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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Das Jubelfest in Jena.

Ja, es ist viel Freude und Lust gewesen während des Jubiläums in dem alten Jena! Die schönen Tage sind vorüber, aber die Erinnerung wird Allen theuer und erquicklich bleiben bis an’s Ende ihres Lebens. Nicht ein einziger Mißton hat sich in die Erhebung und den Frohsinn gemischt, nicht eine einzige Störung das heitere Leben getrübt, und ich behaupte dreist: nie ist ein schöneres Fest gefeiert worden, nie eins gelungener ausgefallen.

Es war ein freier, frischer und froher Geist, der die vielen Tausende beseelte, welche aus allen Himmelsgegenden herbeigezogen waren. Von den Bergen winkten Fahnen ihren Gruß herab, und wie war das liebe Städtchen so prächtig geschmückt! Alle Ehre den Bürgern von Jena! Sie haben ihr Mögliches gethan. Die Häuser waren neu angestrichen, auf allen wehten Fahnen, die gleichsam einen Baldachin bildeten, bunt und farbig; hoch vom Stadtthurme flatterte die riesige Flagge der Universität; schwarz-roth-goldne Banner, die Symbole der Burschenschaft, spielten zu Hunderten in Sonne und Wind, und neben ihnen die Fahnen der verschiedenen Corps und die Farben des weimarischen Landes. Auch das weiße Kreuz der Schweizer winkte an manchen Stellen herab. Schon am Feiertage (13. August) und noch mehr am Sonnabend, zogen in jeder Viertelstunde ganze Schaaren alter Jenenser ein, zum Theil auf Leiterwagen; denn woher hätte die Post bedeckte Fuhrwerke für die Tausende nehmen sollen? Männer mit grauem Haar sangen das Fuchslied, abwechselnd mit dem: Stoßt an, Jena soll leben! und schwenkten die Hüte; sobald sie die Stadt erblickten, bemächtigte sich ihrer eine festliche, heitere Stimmung dann wurden die Straßen durchzogen, in denen frohe Menschen auf und ab wogten, und welche Erinnerungen tauchten auf! Man fand alte Freunde wieder; man erfreute sich einer Ueberraschung nach der andern, und während man eben mit dem Einen den Austausch der Gefühle und der Gedanken begonnen hatte, kam schon eine Anderer, und so ging es von früh bis spät ununterbrochen fort.

Jena kann stolz sein und kann Jene belächeln, von denen es bemäkelt wird. Wie viele äußerten an jenen schönen Augusttagen: „Es ist doch ein wahres Lebensglück, daß wir gerade hier studirt haben.“ Diese Hochschule hat eine so eigenthümliche Stellung, wie kaum eine andere. Sie ist Landesuniversität für die thüringischen Herzogthümer, deren Fürsten ihre Pflege anvertraut worden ist, aber sie trägt doch mehr als irgend eine andere Universität einen allgemein deutschen Charakter. Sie ist lange ein wahres Seminarium gewesen, aus welchem andere Lehranstalten sich ihre großen Männer holten, die in Jena gebildet waren oder dort die ersten Sporen in der Wissenschaft verdienten; sie hat auch auf die Entwickelung des Studentenlebens einen größeren Einfluß geübt, als irgend eine andere. Niemand darf ungestraft von seinen großen Traditionen abfallen, und Jena ist so glücklich, sich die seinigen zu bewahren. Es zeugt von Beschränktheit, wenn die Anhänger des starren Buchstabens dieser Hochschule das Gepräge des theologischen Dogmatismus von Anno 1550 aufdrücken möchten, wenn sie jammern und schelten, daß Jena nicht eine Beute jener Richtung geworden sei, welche die Wissenschaft an Formeln binden möchte, die vor dreihundert Jahren aufgestellt wurden und zu deren Sclaven sie den Geist im neunzehnten Jahrhundert machen möchten.

Seit man in mehreren Staaten Hochschulen in den Hauptstädten gegründet hat, sind jene in den kleineren Ortschaften theilweise allerdings in den Hintergrund getreten. Während die Ersteren mit reichlichen Mitteln ausgestattet werden und wissenschaftliche Sammlungen von europäischer Bedeutung haben, ist der Aufwand für die kleineren nicht nach Erforderniß gesteigert worden. Universitäten wie Berlin und München üben schon an sich eine große Anziehungskraft und entziehen den übrigen Tausende von Studirenden. Selbst Heidelberg und Bonn bringen es nie zu mehr als etwa achthundert Studenten, Göttingen hat kaum so viele, während die Zahl vor einem Jahrhundert die doppelte war; Leipzig und Tübingen halten sich Jahr aus Jahr ein auf derselben Höhe, weil dort die Landeskinder alljährlich ihr regelmäßiges Contingent liefern. Auch ziehen gegenwärtig die technischen Wissenschaften und die polytechnischen Schulen viele Köpfe an, welche früher Universitäten besuchten. Es ist, solchen Verhältnissen gegenüber, geradezu böswillig, die Abnahme der Frequenz auf der Universität Jena der freisinnigen Richtung ihrer theologischen Professoren schuld zu geben. Mit größerem Rechte könnte man sagen, daß Jena in unseren Tagen glänzender dastehen würde, wenn die thüringischen Staaten für dieses Kleinod mehr Geldmittel bewilligten, jährlich nur etwa 50,000 Thaler mehr, damit es möglich wäre, viele Männer der Wissenschaft ersten Ranges zu berufen und so zu besolden, wie es an den großen Universitäten geschieht. Das ist aber nicht der Fall. Ein zweiter Uebelstand liegt vielleicht darin, daß man in zu weitem Umfange den Brauch befolgt, Professorensöhne wieder als Professoren anzustellen. Gewiß sind dieselben tüchtige Männer, aber den Hochschulen thut es stets gut, wenn recht viel Elemente aus der Ferne gewonnen werden; dadurch wird die Reibung und Regsamkeit der Geister befördert.

Doch genug davon; den Anklagen gegenüber, welche gewisse Leute gegen Jena erheben, waren obige Bemerkungen nicht überschüssig.

Die Weltbedeutung Jena’s, als einer Univeritas literarum, sprang Jedem auf den ersten Blick in’s Augen der die Straßen durchwandelte. Es war ein guter Gedanke, die Häuser, in welchem einst bedeutende Männer gewohnt, mit Tafeln zu schmücken, auf welchen der Name und Jahreszahlen verzeichnet stehen. Und welche Namen treten uns entgegen? Kein London und Wien, kein Berlin oder Paris hat größere. Man fühlt deutschen Stolz, wenn man auf diese Tafeln sieht. Es ist eine wahre Milchstraße von Berühmtheiten aller Facultäten; vor Allem aber haben in Jena Männer gelebt, welche schöpferisch auf unsere Nation wirkten, und denen sie es verdankt, daß sie an der Spitze der Culturvölker steht, daß sie Herrscherin im Gebiete des Geistes ist. Kein Hauptpastor Götze und kein Formelgläubiger hätte Ruhm auf unser Deutschland gehäuft; wer wüßte von solchen Zionswächtern etwas, wenn nicht Lessing sie unsterblich gemacht hätte? Aber Männer, die ich nennen will, die auf den Tafeln in Jena verzeichnet stehen, die dort gelehrt oder gelernt haben, die sind es, auf welche das Vaterland mit Stolz blickt; sie, die vollen frischen Geist ausströmten, der die Wissenschaft belebte, und eine unberechenbare Summe von Wohlthaten in’s Leben brachte.

Da sehe ich die Namen: E. M. Arndt, den Platoniker Ast, die Romantiker Clemens Brentano und Novalis, Hölderlin, Tieck und die Schlegel; Steffens, Hegel, Fichte, Schelling, Reinhold, Tannemann und Herbart; Fries, Krause und Krug; den alten Klopstock; den Symboliker Creuzer, Joh. Matthias Gesner, der in der Erklärung der Alten so correct war, Hase aus Paris, Eichstädt, Eichhorn, Gottfried Hermann, Göttling, Reisig, Jakobs, Ilgen, Lobeck, Schütz, Johann Heinrich Voß, Ersch, Gruber und den unsterblichen Winckelmann. Ich lese die Namen des Dichters von Hagedorn, Friedrich Schiller’s und von Knebel’s; des alten Jahn’s und Salzmann’s; jenen von Luden und Troxler, von Liscow und Musäus, Posselt, Manso und Woltmann; ich lese auch jenen Grollmann’s und der beiden Humboldt.

Und unter den Theologen finde ich Namen wie de Wette, Paulus, Reimarus, Augusti, Baumgarten-Crusius, Gabler, Griesbach, Credner und jenes Großmann welcher den Gustav-Adolf-Verein gestiftet; die Juristen können sich Thibaut’s, Feuerbach’s, Savigny’s und Justus Möser’s rühmen; während die Reihe der Naturforscher und Aerzte nicht minder Namen ersten Ranges in Menge zählt. Der wunderliche Helmstädter Beireis und Blumenbach, Döbereiner und Froriep, Gall und Lichtenstein, Heinly und Oken, Hufeland und Langenbeck, Loder und Pfaff, Rees von Esenbeck und Rudolphi, der Biolog Treviranus und Siebold, – sie alle gehörten Jena an. Solche Früchte hat Jena getragen unter der Obhut seiner Erhalter, und es wird trotz geringerer Studentenzahl seine Bedeutung für das gesammte Deutschland behalten, so lange es seinem eigenen guten Geiste treu bleibt. Ich habe die Todten genannt; auch unter den Lebendigen und rüstig in der Gegenwart Arbeitenden kann es mehr als einen Lehrer und viele Männer, welche in Jena ihre Bildung erhalten haben, andern

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 513. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_513.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)