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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)


„Es blinken drei freundliche Sterne
In’s Dunkel des Lebens hinein:
Die Sterne, sie funkeln so traulich;
Sie heißen Lied, Liebe und Wein. –“

Noch manches andere Lied wurde gesungen und manches Glas getrunken, ehe die Gesellschaft sich entschließen konnte, aufzubrechen. Beim Fortgehen bemerkte Theodor an einem abgesonderten Tische zwei Personen, welche sich leise flüsternd unterhielten. Der Eine war der Baron von Färber, der Andere ein Abenteurer, der in Wien allgemein für einen französischen Spion gehalten wurde. Beide thaten, als ob sie den Dichter nicht bemerkten; sie steckten die Köpfe zusammen und zischelten. Als sich Körner umwendete, begegnete sein offenes Auge den lauernden Blicken des Barons, dessen tückische Physiognomie sich seinem Gedächtnisse für immer einprägte.

Noch eine andere Beobachtung berührte ihn schon früher unangenehm. Als er nämlich vom Tische aufstand, bemerkte Ochsenheimer zufällig, daß dreizehn an der Tafel gesessen. Der Schauspieler scherzte über die ominöse Zahl, Theodor aber, der nicht ganz vom Aberglauben frei war, konnte sich eines leisen Schauers nicht erwehren, obgleich diese augenbllckliche Verstimmung bald wieder schwand. – Die Freunde begleiteten ihn bis zu seiner Wohnung, und zogen Arm in Arm mit ihm durch die stillen Straßen. Es war eine herrliche, sternenklare Winternacht, und das alte Wien mit seinen eingeschneiten Dächern glich einer Feenstadt mit silbernen Zinnen. So gingen sie an den Ufern der Donau, die, zum Theil zugefroren, wie eine demantene Zauberbrücke in magischer Beleuchtung schimmerte. Das winterliche Landschaftsbild paßte zu des Dichters eigenem Gefühl, aber die heiteren Scherze der Künstler verdrängten bald wieder die in ihm aufsteigende Trauer. Noch einmal wurde vor der Thür auf das Herzlichste Abschied genommen, die Hände geschüttelt und ein inniges Lebewohl gesagt. In seiner Stube überließ sich erst der Dichter ganz seiner Stimmung; all die reizenden Bilder seines Wiener Aufenthaltes traten vor seine Seele und umschwebten ihn, er fühlte die ganze Größe seines nahen Verlustes und des Abschiedes von der theuren Kaiserstadt, die ihm so viel gewährt, den Lorbeer des Ruhmes und die Rose der Liebe. – Er nahm die Guitarre in die Hand, sein Lieblingsinstrument; das blaue Band daran, mit Rosen gestickt, war ein Geschenk seiner Toni. Nachdem er einige Griffe über die Saiten gethan, sang er mit leiser wohlklingender Stimme ein Abschiedslied von Wien:

Leb’ wohl! Leb’ wohl! – Mit dumpfen Herzensschlägen
Begrüß’ ich Dich, und folge meiner Pflicht.
Im Auge will sich eine Thräne regen;
Was sträub’ ich mich? Die Thräne schmäht mich nicht. –
Ach, wo ich wandle, sei’s auf Friedenswegen,
Sei’s, wo der Tod die blut’gen Kränze bricht:
Da werden Deine theuren Huldgestalten
In Lieb’ und Sehnsucht meine Seele spalten.

Was er so gesungen, brachte er zu Papier, indem er den einmal angeregten Gedanken zu einem Gedichte gestaltete, das er am nächsten Morgen der Geliebten brachte.

Endlich schlug die Stunde der Trennung von Wien und Toni. Die holde Braut suchte ihn voll liebevoller Aufopferung über ihren Schmerz zu täuschen und lächelte unter Thränen, während ihr von bangen Ahnungen erfülltes Herz zu brechen drohte. Immer von Neuem umschlang sie ihn und rief ihn zurück, wenn er schon bis zur Thüre gegangen war. Dann heuchelte sie wohl auch eine größere Fassung, als sie wirklich besaß. Ihre Seele war von bangen Befürchtungen erfüllt, die sie vor ihm zu verbergen suchte.

„Bin ich nicht ein thörichtes Mädchen?“ fragte sie. „Am liebsten möcht’ ich mit Dir ziehen in den Krieg und an Deiner Seite kämpfen und sterben. Doch nein, Du wirst nicht sterben, Du wirst als Sieger aus dem Kampfe zurückkehren, und ich werde Dich mit wohlverdientem Lorbeer schmücken.“

„Nicht mit dem Lorbeer, sondern mit der Myrthe, theures Mädchen! Wenn ich wiederkomme, ist das Vaterland frei, und dann erst sollen sich unsere schönsten Träume erfüllen; dann bauen wir unser Nest, und keine Gewalt auf Erden soll uns trennen.“

„Ich will Dir auch ein Amulet mitgeben, das Dich vor jedem Unheil behüten wird. Ich hab’ es von der Großmutter bekommen, die es als ein theures Erbstück unserer Familie mir auf die Seele gebunden hat. Wer es trägt, hat nichts zu befürchten und ist vor jedem Unglück geschützt; so sagte sie mir oft. Nimm es hin und trag’ es zum Angedenken, wenn Du auch nicht daran glaubst.“

„Was Deine Hand mir reicht, bringt sicher Glück. Deine Liebe ist der Talisman, der mich vor jedem Unfalle schützen wird.“

Erröthend zog sie aus dem keuschen Busen eine alte Goldmünze hervor, auf welcher in seltsamen Charakteren ein frommer Spruch um ein Crucifix eingegraben war. Sie hing ihm das Amulet um und er versprach, es niemals abzulegen und auf seiner Brust zu tragen.

Noch einen langen, langen Kuß drückte sie auf seine Lippen; dann drängte sie ihn selbst, sie zu verlassen, weil sie sich einer Ohnmacht nahe fühlte. –




IV.

Das war ein wunderbares Schauspiel, welches im Monat Februar 1813 die alte Stadt Breslau in Schlesien darbot. Sonst ein regsamer und fleißiger Handelsort, hatte sich ihr Weichbild plötzlich in ein kriegerisches Lager verwandelt. Der König von Preußen war von Berlin hierher geflüchtet und hatte sein Hoflager in der Nähe der Grenze aufgeschlagen. Um ihn schaarten sich seine Getreuen, die Räthe der Krone und die berühmtesten Generäle. Welche Namen von gutem Klang wurden da genannt, welche großen Männer sah man da täglich nach dem Schlosse gehen, um dem viel geprüften Monarchen ihre Treue zu beweisen und mit Rath und That ihm beizustehen! Neben dem greisen Blücher, der im hohen Alter sich die Gluth der Jugend zu bewahren wußte und kaum seine kriegerische Ungeduld zu zügeln vermochte, schritt der bedächtig kluge Gneisenau in eifrigem Gespräche mit dem genialen Scharnhorst, der sein System der Landwehr den aufmerksamen Zuhörern auseinandersetzte und ihre Gegenbemerkungen mit schlagenden Gründen zu widerlegen suchte. – Dort der stattliche hohe Herr mit aristokratischer Haltung und einnehmenden, würdevollen Zügen war der Staatskanzler Hardenberg, der all’ die unerschöpflichen Hülfsquellen seines schöpferischen Geistes jetzt entwickelte, um den großen an ihn gestellten Anforderungen zu genügen. Aeußerlich anscheinend ruhig, war er in seinem Herzen voll banger Sorge, aber auch voll Hoffnung für die nächste Zukunft. Nicht umsonst hatte er den kühnen Schritt gewagt, den Geist des Volkes anzurufen, um das Land von seinen Unterdrückern zu befreien. Die Jahre eines schmachvollen Friedens waren von ihm auf das Beste benutzt worden, um auf dem Wege einer eben so kühnen als weisen Gesetzgebung den Bürgersinn zu heben, die durch Zwang, Bedrückungen und Vorurtheile aller Art gelähmten Kräfte des Staates zu entfalten. Seine Bemühungen waren jetzt reichlich durch die Opfer belohnt, welche die Nation mit Freuden darbrachte, und mit hoher Befriedigung konnte er den Abgesandten des russischen Kaisers die Mittel zeigen, die ihm zu Gebote standen, um den Krieg mit Nachdruck zu beginnen und fortzusetzen.

Ein einiges Gefühl ging durch das ganze preußische Volk, welches auf den Aufruf des Königs aus allen Theilen der Monarchie herbeiströmte, um an dem heiligen Kampfe Theil zu nehmen. Kaum, daß ein Obdach noch zu finden war, obgleich die Einwohner mit echt schlesischer Gastfreundschaft Haus und Tisch mit den Fremden theilten. Die Gasthäuser und Schenken waren überfüllt; Generäle und Minister mußten sich oft mit einem elenden Hinterstübchen begnügen und Leute aus den besten Ständen waren glücklich, wenn sie nur noch ein Strohlager fanden. Auf dem großen „Ringe“ drängten sich die frisch angekommenen Truppen, welche hier eingekleidet wurden und zur Fahne schworen. Das alte gothische Rathhaus war umlagert, die breiten Treppen stets von der muthigen Jugend besetzt, die sich zum freiwilligen Dienste und zu anderen Opfern meldete. Hier zog ein neu gebildetes Regiment unter klingendem Spiele und dem Jauchzen der Menge vorüber, dort wurden Rekruten eingeübt und in aller Schnelligkeit einexercirt. Das waren aber nicht jene gepreßten und gezwungenen Marionetten mehr, sondern begeisterte Männer, die mit Bewußtsein Blut und Leben einer großen Sache weihten.


(Fortsetzung folgt.)




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