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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)


Neuem hielt er ihm daher das Goldstück hin, streifte von demselben das Papier ab, und sagte lächelnd:

„Wie es glänzt! Kann nicht so blank und blanker noch Ihr Glück glänzen in dieser Stunde? – Kommen Sie, lieber Glogauer, Sie sollen nur wagen diesen Friedrichsd’or, sollen nur aussetzen ein einziges Mal, – schlägt’s fehl, dann wollen wir’s lassen, wollen gehen nach Haus, – greifen Sie zu, Glogauer.“

Und der Gesell griff zu.

Sie schritten jetzt zwei Treppen höher, schritten hinter in einen schwach erleuchteten Gang, wo ein hütender Kellner sich zeigte. Diesem gab der Jude eine Marke, – nach wenigen Augenblicken standen sie im Bankzimmer.

Der Gesell mußte den Friedrichsd’or aussetzen, – er gewann, – gewann wieder und wieder. – Dem jungen Spieler zitterten die Hände, die Füße, das Herz, – aber der Jude wich nicht von seiner Seite, er ordnete den Aussatz, zog den Gewinn ein, ließ den Aussatz höher und höher steigen, – zu Glück ging’s Schlag auf Schlag. –

„O, fort nun, fort,“ sagte heimlich der zitternde, blasse Gesell, „ich bitte Sie, Herr Wurm, ich vermag’s nicht mehr.“

Ter Jude erkannte den aufgeregten Zustand des bleichem Spielers, – er wollte wenigstens eine Pause eintreten lassen, – sie entfernten sich von der Bank, gingen hinaus, und der Jude zeigte ihm den Gewinn und lächelte freudig:

„Bis jetzt zweihundert und vierzehn Friedrichsd’or, – wie wird sich doch freuen die Meisterin!“

„O Gott, o Gott, wie schön ist das! Dieses Glück, Herr Wurm, dieses Glück!“ rief der Jüngling bebend, und warf sich weinend an des Mannes Brust. „Und das Alles für die Meisterin, – das Alles ist Dein, – Dein, Lisette!“

„Ruhig, ruhig,“ mahnte Wurm erschrocken, „wird’s doch nur sein ein Krampf, der bald vorübergeht!“

Ruhig war nun wohl auch der glückliche Spieler, aber seine Glieder zuckten, sein Gesicht verzerrte sich. Der Jude bat den Kellner, ein Brausepulver zu bringen, und dieser erklärte, er könne seinen Posten nicht so lange verlassen, die Apotheke sei zu weit, – er sei jedoch bereit, den jungen Mann mit hinabzuführen.

Darum bat nun der Jude, und so führten sie den Gesellen hinab. In einer Droschke fuhr der Jude mit ihm fort zu einem Arzte. –

„Das ist ein Schlaganfall, ein starker,“ erklärte der beschränkte Arzt, „darum einen starken Aderlaß!“

Ein solcher wurde nun unglücklicher Weise auch sogleich vollzogen. – – –

„Meister Friedel, ich komme, – – Lisette, Lisette!“

Das waren fast die einzigen Worte, welche der fiebernde Gesell in den Armen des Arztes und des Juden jetzt sprach.

Der Kranke blieb in der Wohnung des Arztes, der Jude fuhr weinend nach Hause.

Am nächsten Morgen kam die Meisterin mit den Tuchen. – Der erschütterte Jude vermochte es nicht, einen Umschweif zu machen. Er nahm abermals eine Droschke, man fuhr zum Arzt. Unterwegs erzählte er, – also fuhr man eigentlich nicht zum Arzt, sondern zum todtkranken Gesellen. –

Unterwegs weinte die Meisterin gar sehr. Von dem gewonnenen Geld aber erzählte der Jude jetzt noch nichts. Er ahnte den Stand der Dinge, er freuete sich solcher Liebe, solcher Liebe und Treue in der Noth. Daher ließ er auch die Meisterin allein eintreten in das Krankenzimmer, während er selbst lm Vorsaal wartete. Auch den Arzt bat er dann, jetzt nicht einzutreten, jetzt nicht zu stören.

Und es war gut so. Drinnen gab’s heilige Minuten.

Als die Meisterin eintrat, weinte sie nicht mehr laut, sie drängte die Thränen zurück; sie lächelte, und stellte sich leise zu Häupten des Kranken, und grüßte und tröstete.

Und der Kranke richtete sich schnell empor. Durch Blick und Stimme der Theuren kam er zum klaren Bewußtsein – wie ein aus dem Schlaf erwachendes Kind an den Augensternen der Mutter. – Und er lächelte nun auch, – aber seine Augen glänzten dabei feucht und wunderbar, und er sprach:

Frau Meisterin, ich werde sterben, ich fühle es, nur wenige Minuten sind noch mein, – darf ich etwas bekennen? – O, ich darf es, – und ich muß es, – muß mein ganzes Herz“ –

Er hielt inne, – er streckte ihr seine Hände entgegen, – dann setzte er tiefbewegt und mit zitternder Stimme die wenigen Worte hinzu:

„Wie hab’ ich Dich so lieb gehabt, ach, so lieb, so lieb!“

Und in diesen wenigen Worten lag Alles. –

Da konnte die Meisterin die Thränen nicht länger zurückdrängen. Sie neigte sich nieder zu dem Kranken, ihr schönes Haar fiel auf sein Gesicht, sie küßte innig, so innig seine Lippen, und schluchzte und sagte:

„Wie schwer ist mir oft mein Schweigen geworden!“

Nun setzte sie sich an sein Bett, und so saßen sie, Hand in Hand, und der ganze volle Frühling der Liebe schoß auf ein Mal in die Blüthe, – um bald mit Eins dem Herbststurm Raum zu geben – dem Herbststurm ohne vorhergegangenen Sommer. –

Und leise öffnete sich die Thür. Der Jude trat ein. Er wischte sich die Augen, er legte die zweihundert und vierzehn Friedrichsd’or auf den Tisch, und gedachte dabei gerührt und mit wenigen Worten des gethanen Gewinnes.

„Lisette,“ sprach lächelnd der Tuchknapp, „Lisette, da es denn sein muß, so sterbe ich nun doch ruhig, es ist äußerlich nun gesorgt für Dich, – Lisette, und o, ich sterbe ja schön, ich sterbe im Glanz Deiner Liebe!“

Die junge Wittwe konnte nicht sprechen. Und abermals neigte sie sich nieder, und ihre heißen Thränen und heißen Küsse bedeckten den Sterbenden, auf dessen Angesicht Licht und Lächeln lag. –




Als der treue Tuchknapp begraben war, ordnete sich Alles schnell mit den Tuchen, mit der Wolle, – denn es war ja Geld vorhanden. – Nur der Schmerz der jungen Wittwe ordnete sich nicht schnell. Eine Hand voll Erde holte sie sich noch vom Grabe des Todten, dann reiste sie heim.

Und als sie heim war, weinten Viele mit ihr, – weinten um den Meister und um den Gesellen.

Und Eine kam, die sagte:

„Ach, wie habe ich ihn lieb gehabt! Wie gern bin ich vorbeigegangen an seinem Fenster, – konnte ich mehr thun? – Ich wußte, daß es vergebens war, und doch liebte ich ihn!“

Und die Meisterin dachte und fühlte still die Worte durch:

„Konnte ich mehr thun?“

Und Beide kamen oft zu einander, und weinten mit einander.

Nach einiger Zeit traf auch Herr Wurm ein. Er ordnete hülfreich, was zu ordnen noch nöthig war für die Fortsetzung des Geschäfts. Bei seiner Abreise versprach er, einen braven Gesellen herbeizuschaffen. Ob er einen finden wird, der da ist, wie der Glogauer war? Möge es geschehen!

So viel wir wissen, steht jetzt die Werkstätte noch leer; kein Webstuhl ist noch im Gange. Indem wir von der Werkstätte scheiden, werfen wir noch einen Gruß hinein, und gedenken der Worte:

O Werkstätte, still oder lärmend,
O Werkstätte, groß oder klein:
Schwer stellt sich in deinen vier Wänden
Die Nahrungssorge oft ein.

O Werkstätte, still oder lärmend,
Und schaffst du das tägliche Brod:
Der Arbeiter trägt doch im Herzen
Oft and’re Sorge und Noth.

O Werkstätte, still oder lärmend,
Bleib’ stets ein heiliger Raum!
Und träumt man in dir oft von Liebe,
Selbst heilig dann webe der Traum!




Die Pflege der gelähmten Gliedmaßen.
Von Dr. Paul Niemeyer.


Non est in medico semper, relevetur ut aeger – es steht nicht immer in der Macht des Arztes, daß der Kranke völlig gesunde; ein vom Nervenschlage Genossener wird nur selten den ursprünglichen Gebrauch des gelähmten Gliedes ganz wieder erlangen;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 500. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_500.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)