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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

sich in mehrere Theile getrennt hat; in der deutschen Jugend sind einmal Gegensätze und sie werden bleiben. Mögen verschiedene Richtungen ihren Weg für sich gehen; sobald sie in einer Verbindung aufeinander prallen, werden doch wieder Trennungen stattfinden müssen; das liegt in der Natur der Sache. Laßt sie also nebeneinander gehen; aber zu wünschen wäre allerdings, daß es in freundlicher Weise geschähe. Aber dazwischen macht dann alle Mal die leidige Duellfrage einen Strich.

Da ich in den früheren Mittheilungen mancher alten Bekannten erwähnt habe, so will ich bemerken, daß sie in Jena nicht fehlten; namentlich waren die Mecklenburger stark vertreten, aber Stülpnagel, der alte wackere und heitere Mensch, hatte die schönen Locken nicht mehr; der „kleine Jahn“ trug einen runden Hut und der „lange Itze“ war zum Koloß geworden. Der altdeutsche Gelehrte aber, welchem er einst seinen Confirmationsfrack zum Promoviren geborgt und der aus der Schweiz gekommen war, sah noch immer aus wie ein Burggeist und steinerner Gast. Es that dem Herzen wohl, so viele alte Freunde so frisch und in guten Verhältnissen wieder zu sehen.

Am Graben in Jena liegt ein Haus, von welchem eine Schweizerfahne herabwehte. Es ist die bekannte Mäderei, die seit einem Jahrhundert windschief steht. Als im Jahre 1784 ein Lübecker Rathsherr seinen Sohn nach Jena schickte, gab er ihm die Warnung mit, ja nicht in die Mäderei zu ziehen, denn sie könne jeden Augenblick einstürzen. Der Sohn gab viele Jahre später seinem Sohne dieselbe Warnung, aber dieser zog in die Mäderei gleich seinem Vater und Großvater, und auch der Urenkel hat dasselbe Zimmer bezogen. Windschief ist die Mäderei freilich, aber sie ist aufgeputzt und sieht schmuck aus, kann auch reichlich noch ein Jahrhundert stehen.

Und nun will ich von Jena scheiden. Das Fest hat die Erwartungen Aller nicht nur erfüllt, sondern sie bei Weitem übertroffen. Ein froher, trefflicher, frischer Geist belebte das Ganze, und die Erinnerung an die herrlichen Tage des Jubiläums dieser Hochschule wird für die, welche zugegen waren, eine der schönsten Lebenserinnerungen bleiben.

Möge Jena sich selber treu bleiben!





Die Wassernoth in Sachsen.


II. Zwickau.

Vorüber sind die Tage des Schreckens, der Verwüstung, der Gefahr. Der Geist, für den Augenblick fast erdrückt von der Großartigkeit und Gewalt der in rascher Folge an ihm vorüberziehenden Erscheinungen, hat sich wieder sammeln können, läßt Bild für Bild von dem Geschehenen und Erlebten an dem Spiegel der Erinnerung vorüberziehen, durchlebt gleichsam das Einzelne noch einmal, aber ruhiger und bewußter, und webt nach und nach ein großes Gesammtbild zusammen, dessen Umrisse in scharfer Zeichnung für alle Zeit in seiner Erinnerung eingegraben bleiben werden.

Freilich wäre es ein vergebliches Bemühen, wenn wir diesem Bilde durch das Wort entsprechenden Ausdruck geben wollten: die großartigsten Ereignisse sind immer am wenigsten geeignet, sich treu in den engen Rahmen des Wortes fassen zu lassen; – aber doch gelingt es uns vielleicht, auch in denen eine mehr oder minder deutliche Vorstellung von der Macht der entfesselten Naturkraft hervorzurufen, welche sie bis jetzt nur in ihrem friedsamen Zustande sahen.

Ein schon lange anhaltender, über das ganze Muldengebiet verbreiteter Regen hatte sich in der Nacht vom 30. zum 31. Juli so gesteigert, daß der Muldenstrom bei dem Grauen des Tages, schmutzigrothes Wasser führend, in vollen Ufern brausend, an Zwickau vorbeischoß, und daß der Mühlgraben, nicht im Stande, die Wassermasse des in ihn mündenden hoch angeschwollenen Planitzer Baches zu fassen, anfing, den untern Theil der Eselswiese und den Turnplatz zu überfluthen. Auch die Mulde selbst wuchs zusehends, trat aus und vereinigte ihre Wasser mit denen des Mühlgrabens zu einem den Asch, die Lindenstraße und den Silberhof unter Wasser setzenden Strome. Vormittags 8 Uhr stand das Wasser schon 4 Zoll höher, als bei dem Sommerhochwasser im vorigen Jahre, welches für das höchste galt, das seit 1830 vorgekommen war. Und der Regen ergießt sich weiter; auf der Mulde treiben schon Breter, Stämme und Brückentrümmer, und bedenklich fragt Einer den Andern, was das so werden solle. Doch hat noch Niemand eine klare Vorstellung von der drohenden Gefahr, und die Menschen glauben noch, sie könnten ihre Werke vor dem weiter und weiter dringenden Feinde bewahren.

Um elf Uhr Vormittags ist von dem Wassermesser an der Bierbrücke, welcher bei mittlerem Wasserstande noch 51/2 Ellen über dem Spiegel emporsteht, kaum noch eine Elle zu sehen und unterhalb der Brücke ergießen sich die Fluthen rechts und links in mächtigen Strömen über die Ufer, setzen den größeren Theil der Leipziger Vorstadt unter Wasser und verwandeln die breite Aue, so weit das Auge reicht, in einen kochenden und brausenden See.

Aber auch der inneren Stadt ist ihre Stunde gekommen. Vom Silberhofe her schlängeln sich kleine Bäche der Mühlgasse zu, froh begrüßt von der Schaar der Kinder, die sich, nicht ahnend, für welche Ereignisse wohl diese unschuldig spielenden Wellen die Vorboten sein könnten, mit lärmender Lust darin umhertreiben; aber mit ernster Miene und unter Kopfschütteln betrachtet von den Männern, welche mit möglichster Eile die Kellerlöcher verschließen und die Thüren verrammeln. Dazu läßt der strömende Regen weiteres Steigen befürchten und die Befürchtung wird durch telegraphische Nachrichten aus dem Obergebirge zur Gewißheit.

Man gewinnt nun endlich eine klarere Vorstellung von der Gefahr; der Gedanke, daß das Wasser, welches die Menschen schon in ihren Wohnungen aufsucht, diesen wohl auch an das Leben gehen könne, gewinnt Raum. Darum ordnet der Stadtrath an, daß die Kähne vom großen Teiche hereingeschafft und an verschiedenen, am meisten bedrohten Punkte der Stadt vertheilt werden. Zugleich wird die Erbauung von Flößen kräftig in Angriff genommen. Freilich erfordern diese Geschäfte erhebliche Zeit, und inzwischen wächst das Wasser so weit, daß der Messer an der Bierbrücke ganz unter der Fluth verschwunden ist.

Um drei Uhr Nachmittags erhebt sich der ganze Vorrath von Floßholz von seinem Lager; in ruhiger Majestät und in geordneten Zügen setzen sich, gleichsam einem geheimen Befehle folgend, 3000 Klaftern Holz in Bewegung; aber bald werden die Schragen durch Anstoßen an Bäume oder Zäune umgeworfen und in ein wildes Chaos von Holz dringt stoßend und wirbelnd mit unwiderstehlicher Gewalt durch die Gärten am linken Muldenufer, um sich von da in kleineren oder größeren Abtheilungen weithin über das Land zu verbreiten. Auf dem Hauptstrome der Mulde treiben in fast ununterbrochener Folge Hausgeräthe aller Art, Trümmer von Häusern, Brücken, Mühlen und Wehren, mächtige Stämme und Bäume mit Kronen und Wurzeln. Die Ueberbrückung des Rechens, aus gewaltigen, zusammengeschraubten Balken bestehend, weicht von ihrem Lager, zertheilt sich in Stücke und diese schaukeln und tanzen wie spielende Fische über die Wogen hin, und Fässer, dem communlichen Pichschuppen entrissen, Hüpfen in langer Reihe von Welle zu Welle.

Um sechs Uhr ist der größte Theil der Stadt unter Wasser gesetzt; mächtige Ströme dringen von verschiedenen Seiten in die Straßen, füllen die Keller und zwingen die Bewohner von Paterrestuben, ihre Habe dem Wasser zu überlassen und in die Oberstuben zu flüchten. An der Fleischerpforte stürzt das erste Haus zusammen und sendet seine Trümmer mit trauriger Mahnung an das Geschick, welches noch vielen Gebäuden bevorsteht, durch die Straßen. Nur noch das einzige Schneeberger Thor ist vom Wasser frei und Taufende von Menschen sind in ihrer oder Anderer Wohnungen abgesperrt und sehen mit Grausen, wie sich die Fluthen mit jeder Stunde neuen Raum verschaffen.

Nun galt es, die Kähne mit muthigen und geschickten Männern zu besetzen, hinauszufahren in die reißenden Fluthen und dem Menschen die helfende Hand zu reichen oder wenigstens anzubieten. Nur Wenige aber konnten sich schon am Sonnabend entschließen ihre Wohnungen zu verlassen; von Stunde zu Stunde hofften Alle, daß der Regen nachlassen und das Wasser wieder zurückgehen

werde. So kam es, daß ein Kahn, welcher von der Treppenmühle

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 516. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_516.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)