk. Als Nero seine Gemahlin

  1. Siehe Nr. 32.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 527. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_527.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)