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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

des Nena feiges Herz. Er und seine ganze Armee von großsprecherischen Sepoh’s flohen, nachdem sie zuvor die Magazine in Brand gesteckt, aus der Station. Am nächsten Morgen zog Neill in die Stadt ein.

„Einige Gefangene waren gemacht worden, und zwar Muhamedaner und Brahminen von der höchsten Kaste, bei denen die bloße Berührung der Gebeine eines Todten für die höchste Entweihung gilt. Sie wurden nach dem Hause geschleppt, wo die unglücklichen Frauen und Kinder der Engländer unter den Klauen jener erbarmungslosen Teufel gestorben waren, die durch kein Flehen, keine Schwüre gerührt werden konnten, die in der Ausführung ihres schaurigen Amtes keine Reue, kein Mitleid gefühlt, die Säuglinge von den Brüsten ihrer Mütter gerissen und Kinder vor den Augen ihrer Eltern gespießt hatten, blos um diesen die wenigen Minuten vor ihrer Ermordnung noch qualvoller zu machen.

„Der Boden war noch schwarz von eingetrocknetem Blut; Büschel langer Haare, wahrscheinlich von den feigen Henkern des Nena den unglücklichen Opfern ausgerissen, lagen zerstreut umher; die Wände waren bedeckt mit blutigen Fingerspuren kleiner unschuldiger Kinder und den Abdrücken zarter Frauenhände; und Bibeln, Frauenkleider und sogar ein vollkommenes Tagebuch bewiesen, daß die Damen dieses Gemach bewohnt hatten. General Neill nahm Rache.

„Die Gefangenen – von denen Einige, wenn nicht Alle, zweifelsohne (?), bei diesem massenhaften Niedermetzeln wehrloser Frauen und schwacher Kinder mitgespielt hatten – wurden gezwungen, das Blut, welches durch Wasser gelöst worden, vom Boden aufzulecken, und nachdem sie ihre Kaste vollständig verloren hatten und in ihren Augen nicht mehr länger würdig waren, nach dem Tode sich ihren Göttern zu nahen, gehängt oder von den Kanonen zerrissen! Der Brunnen, in welchen sie nach Vollendung des gräßlichen Blutbades die Opfer ihrer Wuth geworfen, wurde zugefüllt, und ein geistliches Lied über dem gemeinschaftlichen Grabe gesungen!“

Der nachmalige gänzliche Entsatz Lucknows durch die Generale Sir Colin Campbell und Outram sind auf dem letzten Bogen des genannten Werkes dargestellt; aus den obigen Auszügen kann der Leser beurtheilen, wie von beiden Seiten rohe Barbarei und Grausamkeit geübt wird. Ob sich aber die englischen Eindringlinge durch ein solches Auftreten eine bleibende Herrschaft in Indien sichern werden, dies ist eine Frage, die wir nicht mit Ja zu beantworten vermögen.

–dt. 




Die Wassersnoth in Sachsen.
I. Glauchau
(Fortsetzung.)

Ach, daß es möglich wäre, ohne der Bescheidenheit und dem Zartgefühle aller jener Helden zu nahe zu treten, ihre Namen auszurufen, und die Welt aufzufordern, ihnen im Namen der Menschlichkeit zu huldigen! Die Dichter würden manches Lied von manchem „braven Manne“ zu singen haben, das erbaulich wie Orgelton und Glockenklang in den Herzen guter Menschen wiedertönen müßte. Und in all solcher Noth hörten die bedrängten Bewohner Glauchau’s die Sturmglocken des weiter unten gelegenen, ebenfalls überflutheten Dorfes Jerisau, und erhielten zeitweilig Hiobsposten von den höher an der Mulde gelegenen Dörfern Wulm und Schlunzig. Auf dem Wehrdigt brachen sich die bedrängten Insassen der unsichern oder sinkenden Häuser mit der Gewalt der Verzweiflung einen Weg in festere Häuser, indem sie die Giebelwände durchschlugen und so durch Löcher aus einem Hause in das andere krochen. Auf solche Weise wurden die festeren Häuser in Casernen der Verzweiflung verwandelt. Ja, auf den Dächern ist man weiter gerutscht, und an Seilen und ausgespannten Leinen hat man die Orte der Angst verlassen. Aus dem Fenster eines wankenden Hauses hat sich die zahlreiche Bewohnerschaft desselben mit Hülfe eines der elendesten Fahrzeuge auf einen im Garten aufgestellten Breterhaufen eines Tischlers gerettet, hat daselbst in schwebender Pein die dunkle Nacht zugebracht und ist erst mit dem Grauen des Tages auf derselben elenden Fähre an ein entfernteres Nachbarhaus gerudert, um dort durch’s Fenster aufgenommen zu werden.

Sonntags früh telegraphirte man nach Dresden, um Schiffe und Kähne herbeikommen zu lassen, und in gleicher Weise wurde das hohe Ministerium des Kriegs um eine Pionnier- und Pontonnier-Abtheilung mit Schaluppen gebeten. Beide Gesuche waren von Erfolg, und schon Mittags 12 Uhr ging der erste Extrazug mit Privatkähnen und später ein zweiter Extrazug mit Militair und Kähnen von Dresden ab. Unterdeß ward in Glauchau das Rettungswerk vom frühen Morgen an unausgesetzt fortbetrieben, was namentlich dadurch sehr unterstützt wurde, daß wenigstens vom Bade Hohenstein ein kleiner Kahn angekommen war, mit und auf welchem aus einer der schon oben erwähnten Verzweiflungscasernen gegen 64 Menschen gerettet wurden. Ein wahres Trostwort war für Glauchau die Zusage von Dresden. Aber der Hülfsbdürftige ist ungeduldig und kann die Zeit nicht erwarten. Darum schmeichelte man sich, die Dresdner Hülfe könne schon Nachmittags 4 Uhr eintreffen. Der etwaigen Hindernisse gedachte man nicht. Der Nachmittag verging, aber die Hülfe war noch nicht da. Auch hatten die Fluthen den Eisenbahndamm zerrissen, was die Aufmerksamkeit vieler Leute auf sich zog und Veranlassung ward, daß eine Menge Menschen die Eisenbahn in nächsten Augenschein nahm. Die auf dem Viaducte, der Sonntags noch unbeschädigt war, stehenden Leute bemerkten bald einen Mann, der scheinbar zu seinem Vergnügen auf der weit ausgedehnten Wasserfläche, von dem sogenannten Feldschlößchen her, in einem Backtroge, aber mit einer großen Ruderstange versehen, anscheinend ganz gemüthlich thalabwärts schiffte. Je mehr er aber der Eisenbahn sich näherte, desto mehr konnte man seine Rührigkeit und Anstrengung bemerken, von der Richtung, die das fluthende Wasser nach dem Viaducte zu nahm, ab und nach den Feldern hinzukommen. Seine Mühe war vergebens. Die Strömung führte ihn nach der Ueberbrückung der Waldenburger Straße zu, auf welcher das Wasser sich wie ein Golfstrom hinwälzte, und man sah ihn bald darauf unterhalb der Eisenbahn, von seinem Backtroge getrennt, in den Fluthen verschwinden. Alle harrten gegen Abend den Schiffern und Soldaten entgegen, welche nun bald eintreffen mußten, und während Tausende gespannter Augen, von den Höhen der Stadt aus, der Gegend zugewandt waren, wo sie, von Gößnitz oder Zwickau kommend, in der Ferne erscheinen mußten, entfaltete sich am westlichen Horizonte ein Schauspiel, das unter günstigeren Verhältnissen für die Reifen ein Gegenstand der heitersten Bewunderung und für aufknospende Herzen die Ursache zu einem Seufzer und zum Wunsche nach allem Namenlosen geworden wäre.

Noch sah man an vielen Häusern die Nothfahnen flattern, noch hörte man Schüsse und Hülferufe und noch lag der Schatten grauer Wolken über dem Schauplatze des Unglücks, der Angst und der Zerstörung, als mit einem Male die zum Untergange sich neigende Sonne, groß, wie ein feuriges Rad, ihre blutrothe Scheibe aus den Wolken drängte, den ganzen Himmel färbte und aus jedem Diamanttröpfchen der nebeligen Athmosphäre tausendfarbig zurückgestrahlt wurde. Die Wogen, Wellen und Wellchen der über das ganze Thal fast bis nach Gesau ausgedehnten Wasserfluth tanzten gleichsam und spiegelten den rothen Glanz des Himmels zurück und manches bange und verzagte Herz fühlte dabei wohl eine Anwandelung von Trost und Muth und von Erinnerung an jene kindliche Erzählung des alten Testamentes von Noah und dem Regenbogen. War es doch, als ob selbst die Nothschreie der Bedrängten bei solchem Erscheinen der Himmelskönigin verstummten und der Kampf des Elementes sich zum Frieden neigen wollte. Dieser schöne Moment dauerte nicht lange; die Sonne verhüllte sich wieder und in Wasser und Luft und in der zunehmenden Geschäftigkeit der Menschen kündigte sich der nahende Abend und die ihm folgende Nacht an.

Viele, Viele waren schon gerettet und die Geretteten liefen theilweise umher, sich gegenseitig suchend. Manches Kind wußte – vielleicht nur in Folge der Bestürzung oder der Freude über seine Rettung – nicht, wem es angehöre und wo es gewohnt habe. Die zur Aufnahme der Geretteten geöffneten und geheizten Säle füllten sich von Stunde zu Stunde mehr. Auch war man durch die anhaltende Uebung im Retten geschickter, gewandter und schneller geworden. Spät des Abends kamen endlich die Dresdner Schiffer mit ihren Kähnen von Dresden an. Sie hatten den Weg über

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 504. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_504.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)